# 2 / 2022
02.02.2022

Beziehungen Schweiz-EU: Es ist Zeit, jetzt zu handeln

Gemeinsame wirtschaftliche Interessen der Schweiz und der EU

Die bilateralen Marktintegrationsabkommen sind sowohl für die EU als auch für die Schweiz von grosser wirtschaftlicher Bedeutung.

Personenfreizügigkeitsabkommen

Heute leben und arbeiten mehr als 1,4 Millionen EU-Bürgerinnen und EU-Bürger in der Schweiz. Von ihnen kommen täglich 340'000 Personen als Grenzgänger in die Schweiz, um einer Arbeit nachzugehen. Sie generieren ein durchschnittliches Erwerbseinkommen von 27 Mrd. Franken pro Jahr, welches in den grenznahen Nachbarregionen versteuert wird. Die in der Regel gut qualifizierten europäischen Fachkräfte tragen wesentlich zur Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft bei.

Landverkehrsabkommen

Dank des Landverkehrsabkommens ist die Schweiz optimal in das europäische Verkehrsnetz eingebunden. Davon profitiert die Schweizer Logistikbranche, der Industriestandort, aber auch die EU: Jährlich durchqueren 900'000 europäische Lastwagen die Schweiz ohne grosse Verzögerungen. Es gibt auch positive Umweltaspekte: Das Landverkehrsabkommen trägt wesentlich zur Finanzierung der Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs auf die Schiene bei.

Luftverkehrsabkommen

Das Luftverkehrsabkommen hat zu einer grösseren Auswahl von Flugverbindungen – insbesondere in die EU – und tieferen Preisen geführt. Dies ist für internationale Unternehmen in der Schweiz von grosser Bedeutung. Auch der Zürcher Flughafen als internationaler Hub hat von der Teilnahme am europäischen Luftverkehrsraum erheblich profitiert. Die EU profitiert ihrerseits stark von der Nutzung des Schweizer Luftraums, der zu den am dichtesten beflogenen in Europa zählt. Allein in den letzten elf Jahren wurden in der Schweiz durchschnittlich 1,2 Millionen Flugbewegungen pro Jahr registriert. Die Hälfte davon entfiel auf Transitflüge.

Technische Handelshemmnisse

Das MRA reduziert Zeit und Kosten für die Kommerzialisierung der Produkte auf dem betreffenden Auslandsmarkt. Dies erlaubte es Schweizer Industrieunternehmen bis anhin, sich erfolgreich in regionale Wertschöpfungsketten zu integrieren. Sie sind dabei auch wichtige Zulieferer von EU-Firmen. Dank der gegenseitigen Marktteilnahme und harmonisierter Industriestandards sind die Schweiz und die EU-Nachbarregionen zum führenden Industriestandort Europas verschmolzen. Unternehmen beider Seiten profitieren davon. Auch die Produktevielfalt in der Schweiz wird dadurch gestärkt (z.B. im Bereich Medizin). Für EU-Hersteller von Produkten mit kleinen Absatzvolumen in der Schweiz entstehen durch die Nichtaktualisierung des MRA neue Handelsbarrieren. Diese betreffen rund ein Achtel aller in der Schweiz vertriebenen Medizinprodukte.

Forschung und Innovation

Die Forschungsprogramme der EU leisten einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Innovationsfähigkeit und letztlich zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit ganz Europas. Mit den Hochschulen ETH in Zürich und der EPFL in Lausanne könnten grundsätzlich zwei der 20 weltweit besten Universitäten an Horizon Europe teilnehmen. Mehr als 40 Prozent aller Forschenden an Schweizer Universitäten und Forschungseinrichtungen sind zudem Bürgerinnen und Bürger aus der EU. Ohne eine enge Vernetzung ihrer Forschungseinrichtungen hat Europa gegenüber dem dominierenden Forschungsstandort USA und den immer stärker werdenden asiatischen Forschungseinrichtungen (insbesondere China) keine Chance, an der Weltspitze mitzuhalten. Auch die betriebliche Innovation in Europa nimmt Schaden. Im internationalen Vergleich hat gerade die Schweiz eine sehr hohe Dichte an innovativen Unternehmen.

Elektrizität

Insgesamt 41 unregulierte Stromleitungen verbinden die Schweiz mit dem Stromnetz der EU. Zehn Prozent des Stromtransits in Europa fliessen durch die Schweiz. Die Nachbarländer profitieren davon in hohem Masse. Bis zu 30 Prozent des zwischen Deutschland und Frankreich gehandelten Stroms werden durch die Schweiz geleitet. Solche Transitflüsse werden infolge der Energiewende in Europa weiter zunehmen und das Übertragungsnetz zusätzlich belasten. Zur nachhaltigen Stabilisierung des europäischen Stromnetzes ist der Einbezug der Schweiz im beidseitigen Interesse. Die Wasserkraftwerke in der Schweiz könnten im europäischen Stromnetz ausserdem eine wichtige Speicherfunktion für den Ausgleich der Stromschwankungen erneuerbarer Energiequellen spielen. Ein Blackout in der Schweiz würde unweigerlich auch die Stromnetze der Nachbarregionen in Mitleidenschaft ziehen und hohe Kosten verursachen.

Beidseitige Interessen überwiegen

Stabile und enge Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind nicht nur für einzelne Sektoren oder Politikbereiche, sondern insgesamt im beidseitigen Interesse. Eine Fragmentierung der europäischen Wirtschafts-, Forschungs- und Versorgungsnetzwerke schwächt mittel- und langfristig die Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz des gesamten Kontinents. Neben der schädlichen Erosion von weiteren Teilen der Marktintegrations- und Kooperationsabkommen durch deren Nichtanwendung durch die EU sind auch die verpassten Opportunitäten mangels neuer Abkommen zu betonen. Diese betreffen sämtliche zentralen Politikbereiche wie die Klima- und Gesundheitspolitik oder die Digitalisierung und die Finanzdienstleistungen.