Heinz Karrer

Kuh­han­del oder Kom­pro­miss bei der Steu­er­vor­la­ge?

eco­no­mie­su­is­se hat sich die Ver­knüp­fung der Steu­er­vor­la­ge mit der AHV-Fi­nan­zie­rung nicht ge­wünscht. Der Ver­band der Schwei­zer Un­ter­neh­men trägt den Kom­pro­miss aber mit – und mit ihm brei­te Teile der Schwei­zer Wirt­schaft. Warum?

Die Lage der Schweiz in Bezug auf ihren in­ter­na­tio­na­len Un­ter­neh­mens­stand­ort ist ernst. Die Schweiz muss die Be­steue­rung in­ter­na­tio­na­ler Fir­men an­pas­sen. Das ist un­be­strit­ten. Mit der Un­ter­neh­mens­steu­er­re­form III wurde das ver­sucht, das Volk hat die Re­form je­doch ab­ge­lehnt. Die Neu­auf­la­ge (SV17) ver­sucht er­neut, den tief­grei­fen­den Umbau für die Schweiz so scho­nend wie mög­lich durch­zu­füh­ren. 

Die Schweiz ist nicht al­lein. Das in­ter­na­tio­na­le Steu­er­um­feld hat sich in den letz­ten zehn Jah­ren ra­sant ver­än­dert. Auch an­de­re Staa­ten müs­sen ihre Steu­er­re­geln an­pas­sen. Ein Platz auf einer Liste in­ter­na­tio­na­ler Steu­er­sün­der kann sich die Schweiz nicht leis­ten. Aus der Schweiz her­aus tä­ti­ge Fir­men müss­ten so­fort re­agie­ren, weil ihnen im Aus­land Stra­fen und Schi­ka­nen droh­ten. Im Aus­land ver­pön­te Steu­er­re­gimes muss die Schweiz darum so rasch wie mög­lich ab­schaf­fen. 

Es bleibt nicht mehr viel Zeit 

Das für un­se­ren Un­ter­neh­mens­stand­ort töd­li­che Sze­na­rio einer schwar­zen Liste muss die Schweiz unter allen Um­stän­den ver­mei­den. Ein wich­ti­ger Pfei­ler des Schwei­zer Wohl­stands steht auf dem Spiel. Im Aus­land tä­ti­ge Fir­men be­strei­ten die Hälf­te der Fir­men­steu­er des Bun­des – ein Be­trag, der etwa den Land­wirt­schafts­sub­ven­tio­nen und der ge­sam­ten Ent­wick­lungs­hil­fe ent­spricht. Sie fi­nan­zie­ren die Hälf­te der pri­va­ten For­schung und Ent­wick­lung. Diese Fir­men sind ein di­rek­ter Ar­beit­ge­ber für mehr als hun­dert­tau­send Men­schen. Auch für viele Kan­to­ne sind sie als Ar­beit­ge­ber und Steu­er­zah­ler wich­tig – Kan­to­ne, die häu­fig zu den rei­che­ren ge­hö­ren und damit an­de­re Kan­to­ne mit­fi­nan­zie­ren. Auch un­se­re So­zi­al­ver­si­che­run­gen pro­fi­tie­ren stark, allen voran die AHV. 

Die Kri­tik am «Steu­er­de­al» ist teil­wei­se be­rech­tigt. Die Ver­knüp­fung von The­men ist un­er­wünscht, aber kein Prä­ze­denz­fall. Sie muss in jedem Fall die Aus­nah­me blei­ben. Un­be­strit­ten ist hin­ge­gen, dass es bei der AHV rasch Mass­nah­men braucht, um ein fi­nan­zi­el­les De­sas­ter zu ver­mei­den. Der «Steu­er­de­al» bie­tet eine Teil­lö­sung; nicht mehr und nicht we­ni­ger. Die par­al­lel lau­fen­de AHV-Re­form ist der Ort, um län­ger­fris­ti­ge Lö­sun­gen, ein­schliess­lich Mass­nah­men auf der Leis­tungs­sei­te – Stich­wort Ren­ten­al­ter –, zu be­schlies­sen. Weil die fi­nan­zi­el­le Sta­bi­li­sie­rung der AHV al­lein über eine Ren­ten­al­ter­er­hö­hung zum heu­ti­gen Zeit­punkt kaum mehr­heits­fä­hig ist, führt an einer Zu­satz­fi­nan­zie­rung kein Weg vor­bei. Der «Steu­er­de­al» schont das Porte­mon­naie der Bür­ger. Die ein­zi­ge rea­lis­ti­sche Al­ter­na­ti­ve, eine Mehr­wert­steu­er­er­hö­hung, käme alle Pri­vat­haus­hal­te teu­rer. 

Was, wenn der Kom­pro­miss schei­tert? 

Der Ver­such, die Steu­er­re­form so scho­nend wie mög­lich durch­zu­füh­ren, müss­te auf­ge­ge­ben wer­den. Den Scha­den hät­ten zu­nächst die Kan­to­ne und Ge­mein­den. Sie er­hiel­ten keine fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung durch den Bund und müss­ten die heu­ti­gen Steu­er­re­geln den­noch auf­ge­ben. We­ni­ge Kan­to­ne könn­ten die Her­aus­for­de­rung stem­men. 

Viele Kan­to­ne, dar­un­ter gros­se wie Zü­rich und Bern, wür­den ver­lie­ren. Weder im in­ter­kan­to­na­len, noch im in­ter­na­tio­na­ler Steu­er­wett­be­werb könn­ten sie mit­hal­ten. Letz­te­rer nimmt keine Rück­sicht auf Schwei­zer Be­find­lich­kei­ten: die hohen Mit­tel­ab­flüs­se aus der Schweiz auf­grund der US-Steu­er­re­form zei­gen die ex­tre­me Dy­na­mik. Im Kan­ton Zü­rich wür­den sich Steu­er­be­las­tun­gen für be­trof­fe­ne Fir­men, dar­un­ter Welt­markt­füh­rer, auf einen Schlag teil­wei­se mehr als ver­dop­peln. Dass es als Folge zur Funk­ti­ons- und Fir­men­ver­la­ge­run­gen kom­men würde, ist klar. Auch Neu­in­ves­ti­tio­nen wer­den aus­blei­ben. 

Auch die Al­ter­na­ti­ve, dass Kan­to­ne, von der Not ge­trie­ben, den heute in der Schweiz re­gu­lier­ten Steu­er­wett­be­werb ver­las­sen und be­gin­nen, ein­sei­tig Mass­nah­men, ohne Ab­spra­che und Rück­sicht, um­zu­set­zen, ist wenig er­freu­lich. Die Fol­gen für das po­li­ti­sche Klima und das Zu­sam­men­le­ben in der Schweiz wären gra­vie­rend. Der na­tio­na­le Fi­nanz­aus­gleich, die ei­ni­gen­de Klam­mer und Grund­la­ge un­se­res Schwei­zer Fö­de­ra­lis­mus’, wäre akut ge­fähr­det. 

Diese und wei­te­re Fol­gen einer völ­lig aus dem Ruder lau­fen­den An­pas­sung der Schwei­zer Fir­men­be­steue­rung will die Wirt­schaft ver­mei­den. Sie ist dafür be­reit, Zu­satz­kos­ten auf sich zu neh­men, dar­un­ter Steu­er­er­hö­hun­gen von 2 Mil­li­ar­den Fran­ken für in­ter­na­tio­na­le Fir­men. Die Wirt­schaft hätte eine reine Steu­er­lö­sung be­vor­zugt. Eine sol­che Lö­sung scheint po­li­tisch nicht mög­lich. Der «Steu­er­de­al» ist ein Kom­pro­miss, der zu Lö­sun­gen führt. Diese brau­chen wir jetzt. Im In­ter­es­se der Schweiz. Des­halb un­ter­stützt ihn die Wirt­schaft. Jede rea­lis­ti­sche Al­ter­na­ti­ve ist schlech­ter. 

Die­ser Gast­kom­men­tar er­schien in der Neuen Zür­cher Zei­tung vom 8. Sep­tem­ber 2018.