# 2 / 2022
02.02.2022

Beziehungen Schweiz-EU: Es ist Zeit, jetzt zu handeln

Europapolitische Blockade schadet der Wirtschaft

Erosion der Abkommen

Aufgrund der fehlenden Bereitschaft der EU-Kommission, die bestehenden bilateralen Marktintegrationsabkommen an die Änderungen des EU-Acquis anzupassen, macht sich die Erosion der Teilnahmemöglichkeit der Schweiz am europäischen Binnenmarkt bereits in verschiedenen Bereichen unmittelbar und konkret bemerkbar. Sie betrifft insbesondere ortsgebundene KMU und innovative Branchen mit hoher Wertschöpfung und hohem Exportanteil. Auch MNU mit grossen Produktionsanlagen in der Schweiz sind betroffen.

Finanzdienstleistungen

  • Nichtanerkennung der Börsenäquivalenz durch die EU

Von der Nichtanerkennung der Gleichwertigkeit der Schweizer Börsenregulierung durch die EU (seit Juli 2019) sind einerseits der Schweizer Börsenhandelsplatz SIX und an der Schweizer Börse kotierte Unternehmen betroffen. Die Schutzmassnahme des Bundesrats konnte die Abwanderung des Handels von Schweizer Beteiligungspapieren aus der Schweiz bislang verhindern. Die Nichtanerkennung hat andererseits auch negative Auswirkungen auf die EU-Aktivitäten von in der Schweiz kotierten Unternehmen.

  • Blockierung von offenen Äquivalenzverfahren/Umfassende Revision des EU-Finanzdienstleistungsrechts im Bereich des Drittstaatenregimes erschweren den Marktzugang für Bankdienstleistungen

Die Möglichkeiten für Schweizer Bankinstitute, aus der Schweiz Dienstleistungen für ihre Kunden in der EU zu erbringen, werden wegen der blockierten Äquivalenzanerkennungsverfahren zunehmend eingeschränkt. Zudem besteht in der EU ein Trend zur Erschwerung des grenzüberschreitenden Geschäfts der Banken aus Drittstaaten, das heisst, auch der Schweiz. Die teilweise Verlagerung gewisser Bankdienstleistungen in die EU kann den voraussichtlichen Schaden aus dem fehlenden Marktzugang nicht kompensieren. Ausserdem schädigen die Verlagerungen den Schweizer Finanzplatz.

Technische Handelshemmnisse

  • Blockierte Aktualisierung des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) für Medizinprodukte

Bereits betroffen ist die Schweizer Medtech-Industrie, die ihre Produkte seit dem 26. Mai 2021 gemäss Drittstaatenbedingungen in den europäischen Binnenmarkt exportieren muss. Die einmaligen Anpassungskosten der Branche werden auf 110 Mio. Franken, die jährlich wiederkehrenden Kosten auf rund 75 Mio. Franken geschätzt. Weil Medizinprodukte aus der EU ebenfalls zu Bedingungen für Drittstaaten in die Schweiz eingeführt werden müssen, ergeben sich Probleme, da sich die Einfuhr bei kleinen Volumen nicht lohnt. Rund ein Achtel aller Medizinprodukte, die heute aus der EU importiert werden, könnte davon betroffen sein. Die Ende Dezember 2021 von der Schweiz vorübergehend beschlossenen Vereinfachungen für den Import von EU-Produkten werden deshalb von der Branche begrüsst.

  • Absehbare Blockade bei weiteren Industrieprodukten

2023 soll eine Maschinenverordnung die bestehende Maschinenrichtlinie ersetzen. Diese soll ab 2025/2026 anwendbar sein. Ab diesem Zeitpunkt werden von der Richtlinie erfasste Maschinen aus der Schweiz als Produkte aus einem Drittstaat behandelt. In der Praxis unterliegt zwar nur eine Minderheit der Maschinen einer Drittzertifizierungspflicht. Dennoch werden die einmaligen Anpassungskosten für die betroffene Branche auf 300 bis 700 Mio. Franken und die jährlich wiederkehrenden Kosten auf 250 bis 500 Mio. Franken geschätzt.

Ebenfalls ab 2025/2026 sollen die überarbeiteten Arzneimittelvorschriften in Kraft treten. Davon wird vor allem die Schweizer Pharmabranche betroffen sein. Hier wird mit einmaligen Anpassungskosten von 450 bis 900 Mio. Franken und jährlich wiederkehrenden Kosten von 250 bis 700 Mio. Franken gerechnet.

Zusammengefasst drohen den betroffenen Branchen infolge Nichtaktualisierung des MRA jährliche Mehrkosten von zwischen 0,6 und 1,3 Mrd. Franken.

Forschung und betriebliche Innovation

Der Schweiz fehlt die volle Assoziierung an den EU-Forschungsprogrammen Horizon Europe, Euratom, Digital Europe und ITER. Dies führt zu Nachteilen für den Forschungs- und Innovationsstandort Schweiz. Bei einem Drittel aller Forschungsprogramme ist die Schweiz vollständig ausgeschlossen, bei den übrigen braucht es eine Direktfinanzierung durch die Schweiz. Zudem ist die Projektleitung durch Schweizer Institutionen ausgeschlossen – gerade diese wäre jedoch für führende Forschungsinstitutionen wichtig.

Die betriebliche Innovationsförderung ist ebenfalls mit negativen Folgen konfrontiert. Beispielsweise erhalten Start-ups und KMU keine Beiträge mehr für internationale Innovationsprojekte.

Strombranche/Versorgungssicherheit 

Die EU verweigert den Abschluss eines bilateralen Abkommens mit der Schweiz im Bereich Strom. Dieser Ausschluss vom europäischen Strommarkt führt zu stetig steigenden Kosten von etwa 120 Mio. Franken pro Jahr. 2030 können sich diese gar auf über 300 Mio. Franken belaufen. Ausserdem ist spätestens ab 2025 mit Versorgungsengpässen im Winterhalbjahr und mit einer erhöhten Gefahr von Stromausfällen zu rechnen – dies primär als Folge einer zu geringen inländischen Stromproduktion. Die Kosten eines Blackouts werden auf 4 Mrd. Franken pro Tag veranschlagt. Davon betroffen wäre die gesamte Wirtschaft. Auch die Netzstabilität ist nicht mehr gesichert, da die EU die Schweiz aus den europäischen Koordinationsplattformen für Strom und aus ENTSOE – dem Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber – ausschliessen will.