Kompass-Initiative gefährdet den bilateralen Weg

Der bilaterale Weg bietet der Schweiz eine Win-Win-Situation: Einerseits hat unsere exportorientierte Volkswirtschaft dank den Bilateralen Marktzugang zur wichtigsten Handelspartnerin. Andererseits kann unser Land als Nicht-EU-Mitglied wie bisher eine eigenständige Standortpolitik verfolgen. Mit den Bilateralen III soll dieser Erfolgsweg fortgesetzt werden. Die neue Kompass-Initiative hingegen will, dass die Schweiz den Pfad verlässt und abbiegt – ins Abseits.

Die Promotoren der neuen Kompass-Initiative malen ein Schreckensbild an die Wand. Rollt da wegen den Bilateralen III die gesamte EU-Regulierung auf die Schweiz zu? Mit Verlaub, das ist Unsinn. Zunächst bezieht sich die dynamische, aber jederzeit selbstständige Rechtsübernahme auf genau acht bilaterale Abkommen. Alle anderen Rechtsbereiche sind gar nicht betroffen, denn es bestehen schlicht keine entsprechenden bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU. Und in diesen Bereichen will und wird die Schweiz auch in Zukunft eine eigene Linie fahren. So gibt es keinen Grund und auch keine Pflicht, sich im Steuerbereich der EU anzugleichen oder die Nachhaltigkeitsregulierung telquel zu übernehmen. Die Schweiz betreibt eine eigenständige Standortpolitik und das ist gut so. Ebenso wichtig ist: Es handelt sich bei den betroffenen acht Abkommen um eine selbstständige Übernahme der EU-Rechtsentwicklung, damit der gegenseitige Marktzugang beider Handelspartner möglichst reibungslos funktioniert. Die direktdemokratischen Rechte bleiben dabei gewahrt. Bundesrat, Parlament und Volk können auch künftig über jede einzelne Rechtsübernahme bei den betroffenen bilateralen Abkommen mit der EU entscheiden.

Das gemalte Schreckensbild ist das eine. Das andere ist, dass die Initianten gar grobes Geschütz auffahren. Eigentlich, so verstehen wir ihre Verlautbarungen, möchten sie die Bilateralen III «abschiessen». Doch der Initiativtext geht weit darüber hinaus und ist zudem an gewissen Stellen vage. So lässt der Initiativtext etwa offen, ob die Bestandsgarantie auch für das Luftverkehrsabkommen und für Schengen/Dublin gilt. Denn diese Abkommen enthalten ebenfalls eine selbstständige Übernahme von EU-Recht und wurden in fakultativen Referenden angenommen. Stehen also auch die Bilateralen I zur Disposition? Nicht nur das: Die Initiative sieht eine massive Ausdehnung des obligatorischen Referendums vor. So sollen künftig auch andere wichtige Staatsverträge dem obligatorischen Referendum unterstellt werden. Die Kompass-Initiative ähnelt damit der Volksinitiative «Staatsverträge vors Volk», welche vor 12 Jahren mit über 75% vom Volk wuchtig verworfen wurde.

Fazit: Die Initiative zielt auf den bilateralen Weg und gefährdet ihn bewusst – ohne einen Plan B zu haben. Das ist keine kluge Standortpolitik zum Wohle der Schweiz. Wir tun gut daran, den bilateralen Weg weiter zu beschreiten. Denn die Bilateralen bieten unserem Land eine Win-Win-Situation: Wir haben Marktzugang zur wichtigsten Handelspartnerin und können an wichtigen Programmen wie Horizon Europe teilnehmen. Zugleich bleiben wir weiterhin eigenständig in der Ausgestaltung unserer Standortpolitik. Für eine direktdemokratische und wettbewerbsfähige Schweiz – darum Ja zu den Bilateralen.