Sisyphos rollt Stein den Berg hinauf

Auf ra­sche Tei­ler­ho­lung folgt der be­schwer­li­che Weg zu­rück

Die Co­ro­na-Krise hin­ter­lässt tiefe Spu­ren in der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung der Schweiz. eco­no­mie­su­is­se er­war­tet, dass das Brut­to­in­land­pro­dukt (BIP) in die­sem Jahr um 5,4 Pro­zent zu­rück­geht. Nach einer ra­schen Tei­ler­ho­lung über den Som­mer 2020 folgt der be­schwer­li­che Weg zu­rück mit wenig Dy­na­mik. Be­son­ders die Ex­port­in­dus­trie wird noch län­ger von der schwa­chen in­ter­na­tio­na­len Nach­fra­ge be­las­tet. Des­we­gen wird das BIP auch per Ende 2021 noch tie­fer lie­gen als 2019 und die Ar­beits­lo­sig­keit steigt von durch­schnitt­lich 3,8 Pro­zent in die­sem Jahr auf 4,3 Pro­zent im nächs­ten Jahr stark an.

Die Schweiz steckt in der tiefs­ten Re­zes­si­on seit Jahr­zehn­ten. Die wirt­schaft­li­che Si­tua­ti­on ist am ehes­ten ver­gleich­bar mit dem Erd­öl­schock, der das Schwei­zer BIP 1975 um 6,7 Pro­zent ein­bre­chen liess. Der ak­tu­el­le Ab­schwung ist also deut­lich schär­fer als der­je­ni­ge nach der Fi­nanz­markt­kri­se. Im Ver­gleich zur letz­ten gros­sen Re­zes­si­on 2009 be­trifft der ak­tu­el­le Ein­bruch so­wohl die Bin­nen- als auch die Ex­port­wirt­schaft. Wäh­rend des Lock­down waren die Augen vor allem auf die Bin­nen­wirt­schaft ge­rich­tet, wo die Ge­schäfts­tä­tig­kei­ten in Bran­chen wie Gas­tro­no­mie, De­tail­han­del oder per­sön­li­che Dienst­leis­tun­gen be­hörd­lich ver­bo­ten wur­den. Mit der Wie­der­auf­nah­me der Ge­schäfts­tä­tig­keit in die­sen Bran­chen er­holt sich die Bin­nen­wirt­schaft zwar re­la­tiv rasch vom Schock. Doch nach die­ser Tei­ler­ho­lung feh­len Im­pul­se, die eine Rück­kehr zur wirt­schaft­li­chen Nor­ma­li­tät er­mög­li­chen. Die­ses Mus­ter zeich­net sich in vie­len Län­dern ab. Ent­spre­chend blei­ben die Ex­port­aus­sich­ten der Schwei­zer In­dus­trie nach dem dras­ti­schen Ein­bruch der letz­ten Wo­chen auch für die nächs­ten Mo­na­te ge­trübt. 

Un­si­cher­heit hemmt die In­ves­ti­ti­ons­freu­de

So­lan­ge kein Impf­stoff flä­chen­de­ckend zur Ver­fü­gung steht, wird die Welt­wirt­schaft aus fol­gen­den drei Grün­den ge­bremst: Ers­tens be­las­ten die Ein­schrän­kun­gen auf­grund be­hörd­li­cher An­wei­sun­gen, die Un­ge­wiss­heit über die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung und der star­ke An­stieg der Ar­beits­lo­sig­keit die Kon­su­men­ten­stim­mung welt­weit. Ent­spre­chend tief ist die Nach­fra­ge vor allem nach teu­ren Pro­duk­ten oder Kon­sum­gü­tern mit In­ves­ti­ti­ons­cha­rak­ter wie Autos oder Uhren. Zwei­tens schrän­ken viele Un­ter­neh­men und Pri­vat­per­so­nen ihre Rei­se­tä­tig­keit ein. Und drit­tens re­du­ziert die Krise die In­ves­ti­ti­ons­tä­tig­keit der Un­ter­neh­men. Viele Pro­jek­te wur­den stor­niert oder wer­den auf­ge­scho­ben, bis Klar­heit über die wei­te­re Ent­wick­lung be­steht. 

Diese Sach­ver­hal­te tref­fen vor allem die Schwei­zer Un­ter­neh­men be­son­ders, die mit In­ves­ti­ti­ons­gü­tern oder hoch­wer­ti­gen Kon­sum­gü­tern er­folg­reich sind. Die Ma­schi­nen-, Elek­tro- und Me­tall­in­dus­trie, die Tex­til- und die Uh­ren­in­dus­trie sehen sich 2020 mit einem star­ken Ein­bruch der in­ter­na­tio­na­len Nach­fra­ge kon­fron­tiert. Einen Licht­blick in der Ex­port­wirt­schaft stel­len die che­misch-phar­ma­zeu­ti­sche In­dus­trie und die Me­di­zi­nal­tech­nik­bran­che dar, die zwar nicht von der Co­ro­na-Krise pro­fi­tie­ren, aber Um­satz­ver­lus­te bei ein­zel­nen Pro­duk­te­grup­pen durch an­de­re kom­pen­sie­ren kön­nen. 

Auch bei den Dienst­leis­tungs­ex­por­ten zeigt sich ein zwei­ge­teil­tes Bild. Be­son­ders be­trof­fen ist die Ho­tel­le­rie, die für län­ge­re Zeit we­ni­ger in­ter­na­tio­na­le Gäste be­wir­ten kann. Der Ge­schäfts­tou­ris­mus wird bes­ten­falls im Herbst auf tie­fem Ni­veau leicht an­zie­hen. Dem­ge­gen­über pro­fi­tie­ren Ban­ken kurz­fris­tig vom vo­la­ti­len Markt­um­feld und der in­ter­na­tio­na­len Nach­fra­ge nach Sta­bi­li­tät. 

Gros­se Dif­fe­ren­zen zwi­schen den Lan­des­tei­len

Das zwei­ge­teil­te Bild setzt sich auch in der Bin­nen­wirt­schaft fort. So stützt die Ver­si­che­rungs­wirt­schaft die in­län­di­sche Kon­junk­tur. Auch die Nach­fra­ge nach Bank­dienst­leis­tun­gen bleibt vor­erst sta­bil. Im wei­te­ren Ver­lauf des Jah­res al­ler­dings wird die Zahl der Kre­dit­aus­fäl­le stei­gen, ohne je­doch den Ban­ken­platz in Be­dräng­nis zu brin­gen. Da wäh­rend des Teil-Lock­down mit Aus­nah­men wei­ter­ge­baut wer­den konn­te, fällt der Ein­bruch im Bau­ge­wer­be in die­sem Jahr ei­ni­ger­mas­sen glimpf­lich aus. Al­ler­dings ist die Si­tua­ti­on in den Lan­des­tei­len un­ter­schied­lich. Im Ver­gleich zur Deutsch­schweiz ist der Ein­bruch in der Ro­man­die deut­lich schär­fer. Noch schlim­mer fal­len die Ein­bus­sen im Tes­sin aus, wo die Bau­stel­len über Wo­chen ge­schlos­sen blie­ben. Zwar kön­nen der De­tail­han­del, die Gas­tro­no­mie oder die Bran­che der per­sön­li­chen Dienst­leis­tun­gen den Um­satz­aus­fall im März und April im wei­te­ren Ver­lauf des Jah­res nicht kom­pen­sie­ren, je­doch soll­ten die Um­satz­rück­gän­ge in den nächs­ten Mo­na­ten in Gren­zen ge­hal­ten wer­den kön­nen. Kon­junk­tur­stüt­zend wirkt die öf­fent­li­che Hand, die ihre Aus­ga­ben 2020 er­höht. 

Für die Kom­po­nen­ten des BIP be­deu­tet dies, dass der pri­va­te Kon­sum in der Schweiz nicht so stark sinkt, wie noch vor ei­ni­gen Wo­chen be­fürch­tet wer­den muss­te. Auf­grund der hohen Un­si­cher­heit tau­chen die­ses Jahr aber die Aus­rüs­tungs­in­ves­ti­tio­nen, wäh­rend der Ein­bruch bei den Bau­in­ves­ti­tio­nen über­schau­bar bleibt. Der Aus­sen­han­del sinkt, so­wohl die Ex­por­te als auch die Im­por­te bre­chen in der Grös­sen­ord­nung von zehn Pro­zent ein. 

Schweiz ins­ge­samt we­ni­ger hart ge­trof­fen

Ins­ge­samt rech­net eco­no­mie­su­is­se für die­ses Jahr mit einem BIP-Ein­bruch um 5,4 Pro­zent. Vor­aus­set­zung ist al­ler­dings, dass es zu kei­nem zwei­ten Lock­down kommt. Im Ver­gleich zu an­de­ren Län­dern fällt die Re­zes­si­on in der Schweiz etwas we­ni­ger scharf aus. Dies aus fol­gen­den Grün­den: Ers­tens stütz­ten die um­ge­hend aus­be­zahl­ten Kurz­ar­beits­ent­schä­di­gun­gen den Kon­sum. Zudem über­nah­men schät­zungs­wei­se gegen 40 Pro­zent der Ar­beit­ge­ber die Dif­fe­renz zum vol­len Lohn. Des­halb er­lit­ten gros­se Teile der Schwei­zer Be­völ­ke­rung wäh­rend des Teil-Lock­down über­haupt keine Ein­kom­mens­ein­bus­sen. Zwei­tens wurde durch die um­fang­rei­chen Li­qui­di­täts­kre­di­te eine ne­ga­ti­ve Ket­ten­re­ak­ti­on in der Wirt­schaft ver­hin­dert. Hier zeig­te sich, wie wich­tig ein sta­bi­ler und funk­tio­nie­ren­der Ban­ken­platz für die Wirt­schaft ist, konn­ten die Kre­di­te doch in Re­kord­zeit ge­spro­chen wer­den. Drit­tens ist die stärks­te Wa­ren­ex­port­bran­che mit einem An­teil von rund 50 Pro­zent, die che­misch-phar­ma­zeu­ti­sche In­dus­trie, wenig von der Krise be­trof­fen. Vier­tens konn­te die In­dus­trie trotz Teil-Lock­down wei­ter­pro­du­zie­ren und auf dem Bau wurde gröss­ten­teils wei­ter ge­ar­bei­tet.

Die re­la­tiv hohe Wachs­tums­ra­te 2021 ist vor allem dar­auf zu­rück­zu­füh­ren, dass die Wirt­schafts­leis­tung 2020 tem­po­rär so stark ein­bricht. Das Wachs­tum wird daher im nächs­ten Jahr trotz der hohen Rate von 4,1 Pro­zent wenig dy­na­misch aus­fal­len. Das Wirt­schafts­ni­veau vor der Krise dürf­te die Schweiz damit erst 2022 er­rei­chen.  

Die star­ke Re­zes­si­on führt zu sin­ken­den Prei­sen. In die­sem Jahr ist mit einem Minus von 1,1 Pro­zent, im nächs­ten Jahr mit einem Minus von 0,5 Pro­zent zu rech­nen. Zudem geht eco­no­mie­su­is­se davon aus, dass die durch­schnitt­li­che Ar­beits­lo­sig­keit in die­sem Jahr auf 3,8 Pro­zent und 2021 auf 4,3 Pro­zent an­steigt. 

Zwei­fel an der Zah­lungs­fä­hig­keit Ita­li­ens würde neue Euro-Krise aus­lö­sen

Es ver­steht sich von selbst, dass die ak­tu­el­le Kon­junk­tur­pro­gno­se mit gros­sen Un­si­cher­hei­ten be­haf­tet ist. Der Ver­lauf der Pan­de­mie ist schwer zu an­ti­zi­pie­ren. Die vor­lie­gen­de Pro­gno­se geht davon aus, dass es weder in der Schweiz noch in wich­ti­gen Ab­satz­län­dern zu einem zwei­ten Teil-Lock­down kommt. Zudem ist der­zeit nicht an­zu­neh­men, dass ein Impf­stoff vor dem Som­mer 2021 flä­chen­de­ckend zur Ver­fü­gung steht. In einem Ne­ga­tiv­sze­na­rio könn­te eine zwei­te Welle die Er­ho­lung der Welt­wirt­schaft im Win­ter 2020/21 stark ge­fähr­den. Der Wirt­schafts­ein­bruch 2020 würde höher aus­fal­len, soll­ten zu­sätz­lich zur Co­ro­na-Krise wei­te­re Schocks die Welt­wirt­schaft tref­fen. So könn­te sich der Han­dels­kon­flikt USA-China ak­zen­tu­ie­ren oder die Un­ru­hen in den USA sich aus­deh­nen. In­ner­halb von Eu­ro­pa ist be­son­ders die Si­tua­ti­on in Ita­li­en und Spa­ni­en pro­ble­ma­tisch. Würde etwa die Zah­lungs­fä­hig­keit Ita­li­ens von den Märk­ten in­fra­ge ge­stellt, könn­te dies eine wei­te­re Euro-Krise aus­lö­sen und zu einer Er­star­kung des Fran­kens füh­ren. Auch der Brex­it könn­te zu zu­sätz­li­chen Ver­wer­fun­gen füh­ren. Doch auch eine deut­lich po­si­ti­ve­re Ent­wick­lung ist mög­lich, soll­te ein Impf­stoff schon für die Grip­pe­sai­son 2020/21 zur Ver­fü­gung ste­hen.

Tabelle Prognosen volkswirtschaftliche Gesamtrechnung