Kuhhandel oder Kompromiss bei der Steuervorlage?
economiesuisse hat sich die Verknüpfung der Steuervorlage mit der AHV-Finanzierung nicht gewünscht. Der Verband der Schweizer Unternehmen trägt den Kompromiss aber mit – und mit ihm breite Teile der Schweizer Wirtschaft. Warum?
Die Lage der Schweiz in Bezug auf ihren internationalen Unternehmensstandort ist ernst. Die Schweiz muss die Besteuerung internationaler Firmen anpassen. Das ist unbestritten. Mit der Unternehmenssteuerreform III wurde das versucht, das Volk hat die Reform jedoch abgelehnt. Die Neuauflage (SV17) versucht erneut, den tiefgreifenden Umbau für die Schweiz so schonend wie möglich durchzuführen.
Die Schweiz ist nicht allein. Das internationale Steuerumfeld hat sich in den letzten zehn Jahren rasant verändert. Auch andere Staaten müssen ihre Steuerregeln anpassen. Ein Platz auf einer Liste internationaler Steuersünder kann sich die Schweiz nicht leisten. Aus der Schweiz heraus tätige Firmen müssten sofort reagieren, weil ihnen im Ausland Strafen und Schikanen drohten. Im Ausland verpönte Steuerregimes muss die Schweiz darum so rasch wie möglich abschaffen.
Es bleibt nicht mehr viel Zeit
Das für unseren Unternehmensstandort tödliche Szenario einer schwarzen Liste muss die Schweiz unter allen Umständen vermeiden. Ein wichtiger Pfeiler des Schweizer Wohlstands steht auf dem Spiel. Im Ausland tätige Firmen bestreiten die Hälfte der Firmensteuer des Bundes – ein Betrag, der etwa den Landwirtschaftssubventionen und der gesamten Entwicklungshilfe entspricht. Sie finanzieren die Hälfte der privaten Forschung und Entwicklung. Diese Firmen sind ein direkter Arbeitgeber für mehr als hunderttausend Menschen. Auch für viele Kantone sind sie als Arbeitgeber und Steuerzahler wichtig – Kantone, die häufig zu den reicheren gehören und damit andere Kantone mitfinanzieren. Auch unsere Sozialversicherungen profitieren stark, allen voran die AHV.
Die Kritik am «Steuerdeal» ist teilweise berechtigt. Die Verknüpfung von Themen ist unerwünscht, aber kein Präzedenzfall. Sie muss in jedem Fall die Ausnahme bleiben. Unbestritten ist hingegen, dass es bei der AHV rasch Massnahmen braucht, um ein finanzielles Desaster zu vermeiden. Der «Steuerdeal» bietet eine Teillösung; nicht mehr und nicht weniger. Die parallel laufende AHV-Reform ist der Ort, um längerfristige Lösungen, einschliesslich Massnahmen auf der Leistungsseite – Stichwort Rentenalter –, zu beschliessen. Weil die finanzielle Stabilisierung der AHV allein über eine Rentenaltererhöhung zum heutigen Zeitpunkt kaum mehrheitsfähig ist, führt an einer Zusatzfinanzierung kein Weg vorbei. Der «Steuerdeal» schont das Portemonnaie der Bürger. Die einzige realistische Alternative, eine Mehrwertsteuererhöhung, käme alle Privathaushalte teurer.
Was, wenn der Kompromiss scheitert?
Der Versuch, die Steuerreform so schonend wie möglich durchzuführen, müsste aufgegeben werden. Den Schaden hätten zunächst die Kantone und Gemeinden. Sie erhielten keine finanzielle Unterstützung durch den Bund und müssten die heutigen Steuerregeln dennoch aufgeben. Wenige Kantone könnten die Herausforderung stemmen.
Viele Kantone, darunter grosse wie Zürich und Bern, würden verlieren. Weder im interkantonalen, noch im internationaler Steuerwettbewerb könnten sie mithalten. Letzterer nimmt keine Rücksicht auf Schweizer Befindlichkeiten: die hohen Mittelabflüsse aus der Schweiz aufgrund der US-Steuerreform zeigen die extreme Dynamik. Im Kanton Zürich würden sich Steuerbelastungen für betroffene Firmen, darunter Weltmarktführer, auf einen Schlag teilweise mehr als verdoppeln. Dass es als Folge zur Funktions- und Firmenverlagerungen kommen würde, ist klar. Auch Neuinvestitionen werden ausbleiben.
Auch die Alternative, dass Kantone, von der Not getrieben, den heute in der Schweiz regulierten Steuerwettbewerb verlassen und beginnen, einseitig Massnahmen, ohne Absprache und Rücksicht, umzusetzen, ist wenig erfreulich. Die Folgen für das politische Klima und das Zusammenleben in der Schweiz wären gravierend. Der nationale Finanzausgleich, die einigende Klammer und Grundlage unseres Schweizer Föderalismus’, wäre akut gefährdet.
Diese und weitere Folgen einer völlig aus dem Ruder laufenden Anpassung der Schweizer Firmenbesteuerung will die Wirtschaft vermeiden. Sie ist dafür bereit, Zusatzkosten auf sich zu nehmen, darunter Steuererhöhungen von 2 Milliarden Franken für internationale Firmen. Die Wirtschaft hätte eine reine Steuerlösung bevorzugt. Eine solche Lösung scheint politisch nicht möglich. Der «Steuerdeal» ist ein Kompromiss, der zu Lösungen führt. Diese brauchen wir jetzt. Im Interesse der Schweiz. Deshalb unterstützt ihn die Wirtschaft. Jede realistische Alternative ist schlechter.
Dieser Gastkommentar erschien in der Neuen Zürcher Zeitung vom 8. September 2018.