# 6 / 2020
05.11.2020

Warum Handel die nachhaltige Entwicklung unterstützt und nicht bremst

Wirkungsvolle Instrumente im Bereich Nachhaltigkeit aus Schweizer Perspektive

Die Schweiz engagiert sich im Rahmen ihrer Aussenpolitik mit einer Vielzahl von multilateralen, plurilateralen und bilateralen Instrumenten für mehr soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit (siehe übernächste Grafik). In diesem Zusammenhang wird nachfolgend zuallererst der Nutzen von Freihandelsabkommen beschrieben und dann mit demjenigen von weiteren Instrumenten verglichen.

Multilateraler Abbau von Handelshürden als Königsweg

Angesichts der positiven Effekte des Handels auf die nachhaltige Entwicklung ist eine möglichst allgemeinverbindliche und liberale internationale Handelsordnung von zentraler Bedeutung. Handelsliberalisierungen sind am effizientesten, wenn sie im Rahmen der WTO, also multilateral erfolgen. Denn so gelten sie für alle WTO-Mitglieder und die Wirtschaft kann mit einem einzigen, einheitlichen Regelsatz weltweit planen. Aufgrund der steigenden internationalen Handelsstreitigkeiten und protektionistischen Massnahmen setzt die Schweizer Handelsdiplomatie jedoch auch vermehrt auf den Abschluss präferenzieller Freihandelsabkommen. Zurzeit verfügt die Schweiz über 32 solcher Verträge mit insgesamt mehr als 40 Staaten. 29 davon wurden im Rahmen der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) ausgehandelt, bei der auch die Schweiz Mitglied ist. Diese Freihandelsabkommen bauen Zölle ab, was für Schweizer Firmen und ihre Kunden vor Ort die Handelskosten verringert. Sie reduzieren aber auch nichttarifäre Handelshemmnisse, wie zum Beispiel unterschiedliche Produktanforderungen.

Nachhaltigkeitskapitel in Freihandelsabkommen: Kooperation besser als Zwang

Beim internationalen Handel geht es allerdings um weit mehr als nur den Abbau von Zöllen. Freihandelsabkommen schaffen verbindliche Regeln, so dass alle Partner von den Vorteilen des Handels profitieren können. Seit 2010 enthält beispielsweise jedes Freihandelsabkommen der Schweiz ein Kapitel zu Handel und nachhaltiger Entwicklung. Darin einigen sich die Vertragsstaaten, im Einklang mit den internationalen Übereinkommen, auf verbindliche Bestimmungen bezüglich ökologischer und sozialer Aspekte. Diese verfolgen einen Kooperationsansatz, weshalb sie nicht mit Schiedsgerichtsverfahren eingeklagt werden können. Das heisst aber nicht, dass diese Bestimmungen nicht überwacht und durchgesetzt werden können. Im Rahmen von gemischten Ausschüssen werden jeweils handelsrelevante Nachhaltigkeitsthemen besprochen. Und schon gar nicht bedeutet dies, dass der Kooperationsansatz deshalb wirkungslos ist. Auswertungen der Bestimmungen zu Arbeitsstandards in Handelsabkommen halten etwa fest, dass der Kooperationsansatz effektiver zur Verfolgung von sozialen Nachhaltigkeitszielen beiträgt als Zwangsmassnahmen.

2019 wurde eine Überprüfung des Modellkapitels zu Handel und nachhaltiger Entwicklung durch die EFTA vorgenommen, sowohl in Bezug auf den Inhalt der Bestimmungen als auch den Ansatz zur Streitbeilegung. Die neuen Bestimmungen umfassen Themen wie beispielsweise nachhaltige Bewirtschaftung der Wald- und Fischereiressourcen, biologische Vielfalt, Klimawandel, integrativer Handel und die soziale Verantwortung der Unternehmen. Zudem stärkte die EFTA den Ansatz zur Streitbeilegung mit ihren Freihandelspartnern. Der neue Ansatz sieht die Möglichkeit vor, dass die Partner ein Panel von unabhängigen Experten einsetzen können, falls Probleme auf dem traditionellen Konsultationsweg nicht zu lösen sind.

Warum Nachhaltigkeits-Wirkungsanalysen von Schweizer Freihandelsabkommen wenig bringen

Wirkungsanalysen von Schweizer Freihandelsabkommen auf die Nachhaltigkeit von Staaten wie Indonesien – oft verbunden mit einem kurzen Zeithorizont – sind nicht aufschlussreich. Denn bezogen auf den Warenhandel sind die Exporte der Schweiz für unsere Wirtschaft zwar absolut grundlegend, im Verhältnis zur Marktgrösse bestimmter Partnerländer jedoch zu klein, als dass sich kausale Aussagen machen lassen. Unsere Warenexporte nach Indonesien entsprechen beispielsweise nur 0,05 Prozent des dortigen Bruttoinlandprodukts. Folglich kann auch nicht erwartet werden, dass sich Schweizer Exporte ausschlaggebend in den Kennzahlen zur Nachhaltigkeit in Indonesien, etwa den CO2-Emissionen, widerspiegeln.

Abschluss von Investitionsschutzabkommen ist zentral

Für eine nachhaltige Entwicklung sind neben Freihandelsabkommen auch Investitionsschutzabkommen zentral. Die Schweiz hat mehr als 120 solcher Abkommen abgeschlossen. Diese schaffen Rechtssicherheit, indem sie Investitionen von Schweizer Unternehmen in den Partnerländern, und von ausländischen Unternehmen in der Schweiz, vor willkürlicher Enteignung sowie Diskriminierung schützen. Zusätzlich regeln diese Abkommen den Kapitaltransfer ins Heimatland. Die dadurch verbesserten Rahmenbedingungen erhöhen nachweislich den Bestand an ausländischen Direktinvestitionen. Je höher die Rechtssicherheit ist, desto eher sind Unternehmen bereit, langfristige Investitionen in einem anderen Land zu tätigen.

Schweizer Freihandelsabkommen stärken wirtschaftliche Integration

Freihandelsabkommen erhöhen nachweislich den internationalen Austausch von Gütern. Es hat sich gezeigt, dass Schweizer Unternehmen nach Inkrafttreten derartiger Abkommen auch ihre Investitionen in den Partnerländern stark erhöhten. Des Weiteren haben sich die Exporte in diese Länder, im Vergleich zum Gesamtwachstum der Schweizer Exporte, mehr als doppelt so stark entwickelt. Nachfolgende Grafik verdeutlicht ausserdem, dass mit zunehmender Anzahl internationaler Wirtschaftsabkommen auch die Exporte der Schweiz gestiegen sind.

Schweiz engagiert sich mit diversen internationalen Instrumenten für mehr Nachhaltigkeit

Freihandelsabkommen müssen in erster Linie Wirtschaftsabkommen bleiben und Handelshemmnisse minimieren. Sie dürfen daher nicht überfrachtet werden. Das bedeutet, dass Freihandelsabkommen Schweizer Unternehmen primär den diskriminierungsfreien Zugang zu ausländischen Märkten ermöglichen sollen. Auf diese Weise ermöglichen Exporte, Importe und Direktinvestitionen den Schweizer Unternehmen, positiv zum Wirtschaftswachstum und zur Erreichung der SDGs in den Zielmärkten beizutragen.

Um dieses Wachstum möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen und die daraus resultierenden negativen Spillover-Effekte zu minimieren, ist Kostenwahrheit ein wichtiger Faktor. Das heisst, dass nach dem Verursacherprinzip alle Kosten, die infolge eines Tuns oder Unterlassens entstehen, von den Verursachern getragen werden. Gleichzeitig sind aber auch weitere Begleitmassnahmen erforderlich. Diese sind nicht über bilaterale Freihandelsabkommen zu erreichen, sondern mithilfe von zielgerichteten Instrumenten über die entsprechenden multilateralen Plattformen wie beispielsweise die UNO, OECD oder die WTO. Die Schweiz beteiligt sich aktiv an diesen Instrumenten und der Weiterentwicklung der globalen Regelwerke. Sie ist in allen wichtigen Organisationen vertreten und prägt Standards wann immer möglich mit (siehe untenstehende Grafik). Die gefassten Beschlüsse aus diesen Gremien nimmt die Schweiz in ihre Freihandelsverträge auf und trägt somit ihren multilateralen Verpflichtungen Rechnung.

Eine stimmige Aussenpolitik muss diese Aufgabenteilung berücksichtigen. Freihandelsabkommen müssen sich primär auf ihre Kernfunktion fokussieren, um gezielt dort einzugreifen, wo sie die grösste Wirkung entfalten: im Abbau von internationalen Handelshemmnissen. Jedoch sollen, im Sinne einer Politikkohärenz, die Anliegen der nachhaltigen Entwicklung auch in Freihandelsabkommen berücksichtigt werden. Diesbezüglich schafft die Schweiz nicht neue Regeln, sondern bezieht sich auf bestehende internationale Umweltabkommen sowie auf die Instrumente der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), beispielsweise bei Standards für soziale Arbeitsrechte im Ausland. Die grundlegenden Standards zur nachhaltigen Entwicklung müssen jedoch weiterhin in den entsprechenden internationalen Organisationen ausgehandelt und weiterentwickelt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass es zu einem einheitlichen Verständnis kommt und in allen beteiligten Staaten dasselbe gilt. Bilaterale Freihandelsabkommen sind kein effektives Instrument, um Regeln über Arbeitsstandards oder Umweltschutzanliegen weiterzuentwickeln – es verlangt schliesslich auch niemand von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation, Zölle abzubauen. Werden in Freihandelsabkommen divergierende Nachhaltigkeitsbestimmungen festgelegt, schwächt dies die Bemühungen von zwischenstaatlichen Organisationen, die für die Entwicklung international geltender Standards zuständig sind. Trotzdem bekräftigen Freihandelsabkommen die Nachhaltigkeitsbestimmungen und tragen zu deren Umsetzung bei.