Die Vorteile der Bilateralen überwiegen eindeutig

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die bilateralen Verträge sind wertvoll für die Schweiz.
  • Der geregelte Zugang zum europäischen Binnenmarkt und die gute Forschungszusammenarbeit tragen wesentlich zum Wohlstand und zur Innovationskraft der Schweiz bei.

Im Jahr 1999 haben die Schweiz und die Europäische Union (EU) das Vertragspaket der Bilateralen I unterzeichnet. Fünf Jahre später folgten die Verträge der Bilateralen II. Seit einem Vierteljahrhundert beschreitet die Schweiz nun also den bilateralen Weg. Was haben die Bilateralen der Schweiz gebracht? Bei dieser Frage gehen hie und da die Emotionen und Wogen hoch. Zielführender ist ein nüchterner Blick auf das Ganze. Wie bei allem gibt es Vor- und Nachteile. Die entscheidende Frage ist, was überwiegt.

Die EU ist die wichtigste Handelspartnerin der Schweiz

Wir dürfen zuallererst festhalten: Die Schweiz geniesst einen hohen Wohlstand, der im internationalen Vergleich seinesgleichen sucht. Das ist alles andere als selbstverständlich. Wir müssen uns dabei immer wieder bewusst machen, woher dieser Wohlstand kommt. Denn er fällt nicht vom Himmel. Er wird tagein, tagaus in den Unternehmen erarbeitet. Ein grosser Teil der Schweizer Wirtschaft ist exportorientiert. Unsere Unternehmen verkaufen qualitativ hochstehende Produkte und Dienstleistungen ins Ausland. Davon gehen rund die Hälfte in den europäischen Binnenmarkt. Die EU ist und bleibt die mit Abstand wichtigste Handelspartnerin der Schweiz. Die bilateralen Verträge sind in dieser Hinsicht ohne Wenn und Aber von grossem Wert für die Schweizer Unternehmen, denn sie erleichtern und vereinfachen den Zugang zu diesem wichtigen Exportmarkt.

Ebenso wichtig ist die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften. Wir können die demografische Entwicklung nicht austricksen. Wir leben immer länger und gesünder, was positiv ist. Doch unsere Gesellschaft altert. Schon heute verlassen mehr ältere Menschen den Arbeitsmarkt und gehen in Rente, als junge Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten. Die Personenfreizügigkeit mit der EU hilft dabei unseren Unternehmen, aber auch unseren Spitälern und in der Pflege, dass diese genügend Personal finden.

Der gute Zugang zum europäischen Binnenmarkt und zu qualifizierten Arbeitskräften schlägt sich auch volkswirtschaftlich nieder. Natürlich nicht nur, aber auch dank den Bilateralen hat sich die Schweiz in den letzten Jahren positiv entwickelt. Seit Unterzeichnung der Bilateralen I im Jahr 1999 ist das reale Bruttoinlandprodukt pro Kopf in der Schweiz um 25 Prozent gewachsen. Der internationale Vergleich zeigt dabei: In absoluten Zahlen ist die Schweizer Bevölkerung pro Kopf im Durchschnitt um über 18 000 Dollar wohlhabender geworden. Diese Wohlstandszunahme ist fast doppelt so hoch wie jene in Deutschland und fast dreimal so hoch wie jene in Frankreich.

Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz befindet sich erfreulicherweise auf einem sehr tiefen Niveau – es herrscht praktisch Vollbeschäftigung. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit. Wir erinnern uns schmerzlich an die Situation in den 1990er Jahren – damals noch ohne die Bilateralen: Das Wirtschaftswachstum stagnierte, die Arbeitslosigkeit war hoch, die Reallöhne tiefer. Wir können festhalten: Die Bilateralen haben neben anderen Standortfaktoren wesentlich dazu beigetragen, dass wir heute gut dastehen.

Wir dürfen zu Recht stolz sein auf unsere erstklassigen und innovativen Schweizer Produkte. Oft geht jedoch vergessen, dass dahinter jahrelange Forschung steckt. Es findet dabei ein intensiver Austausch zwischen Unternehmen und Wissenschaft statt – und zwar über die Landesgrenzen hinweg. Unsere Hochschulen wie etwa die ETH und die EPFL zählen zu den besten in Europa und weltweit.

Damit das so bleibt, braucht es auch in Zukunft eine gute internationale Zusammenarbeit in der Forschung und Innovation. Das europäische Forschungsrahmenprogramm «Horizon Europe» spielt dabei eine wichtige Rolle. Auch hier gilt: Die Innovationskraft der Schweiz steht und fällt nicht allein mit der Teilnahme an «Horizon Europe», aber eine Zusammenarbeit mit Europa ist eindeutig besser, als abseitszustehen. So überrascht es denn auch nicht, dass selbst die aus der EU ausgetretenen Briten die europäische Forschungszusammenarbeit wieder gesucht haben.

Es kommt ein weiteres Element hinzu, das in der politischen Debatte oft zu kurz kommt: Der bilaterale Weg ist ein aussenpolitisch ausgesprochen smarter Ansatz der Schweiz. Zum einen sichern die bilateralen Verträge den optimalen Zugang zum europäischen Binnenmarkt, zum anderen bleibt die Schweiz in ihrer Aussen- und Standortpolitik eigenständig. Die Schweiz verhandelt in Eigenregie oder im Efta-Verbund Freihandelsabkommen mit Partnerstaaten und baut so ihr Netz an Handelsabkommen fortlaufend aus. Auch innenpolitisch wahrt die Schweiz ihre Eigenständigkeit und gestaltet ihre Wirtschafts-, Geld- und Steuerpolitik nach ihrem Ermessen. Es ist ein Win-win-Zustand, dem Sorge zu tragen ist.

Es braucht geeignete Schutz- und Begleitmassnahmen

Klar ist auch, dass der bilaterale Weg Herausforderungen mit sich bringt. Diese dürfen wir nicht ausblenden. Wir müssen sie lösen. Zum einen ist die hohe Zuwanderung eine ernstzunehmende Sorge der Bevölkerung. Es braucht deshalb geeignete Schutz- und Begleitmassnahmen. Mit einer konsequenten Asylpolitik, einer noch besseren Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials sowie mit gezielten Massnahmen in den Bereichen Wohnen und Infrastrukturen kann dieser Herausforderung wirksam begegnet werden.

Zum anderen beschäftigt die geplante dynamische Rechtsübernahme bei den betroffenen acht bilateralen Abkommen die Politik. Das Ziel des Bundesrats ist dabei klar: Die verfassungsrechtliche Ordnung der Schweiz mit ihrer direkten Demokratie und dem Föderalismus soll gewahrt werden. Wir dürfen zuversichtlich sein, dass der Bundesrat auch zu dieser Frage ein überzeugendes Verhandlungsresultat erzielen wird.

Der Blick in den Rückspiegel zeigt: Der bilaterale Weg hat sich bewährt, die Vorteile überwiegen, und die Herausforderungen sind lösbar. Es wäre deshalb falsch, die Bilateralen unnötig zu gefährden oder gar bachab zu schicken. Im Gegenteil gilt es, den Blick nach vorne zu richten und den bilateralen Weg selbstbewusst weiterzugehen. Nun ist der Bundesrat am Zug.

Die Erstpublikation dieses Beitrags erfolgte am 1. November 2024 in der NZZ.