Drei Gründe für die dynamische Rechtsübernahme
Über die dynamische Rechtsübernahme als Element der Bilateralen III kursieren zahlreiche Schauermärchen. Zeit, die Fakten ans Tageslicht zu bringen.
Erster Grund: Ein Binnenmarkt funktioniert nur mit gemeinsamen Regeln
Seit 25 Jahren verfügt die Schweiz über fünf bilaterale Abkommen, dank denen wir sektoriell am EU-Binnenmarkt teilnehmen können. Ein Binnenmarkt funktioniert jedoch nur, wenn für alle Teilnehmer die gleichen Regeln gelten. Dies ist auch ein Vorteil für die Schweiz. Herzschrittmacher müssen beispielsweise im ganzen Binnenmarkt die gleichen Sicherheitsstandards erfüllen. Einmal zugelassen, können sie dann überall verkauft und verwendet werden. Klingt logisch. Ändern sich die Regeln, so wurden die bilateralen Abkommen in der Vergangenheit jeweils nach Verhandlungen angepasst. Doch was passiert, wenn diese Anpassungen ausbleiben, sieht man seit der fehlenden Aktualisierung des Abkommens über technische Handelshemmnisse in der Medizintechnik. Bestimmte Produkte wie Herzschrittmacher werden von europäischen Herstellern heute nicht mehr für den Schweizer Markt hergestellt, was die Versorgungssicherheit in unseren Spitälern gefährdet. Um solche Probleme in Zukunft zu vermeiden, wollen die Schweiz und die EU diesen Prozess nun vereinfachen und die Regeln der Rechtsübernahme neu festlegen.
Zweiter Grund: Die Panikmache ist absurd – es betrifft nur wenige Abkommen
Die dynamische Rechtsübernahme ist nicht uferlos, sondern gleich in doppelter Hinsicht stark begrenzt. Die Gegner verbreiten zurzeit das Schauermärchen, dass die Schweiz künftig das ganze EU-Binnenmarktrecht übernehmen müsste. Das ist schlicht falsch. Der Bundesrat hat dies jüngst in einer Antwort auf eine parlamentarische Interpellation (Interpellation 24.3612) unmissverständlich festgehalten: Die dynamische Rechtsübernahme bezieht sich lediglich auf acht von 140 Abkommen – also winzige 5.7%! So sehen die Bilateralen III die dynamische Rechtsübernahme nur bei den bestehenden Binnenmarktabkommen Personenfreizügigkeit, Luft- und Landverkehr, Landwirtschaft und technische Handelshemmnisse sowie den zwei neuen Binnenmarktabkommen in den Bereichen Strom und Lebensmittelsicherheit sowie dem Kooperationsabkommen Gesundheit vor.
Was sagt uns das? Entgegen der Behauptung der Gegner der Bilateralen III, müssen somit zahlreiche EU-Regulierungen wie z.B. das Lieferkettengesetz (CSDDD), die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), die Entwaldungsverordnung (EUDR), der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), die Verordnung über künstliche Intelligenz (AI Act) oder das Gesetz über digitale Dienste (DSA) gerade nicht übernommen werden. Der Grund dafür ist einfach und sollte eigentlich jedem einleuchten: Es bestehen schlicht keine entsprechenden bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU in diesen Bereichen.
Und es kommt noch besser: Die Schweiz handelt mit der EU Ausnahmen aus, zum Beispiel beim Lohnschutz oder beim Landverkehr. So wird die Schweiz bei der Personenfreizügigkeit künftig keine Regeln übernehmen müssen, falls dadurch das heutige Niveau beim Lohnschutz gesenkt würde. Zudem müssen künftig alle Anbieter von internationalen Zugverbindungen den Schweizer Taktfahrplan, unser Tarifsystem und die hiesigen Arbeitsbedingungen einhalten. Wer hier Panik zu schüren versucht, handelt entweder aus Unwissenheit oder führt bewusst in die Irre. Derartige argumentative Verzweiflungstaten ausserhalb von Fakten sind zu entlarven.
Dritter Grund: Die direkte Demokratie bleibt unangetastet
Die Gegner tun so, als ob die Schweiz ihre Souveränität verlieren würde. Das ist Unsinn: Die Schweiz bleibt autonom. Auch mit den neuen Abkommen können der Bundesrat, das Parlament oder das Volk jede einzelne Rechtsübernahme verweigern, wenn sie ihnen nicht passt. Die dynamische Rechtsübernahme ist übrigens bereits seit Jahren im Luftverkehrsabkommen sowie im Schengen/Dublin-Abkommen verankert – und das läuft seit deren Inkrafttreten 2002 bzw. 2008 gut. Lehnt die Schweiz eine Übernahme des EU-Rechts künftig einmal ab, hat die EU die Möglichkeit, verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen zu ergreifen. Die EU und die Schweiz klären dann auf Augenhöhe, was ein verhältnismässiges Vorgehen ist. Heute verhängt die EU einseitig Massnahmen gegen die Schweiz, ohne dass sich unser Land dagegen wehren könnte. Die Bilateralen III verbessern somit die Rechtssicherheit erheblich. Wer die Bilateralen III deshalb ablehnt, nimmt lieber Unsicherheit in Kauf, statt faire und transparente Lösungen zu finden.