Grosse Dynamik im Jobmarkt: Jede zehnte Stelle verschwindet – und noch mehr kommen dazu
- Einleitung Das Wichtigste in Kürze | Position economiesuisse
- Kapitel 1 Ausgangslage
- Kapitel 2 Einseitiger medialer Fokus auf Stellenabbau
- Kapitel 3 Sind Firmenschliessungen und Restrukturierungen tatsächlich Alarmsignale?
- Kapitel 4 Grosse Dynamik auf dem Arbeitsmarkt
- Kapitel 5 Fazit
Ausgangslage
Angst vor Arbeitslosigkeit in der Schweiz
In der Schweiz nimmt die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust zu. Zu diesem Schluss kommt die kürzlich publizierte schweizerische Gesundheitsbefragung, die alle fünf Jahre durchgeführt wird. Angesichts der kontroversen Diskussionen rund um die Digitalisierung und deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ist dies keine grosse Überraschung.
Abbildung 1
Rund 15 Prozent aller Erwerbstätigen haben sehr grosse oder ziemlich grosse Angst, ihren aktuellen Arbeitsplatz zu verlieren. Dies bedeutet im Vergleich zur letzten Erhebung von 2012 einen Anstieg um 23 Prozent.
Die Angst vor Arbeitsplatzverlust ist grundsätzlich nicht neu: Seit 1976 war die Arbeitslosigkeit gemäss dem Credit-Suisse-Sorgenbarometer in zwei Dritteln der jährlichen Erhebungen die grösste Sorge der Schweizerinnen und Schweizer. Dass neue Technologien ganze Branchen umpflügen können, ist eine unbestrittene Tatsache. Digitale Dienstleister wie Uber und Airbnb bringen etablierte Betriebe in Bedrängnis. Es ist absehbar, dass neue Technologien wie künstliche Intelligenz, 3D-Drucker, Robotik und viele andere Errungenschaften auch in Zukunft grosse Veränderungen in der Wirtschaft verursachen werden. Insofern ist es verständlich, dass die Vorstellung eines drohenden Jobverlusts existenzielle Ängste entfacht.
Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts befürchteten englische Arbeiter den Verlust ihrer Stelle und wehrten sich dagegen, teils mit gezielten Maschinenzerstörungen. Auch im Zürcher Oberland wurde 1831 eine Maschinenweberei von aufgebrachten Heimwebern angezündet. Während der grossen Depression in den 1930er-Jahren sprach John Maynard Keynes von der «technologischen Arbeitslosigkeit». Doch trotz aller Befürchtungen führte keine der industriellen Revolutionen zu breitflächiger Arbeitslosigkeit und Armut. Ganz im Gegenteil: Die technologischen Errungenschaften brachten uns gesamthaft deutlich mehr Wohlstand.
Keine Anzeichen von Verdrängung im Arbeitsmarkt
Ist die eingangs beschriebene Angst vor dem Arbeitsplatzverlust mit der arbeitsmarktlichen Lage in der Schweiz erklärbar? Hat der fortwährende technologische Fortschritt der vergangenen Jahre tatsächlich zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit oder zu sinkender Erwerbsbeteiligung geführt? Oder handelt es sich um eine unbegründete Furcht vor dem Ungewissen? Um diese Fragen zu beantworten, schauen wir uns im Folgenden drei Indikatoren an: die Beschäftigung, die Erwerbslosenquote und die Erwerbsbeteiligung.
Wir blicken zunächst auf die Entwicklung der Beschäftigung in den letzten 25 Jahren. Dabei ziehen wir die Zahlen in Vollzeitäquivalenten in Betracht. Dies hat den Vorteil, dass das gesamte Arbeitsvolumen berücksichtigt wird. Im Gegensatz zur absoluten Zahl der Beschäftigten verhindert eine derartige Betrachtung, dass eine Erhöhung des Anteils Teilzeitbeschäftigter die Anzahl der Beschäftigten aufbläht, ohne dass mehr Arbeit vorhanden wäre. Abbildung 2 zeigt, dass sich die Beschäftigung in den letzten 25 Jahren kontinuierlich erhöht hat: von 1993 bis 2018 von rund 3,2 Millionen auf etwa 3,9 Millionen Vollzeitäquivalente. Das entspricht einem Anstieg um 22 Prozent.
Abbildung 2
Allein die Zahl der Beschäftigten reicht jedoch nicht aus, um eine Verdrängung von Arbeit durch Technologie auszuschliessen. Denn mehr Beschäftigung könnte lediglich das Resultat eines Bevölkerungswachstums sein, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit steigen könnte. Daher ist es wichtig, auch die Erwerbslosenquote zu berücksichtigen. Als erwerbslos gelten Personen, die ohne Arbeit sind, eine Stelle suchen und innerhalb kurzer Zeit eine Tätigkeit annehmen könnten. Würde der technologische Fortschritt zu einer Verdrängung von Arbeit führen, müsste eine Erhöhung der Erwerbslosenquote beobachtbar sein. Doch auch die Erwerbslosenquote reicht nicht aus, um Verdrängung festzustellen. Denn gibt eine Person frustriert die Suche nach Arbeit auf, dann gilt sie nicht mehr als erwerbslos. Sie tritt in diesem Falle aus der Erwerbsbevölkerung aus, was zu einer Reduktion der Erwerbsquote führt. Aus diesem Grund betrachten wir im Folgenden sowohl die Erwerbslosen- als auch die Erwerbsquote.
Abbildung 3 zeigt die Entwicklung der beiden Quoten in den letzten 25 Jahren. Offensichtlich ist die Erwerbslosenquote seit 1993 in etwa konstant geblieben. Sie schwankte je nach Wirtschaftslage zwischen 2,8 und 5,1 Prozent. Einen Hinweis auf eine breitflächige Verdrängung liefert sie nicht. Die Erwerbsquote hingegen ist in der betrachteten Zeitperiode von rund 80 auf 84 Prozent gestiegen. Das heisst, dass ein grösserer Anteil der Bevölkerung seine Dienste auf dem Arbeitsmarkt angeboten hat.
Abbildung 3
Auch ein noch weiter zurückgehender Rückblick bis Ende 19. Jahrhundert zeigt, dass technologisch bedingte Arbeitslosigkeit zu keiner Zeit ein Massenphänomen war. Nicht nur gab es im Laufe der Zeit mehr Arbeit, sondern auch mehr Lohn, und das bei sinkender Arbeitszeit.
Auch wenn auf aggregierter Ebene keine Verdrängung zu beobachten ist, bedeutet dies nicht, dass gar keine Veränderungen stattgefunden haben. Während in den 1970er- und 1980er-Jahren die Arbeitslosigkeit unter Niedrigqualifizierten etwa gleich verbreitet war wie unter Mittel- und Hochqualifizierten, stieg sie in den darauffolgenden Jahrzehnten auf ein Vielfaches. Der technologische Wandel verursachte zwar keine generelle Verdrängung von Arbeit, wohl aber von ungelernter Arbeit. Während die Nachfrage nach Niedrigqualifizierten stetig sank, ist jene nach den Hochqualifizierten gestiegen. Es zeigt sich, dass der bildungsintensive technologische Fortschritt zu einer grösseren Nachfrage nach technischen Kenntnissen und somit höherer Qualifikation führt. Ein zweiter Trend verstärkt diese Entwicklung: Im Zuge der Globalisierung werden einfache Tätigkeiten, die kaum spezialisierte Arbeitskräfte beanspruchen, in Länder mit niedrigen Lohnkosten verlagert.