Cédric Wermuth zu den Bundesfinanzen: ein Alternativ-Fakten-Check

Meinungen können auseinander gehen, aber was der Co-Präsident der SP zu den Bundesfinanzen zu erzählen hat, lässt auf Faktenverdrängung schliessen.

Es gibt Präsidenten, die sind für ihren entspannten Umgang mit Fakten bekannt. Zu diesen Präsidenten gehört der Co-Präsident der SP Schweiz. Er äussert sich aus aktuellem Anlass (die Sparvorschläge der Expertengruppe zur Subventions- und Aufgabenüberprüfung) zu den Bundesfinanzen. Im Interview mit der NZZ liest man Erstaunliches:

Wermuth: «Seit Mitte der 1990 er Jahre steigen die Bundesausgaben, gemessen am Bruttoinlandprodukt, nicht mehr»:
Natürlich, 1995 hatte die Ausgabenquote des Bundes einen Höhepunkt erreicht. Das damalige Ausgabenwachstum war allerdings in keiner Weise durch Einnahme gedeckt, Sparprogramme waren die notwendige Folge. 2006, das Jahr in dem die Schuldenbremse voll wirksam wurde, lag die Ausgabenquote deutlich unter 10%, seither ist sie wieder stetig gestiegen auf heute rund 10,5%. Die Zahlen belegen es klar, die Bundesausgaben sind in den letzten knapp 20 Jahren gemessen am BIP deutlich überproportional gewachsen.

 

 

Wermuth: «Wir haben kein Ausgabenproblem…»
Hat Herr Wermuth aufgrund seines Sabbaticals grundlegende Entwicklungen verpasst? Seit Corona hat der Bund die Geldschleusen geöffnet, Parlament und Volk haben zudem hohe Mehrausgaben beschlossen, ohne gleichzeitig die Finanzierung zu regeln (z.B. Klimasubventionen, 13. AHV-Rente, familienexterne Kinderbetreuung). Gleichzeitig wachsen die Ausgaben für die AHV und Gesundheit deutlich stärker als die sehr solid wachsenden Einnahmen. Ausgaben und Einnahmen sind im Ungleichgewicht, eine Entwicklung, die sich ohne Gegenmassnahmen in den nächsten Jahren noch massiv verschärfen wird. Der Bund hat sehr wohl ein Ausgabenproblem, und zwar ein zünftiges!

 

 

Wermuth: «Das Problem ist, dass in den letzten Jahren für Konzerne und Reiche Steuerprivilegien in Milliardenhöhe eingeführt wurden»:
Fakt ist, die Steuerzahlungen der genannten Lieblingszielscheiben für linke Polemik sind in den letzten Jahren immer nur gestiegen. Insbesondere die Einnahmen aus der Gewinnsteuer der Firmen haben massiv zugelegt. Zahlten die Firmen 1990 etwa halb so viel direkte Bundessteuern wie die Privathaushalte, so leisten die Unternehmen seit einigen Jahren mehr als die Privaten. In den stark gestiegenen Einnahmen aus der Unternehmenssteuer spiegelt sich die erfolgreiche Steuerpolitik. Die Unternehmenssteuerreformen USR I (1998), USR II (2011) sowie STAF (Steuervorlage und AHV-Finanzierung, 2020) haben sich gelohnt. Sie haben die Schweizer Unternehmen dabei unterstützt, sich erfolgreich zu entwickeln und ihre Tätigkeiten kontinuierlich auszubauen. Neue Firmen sind in die Schweiz gezogen und haben die Steuereinnahmen zusätzlich ansteigen lassen.

 

 

Wermuth: «Das ist kein Sparen, sondern ein Abbauen»:
Die Expertengruppe Gaillard schlägt Massnahmen für den Haushaltsausgleich vor. Eine Korrektur des Ausgabenwachstums um drei bis vier Milliarden Franken wird nötig sein, damit das Vorhaben gelingt. Trotzdem wird der Haushalt weiterwachsen, und zwar mit über 2 Prozent, was ungefähr dem Wirtschaftswachstum entsprechen dürfte. Höhere Ausgaben und ein wachsender Haushalt – nicht wirklich das, was man unter «Abbauen» versteht.

Wermuth: «Für den Armeeaufwuchs, den die Bürgerlichen wollen, gibt es weder eine sicherheits- noch eine finanzpolitische Rechtfertigung»:
Wenn eine Bundesaufgabe in den letzten drei Jahrzehnten kleingespart wurde, dann ist es die Verteidigung, also die Armee. Ihr Anteil am Bundeshaushalt ist heute mit rund 8 Prozent nicht einmal mehr halb so gross wie 1990 (18 Prozent). Dafür wurde der Anteil der Sozialen Wohlfahrt von 22 Prozent auf gegen 35 Prozent ausgebaut. Das alles ist nicht zu bestreiten. Genau so wenig wie die Aggressionspolitik des einstigen roten Bruders im europäischen Osten, zwei Linienflugzeugstunden von der Schweiz entfernt. Für diese Aggression gibt es tatsächlich keine Rechtfertigung. Für die Einschätzung einer veränderten Sicherheitslage und daraus gezogener Schlussfolgerungen in Richtung notwendiger Ertüchtigung der Schweizer Armee hingegen sehr wohl.

 

 

Wermuth: «Die Schweiz ist als Ganzes reich wie noch nie. Das Geld ist einfach extrem ungleich verteilt»:
Es ist bekannt, aber man darf es gern wiederholen. Nach allen gängigen Kriterien und Messmethoden ist der Wohlstand in der Schweiz viel gleichmässiger verteilt als in vergleichbaren Ländern. So liegt etwa der Anteil der Löhne am BIP in der Schweiz deutlich höher. Herr Wermuth weiss das. Aber mit gegenteiligen Behauptungen kann man einfach viel besser linke Politik betreiben.

 

 

Wermuth: «Heute sehen wir, dass die Schuldenbremse missbraucht wird, um zu verhindern, dass der Staat auf die vielen Krisen angemessen reagiert»
Hallo Corona, war da was? 25 Milliarden Neuschulden in zwei Jahren, und alles unter dem Segel der Schuldenbremse. Der Bund hat, wir wissen es, in der Pandemie finanziell massiv reagiert, um die wirtschaftlichen Folgen für die Bevölkerung abzufedern. Nicht nur lässt die Schuldenbremse krisenbedingt ausserordentliche Zahlungen in hohem Umfang zu, die nachhaltige Finanzpolitik der Schweiz und der tiefe Schuldenstand sind auch wichtige Voraussetzung dafür, dass der Staat in Krisen den notwendigen finanziellen Spielraum hat, ohne gleichzeitig eine veritable Schuldenkrise auszulösen, wie sie vielen Industriestaaten derzeit akut droht.

Wermuth: „Sicher wäre für die Schweiz auch doppelt so hohe Schulden problemlos tragbar“:
Tragbar sicher, aber zu welchem Preis? Die Zinskosten des Bundes sind dank des Schuldenabbaus stark gesunken, was Spielraum für neue Ausgaben gegeben hat. Bei gleichbleibenden (aktuell noch tiefen) Zinsen würden doppelt so hohe Schulden, doppelt so hohe Zinsausgaben zur Folge haben. Dieser Effekt war bereits nach Corona zu spüren, die Zinsausgaben des Bundes haben sich infolge der Corona-Schulden deutlich erhöht. Gänzlich ohne Schuldenbremse wäre die jährliche Zinsbelastung heute so hoch wie die gesamten Ausgaben für die Landwirtschaft oder Entwicklungshilfe. Wer möchte jedes Jahr einen solch hohen Preis für eine einmalige Erhöhung der Schulden zahlen?

 

 

Herr Wermuths Kritik an so ziemlich allem, was die Finanzpolitik des Bundes ausmacht und zuvorderst an der Schuldenbremse, rührt auch daher, dass er und seine SP sich erlauben, «nochmals genau hinzuschauen». Das ist gut, möchte man meinen: was seinen Rundumschlag angeht, empfiehlt sich das auch!