Nachhaltigkeitsregeln: Für Wertschöpfung statt Wortschöpfung
Schweizer Unternehmen zeichnen sich im internationalen Wettbewerb durch Qualität, Innovation und sparsamen Umgang mit Ressourcen aus. Diese typisch schweizerischen Werte bilden die Grundlage jeder Nachhaltigkeitsstrategie, und der globale Trend zu Nachhaltigkeit ist eine Chance für Schweizer Unternehmen, Wert zu schöpfen. Voraussetzung dafür sind die Freiheit und Eigenverantwortung, Nachhaltigkeit zum Teil der Unternehmensstrategie zu machen.
Mit dem Scheitern der Konzernverantwortungsinitiative und ihren Haftungsbestimmungen in der Abstimmung 2020 wurde der Weg frei für den indirekten Gegenvorschlag. Im Obligationenrecht sind neu die nichtfinanzielle Berichterstattung sowie Sorgfalts- und Transparenzpflichten hinsichtlich Kinderarbeit und Konfliktmineralien geregelt. Sie haben ihre Vorbilder in der europäischen Rechtsetzung, sind in der Umsetzung anspruchsvoll und reflektieren das Bekenntnis der Wirtschaft zu einer Regelung, die sich durch eigenverantwortliches Handeln und Transparenz statt Haftungsprozesse wie in Amerika auszeichnen. Haftungsregeln wurden im neuen Gesetz bewusst ausgeklammert.
Vor allem die detaillierten Vorschriften zur Berichterstattung generieren für die mittelgrossen und kleineren Unternehmen einen grossen Aufwand. Dass die «Wortschöpfung» für Unternehmen die grössere Herausforderung sein würde als die mit der freiwilligen Nachhaltigkeit verbundene «Wertschöpfung», mag dem damaligen Gesetzgeber nicht bewusst gewesen sein. Dennoch erbringt die Schweizer Wirtschaft heute den Tatbeweis und setzt nicht nur die neuen Gesetzesregeln um, sondern engagiert sich weiterhin auch mit freiwilligen Efforts.
Fokus auf Wertschöpfung
So hat etwa Lonza bereits vor Jahren eine Nachhaltigkeitsstrategie definiert und mit freiwilliger Berichterstattung begonnen. Die Umsetzung berücksichtigt alle Dimensionen der Nachhaltigkeit – ökologische, soziale, aber auch die Governance. Der Fokus liegt auf sieben für das Unternehmen besonders relevanten UNO-Nachhaltigkeitszielen. Weiter hat sich Lonza im Rahmen der Science Based Targets Initiative (SBTi) ambitionierte Ziele gesetzt und unterstützt etwa Projekte zur Erzeugung von erneuerbaren Energien weltweit. Auch in der Lieferkette arbeitet Lonza im Rahmen ihres Responsible Sourcing Programms mit Partnern an Verbesserungen hinsichtlich Nachhaltigkeit. Alle diese Aktivitäten erfolgen freiwillig, und ihre Zielerreichung beeinflusst die Entlöhnung der Mitarbeitenden. Nachhaltigkeit ist Teil der Unternehmensstrategie und schafft Mehrwert für alle Beteiligten.
Überregulierung löst keine Probleme
Kaum sind die neuen Vorschriften in der Schweiz implementiert und die nichtfinanziellen Berichterstattungen erstmals veröffentlicht, steht bereits eine Ausweitung der Vorschriften nach EU-Vorbild zur Diskussion. Ein überhastetes gesetzgeberisches Vorgehen ist aber abzulehnen: Unternehmen brauchen langfristige Rechts- und Planungssicherheit. Eine Änderung der Regeln während der laufenden Umsetzung dient weder der Glaubwürdigkeit der Schweiz als Wirtschaftsstandort, noch der Nachhaltigkeit selber.
Bereits die Nachhaltigkeits-Berichterstattungsrichtlinie (CSRD) der EU wird den Aufwand der betroffenen Unternehmen massiv erhöhen. Dies ist der Grund, wieso die Einführung der noch aufwändigeren EU-Lieferkettenrichtlinie (CS3D) verzögert wurde. Auch die US-Börsenaufsicht SEC hat den Umfang ihrer umstrittenen Klima-Offenlegungsregeln reduziert. Diese Entwicklungen sollte die Schweiz für ihre Nachhaltigkeitsregulierung berücksichtigen, zumal die Schweizer Wirtschaft global tätig ist. Die Schweiz braucht eine ganzheitliche Betrachtung auf weltweit gültige Nachhaltigkeits-Standards. Nutzen wir die Temporeduktion im Ausland für eine schöpferische Pause in der Regulierung und für mehr Wertschöpfung anstelle von weiterer Wortschöpfung.
Gastbeitrag von Andreas Bohrer, Chefjurist der Lonza-Gruppe und Vorstandsmitglied von economiesuisse. Die Erstpublikation dieses Beitrags erfolgte am 22. März 2024 in der NZZ.