Was die 99-Prozent-Initiative für die KMU bedeutet
Das Schweizer Steuersystem ist derzeit grösseren Veränderungen unterworfen. Kaum ist die letzte Reform umgesetzt, kommt es bereits wieder von allen Seiten unter Druck. Für die inländischen KMU hätte vor allem die Annahme der jüngsten Juso-Initiative einschneidende Folgen.
Die Steuerlandschaft bewegt sich derzeit heftig. Anfang Jahr ist die grosse Unternehmenssteuerreform in Kraft getreten, die die Steuerwelt für viele Schweizer Firmen ziemlich auf den Kopf stellt. International beschäftigt die von der OECD und der G-20 im Stil einer Dampfwalze, aber mit dem Tempo eines Ferrari vorangetriebene Umwälzung der Weltsteuerordnung. Schweizer KMU mögen davon direkt wenig betroffen sein. Über die mannigfachen Wechselwirkungen mit den «Grossen» werden die Entwicklungen aber auch an ihnen nicht spurlos vorbeigehen.
Hohe Abgaben auf Zinserträge, Dividenden und Kapitalgewinne
Das Schweizer Steuersystem kommt aber auch innenpolitisch unter Druck. Grund dafür ist die Juso-Initiative «Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern» – auch bekannt als «99-Prozent-Initiative». Sie betrifft KMU und speziell Familiengesellschaften ganz direkt. Die Initiative will Kapitaleinkommensteile über einem Schwellenwert im Umfang von 150 Prozent besteuern. Der Initiativtext sagt nicht, was mit Kapitaleinkommen gemeint ist. Nach Auslegung der Initianten wären es Zinserträge (auch Mietzinsen), Dividenden und Kapitalgewinne. Ohne es ausdrücklich zu sagen: Das Ende der Dividendenteilbesteuerung soll eingeläutet und eine Steuer auf private Kapitalgewinne eingeführt werden.
Ausnahmen sollen gemäss den Initianten lediglich für den Eigenmietwert und für Renten der zweiten und dritten Säule gelten. Der Initiativtext äussert sich dazu jedoch nicht. Auch nichts Konkretes sagt er über den Schwellenwert, der gelten soll. Die Initianten sprechen von «beispielsweise 100'000 Franken». Tatsächlich würde erst der Gesetzgeber, also das Bundesparlament, über praktisch alle relevanten Punkte entscheiden. Es besteht daher eine grosse Unsicherheit: Weder weiss, wer an die Urne geht, worüber er oder sie effektiv abstimmt, noch wissen potenziell Betroffene, was bei einem Ja auf sie zukommen würde.
Die Mehrerträge der Initiative sollen gemäss Juso für Steuerermässigungen für tiefe und mittlere Einkommen oder für Transferzahlungen «zugunsten der sozialen Wohlfahrt» verwendet werden. Auch hier bleibt alles offen. Unbestimmte Einnahmen für unbestimmte Ausgaben: von der Altersversicherung über Migration bis zur Wohnbauförderung. Man kauft die Katze im Sack oder vielleicht auch einen Hund. Auch erscheint damit die Einheit der Materie, eigentlich die Voraussetzung für die Gültigkeit einer Volksinitiative, verletzt. Der materielle Zusammenhang zwischen Grundsätzen der Besteuerung und der Finanzierung im Bereich der sozialen Wohlfahrt ist jedenfalls kaum nachvollziehbar.
Vermögen werden in der Schweiz überdurchschnittlich besteuert
Die Besteuerung von Vermögen in der Schweiz ist wegen der kantonalen Vermögenssteuer heute schon im OECD-Vergleich überdurchschnittlich. Die Juso-Initiative würde zusätzlich die Belastung von Vermögenseinkommen massiv erhöhen. Betroffen wären breitere Kreise, als die Initianten behaupten. Nach ihren Vorstellungen würden Dividenden generell ohne Ermässigung besteuert (auch unterhalb des Schwellenwerts), und auch eine Kapitalgewinnsteuer würde generell für alle eingeführt – oberhalb des Schwellenwerts würde einfach statt der ordentlichen Bemessung von 100 Prozent die anderthalbfache zu 150 Prozent gelten. Sämtliche Sparer mit direkten und indirekten Aktienanlagen wären von der Kapitalgewinnsteuer betroffen.
Die wirklich gravierenden Auswirkungen würden aber die KMU und die in der Schweiz zum Glück noch immer zahlreichen Familienunternehmerinnen und Familienunternehmer treffen. Zur Begleichung ihrer exzessiv hohen Steuerrechnungen wären sie fortlaufend gezwungen, ihre Unternehmen zu entleeren. Zukunftsinvestitionen würden massiv erschwert. Bei ohnehin schwierigen Nachfolgelösungen werden wohl viele die Segel ganz streichen, wenn das Geschäft aufgrund der Besteuerung realisierter Kapitalgewinne faktisch liquidiert werden muss. Hier geht es wortwörtlich an die Substanz des Schweizer Firmenbestandes: Über 80 Prozent der Unternehmen in der Schweiz sind Familienunternehmen, knapp die Hälfte davon wird familienintern weitergegeben.
Der Bundesrat lehnt die Initiative ab. Ab April berät sie das Parlament. Die Abstimmung wird spätestens 2022 stattfinden.
Dieser Artikel ist am 12. Februar 2020 auf http://ratgeber.moneyhouse.ch erschienen.