# 6 / 2021
11.05.2021

Klimapolitik: Der Weg der Wirtschaft zum Netto-Null-Ziel

Aktuelle Entwicklungen – in der Schweiz und international

Die Gletscher-Initiative

Die Volksinitiative «Für ein gesundes Klima (Gletscher-Initiative)» wurde am 27. November 2019 eingereicht. Die Initiative möchte in der Verfassung einen neuen Artikel zur Klimapolitik (Art. 74a BV) festlegen. Die Initiative verlangt, dass die Schweiz ab 2050 nicht mehr Treibhausgase ausstossen soll, als natürliche und technische Speicher aufnehmen können. Auch sollen ab diesem Zeitpunkt in der Schweiz grundsätzlich keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr in Verkehr gebracht werden dürfen. Ausnahmen sind möglich bei Anwendungen, für die es keine technischen Alternativen gibt.

Die Gletscher-Initiative verfolgt damit dasselbe Ziel wie der Bundesrat: Bis 2050 sollen die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen der Schweiz auf Netto-Null sinken. Dieses Ziel hat der Bundesrat bereits im Sommer 2019 festgelegt. Die Gletscher-Initiative geht dem Bundesrat aber punktuell zu weit, weshalb er einen direkten Gegenentwurf ausgearbeitet hat. Gemäss Vernehmlassungsentwurf möchte der Bundesrat im Gegensatz zur Initiative kein explizites Verbot fossiler Energieträger in der Verfassung verankern. Damit will der Bundesrat dem Parlament und den Kantonen bei der Umsetzung des Netto-Null-Ziels einen grösseren Spielraum geben. Insbesondere sollen auch dann fossile Energieträger einsetzbar bleiben, wenn die Alternativen zu teuer sind oder die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt wird. Zudem will der Bundesrat im neuen Verfassungsartikel festhalten, dass die nationale Sicherheit nicht negativ beeinträchtigt werden darf. Für Schutz- und Rettungseinsätze von Armee, Polizei oder Rettungsdiensten soll bei Bedarf auf fossile Treibstoffe zurückgegriffen werden können. Ausserdem ist im Interesse des nationalen Zusammenhalts die besondere Situation in den Berg- und Randgebieten angemessen zu berücksichtigen. Weil das Potenzial in der Schweiz für die dauerhafte Speicherung von CO₂ begrenzt ist, lässt der Bundesrat zudem offen, ob die im Jahr 2050 verbleibenden Emissionen aus fossiler Energie mit Senken im In- oder Ausland (z.B. Wälder, Böden, CO₂-Speicherung in geologischen Lagerstätten) ausgeglichen werden.

Der direkte Gegenentwurf ist zielführender

Auch die Wirtschaft hat sich zu einem Netto-Null-Ziel bis 2050 bekannt (vgl. vorangehendes Kapitel). Das Anliegen der Gletscher-Initiative, dass die Schweiz bis 2050 Netto-Null-Treibhausgasemissionen anstrebt, ist somit zwar berechtigt, jedoch ist die Umsetzung zu radikal ausgestaltet. Der direkte Gegenentwurf des Bundesrats ist hierbei zielführender. Folgende Punkte sind aus Sicht der Wirtschaft bei der Initiative wie auch beim Bundesratsvorschlag zu berücksichtigen:

  • Kein Verbot für fossile Energieträger
    Während die Gletscher-Initiative ein Verbot für fossile Energieträger fordert, sind beim Vorschlag des Bundesrats Ausnahmen möglich, wenn alternative Energieträger zu teuer sind und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt wird. Dieser Standpunkt des Bundesrats ist äusserst wichtig. Es ist zentral, dass auf dem Weg hin zu einem Netto-Null-Ziel die Kosten berücksichtigt werden. Bei zu hohen Kosten oder falls die CO₂-freie Alternative nicht in genügend grossen Mengen vorhanden ist, sollen fossile Anwendungen weiterhin möglich sein. In diesen Fällen sollen Verminderungsprojekte oder Negativemissionen zum Zug kommen dürfen.
  • Anrechnung ausländischer Massnahmen
    Die Anrechnung ausländischer Massnahmen (Verminderungen wie auch negative Emissionen) soll als Option offengehalten werden. Dabei ist klar, dass für anrechenbare Senkenleistungen im Inland und im Ausland dieselben Qualitätsstandards gelten sollen. Bei den natürlichen Senken ist das Potenzial im Inland begrenzt, da Waldmassnahmen in der Schweiz nur bedingt Sinn machen und grossflächige Möglichkeiten fehlen. Hingegen sind im Ausland die Potenziale sozusagen unbegrenzt. Insofern spricht nichts dagegen, die Anrechnung ausländischer Massnahmen bereits auf Verfassungsstufe festzulegen. Mit einer expliziten Festlegung der Anrechenbarkeit ausländischer Massnahmen wird die benötigte Flexibilität geschaffen, um das Netto-Null-Ziel bis 2050 wirtschaftsverträglich zu erreichen.
  • Internationale Abstimmung
    Es ist sehr wichtig, dass das schweizerische Vorgehen grundsätzlich international abgestimmt wird. Die Wirtschaftsverträglichkeit beim Vorgehen und den gewählten Massnahmen ist zu berücksichtigen. Im Idealfall werden Massnahmen global eingeführt, aber zumindest müssen sich alle Länder auf einem gleichen oder ähnlichen Absenkpfad befinden. Die relative Wettbewerbsfähigkeit gilt es zwingend zu berücksichtigen. Aus klimapolitischer und wirtschaftlicher Sicht wäre es kontraproduktiv, Massnahmen in der Schweiz zu ergreifen, die zur Einstellung bestimmter Aktivitäten oder zur Verunmöglichung der Entwicklung neuer Aktivitäten führen würden. Dieser Punkt wurde weder von der Gletscher-Initiative noch vom bundesrätlichen Gegenentwurf aufgenommen. Daher ist diesbezüglich eine Anpassung nötig.
  • Linearer Absenkpfad
    Die Initiative und der Bundesrat fordern einen mindestens linearen Absenkpfad bis 2050 mit Zwischenzielen. Die Wirtschaft benötigt aber Flexibilität für die Zielerreichung. Das heisst, die Unternehmen benötigen Entscheidungsfreiheit, auf welche Art und Weise und zu welchem Zeitpunkt innerhalb der Zielperiode sie gemäss den vorhandenen Einsparoptionen vorgeht. Kurzfristig mag mittels Reduktion der günstig einzusparenden Emissionen («low-hanging fruits») ein linearer Absenkpfad eingehalten werden können. Für die Zielerreichung notwendige Technologiesprünge wie auch Investitionszyklen (z.B. sehr langlebige industrielle Anlagen) halten sich aber nicht an planwirtschaftlich definierte Absenkpfade. Die Eigenverantwortung hingegen sollte gefördert werden. Die Wirtschaft ist überzeugt, dass sie mit den nötigen Rahmenbedingungen und nötiger Flexibilität die Lösungen rechtzeitig haben wird. Daher sollten Zwischenziele im Sinne von Richtwerten festgelegt werden, die als Orientierung dienen. Ansonsten besteht die grosse Gefahr, dass unnötige Kosten und Aufwände auf dem Weg zu Netto-Null entstehen. Wenn das Ziel Netto-Null bis 2050 gesetzt ist, sollte sich der Weg dahin so kosteneffizient wie möglich gestalten.

«System Change, not climate change» – Schritt für Schritt in Richtung Systemveränderung

In welcher Form können nun international abgestimmte Rahmenbedingungen entwickelt werden? Der Internationale Währungsfonds hat kürzlich vorgerechnet, dass der weltweite Ausstoss von Kohlendioxid für die Einhaltung der gesteckten Ziele bis 2030 insgesamt um ein Drittel reduziert werden müsste. Mittels internationaler Zusammenarbeit können die Reduktionen verstärkt dort erfolgen, wo mit dem geringsten Aufwand die grösste Wirkung erzielt wird. Das ist wichtig für ein rasches und effizientes Vorgehen. Ebenso ist es wichtig, um die Wirtschafts- und Gesellschaftsverträglichkeit des Vorhabens zu sichern. Es braucht robuste internationale Spielregeln, damit die internationale Staatengemeinschaft bei der Bekämpfung der schädlichen Klimagase erfolgreich zusammenarbeiten kann. Und diese Zusammenarbeit ist zwingend erforderlich, geht es doch einerseits um eine gemeinsame Herausforderung und andererseits auch darum, möglichst rasch eine Trendwende herbeizuführen – da ist eine internationale Zusammenarbeit und die Nutzung der Vorteile einer globalen Arbeitsteilung unerlässlich.

Aus ökonomischer Sicht ist klar, wo der Mangel im System liegt, der die Bekämpfung des Klimawandels begünstigt. Die Details sind sogar schon auf Wikipedia unter dem Stichwort «CO₂-Steuer» zu finden. Zudem haben weltweit über 3000 Ökonomen und Nobelpreisträger in einer gemeinsamen Aktion aufgezeigt, wie der Ausweg aus der «Klimafalle» aussehen müsste. Wir bräuchten ein abgestimmtes globales System mit einheitlichen Rahmenbedingungen. Wir müssten uns schrittweise und synchron an dieses neue (respektive korrigierte) System herantasten, da die Umwälzung viele Betroffene hat. Die OECD oder die G-20 wären aber in der Lage, einen solchen Systemwechsel einzuläuten, wie sie es aktuell mit den Diskussionen rund um die digitalisierungsbedingte Steuerreform aufzeigen. Auch andere Koalitionen oder Allianzen wären dazu in der Lage. Und der Wirkungsgewinn ist klar: Beim Klimaschutz ist die Wirkung international-kooperativer Massnahmen unter Wahrung hoher Standards der Umweltintegrität bis zu fünf Mal höher als diejenige von isolierten und rein inländischen Instrumenten.

Weltweiter Preis für Treibhausgase in Aussicht

Bereits Ende 2020 haben sich die grössten Wirtschaftsnationen zu einem gemeinsamen Netto-Null-Ziel und zu einer besser koordinierten internationalen Zusammenarbeit verpflichtet – darunter auch die Schweiz. Damit bahnt sich zum ersten Mal in der Geschichte ein Klimabündnis an, welches das Potenzial hat, das Weltklima wirklich zu verändern. Eine Vielzahl von Nationen mit neuen, gesteigerten Zielsetzungen im Klimaschutz fand zu einer «Koalition der hohen Ambitionen» zusammen und begründeten damit ein neues Zeitalter des Multilateralismus – eine Art exklusiven «Klima-Club».

Die Anzahl der Nationen, die sich zu einem Netto-Null-Emissionsziel bekennen, ist dabei mit 75 beachtlich. Relevant ist aber nicht die Anzahl beteiligter Nationen, sondern der damit abgedeckte Fussabdruck beim Handel und beim Ausstoss von Treibhausgasen. Bedeutend an der aktuellen Entwicklung ist deshalb, dass nebst Europa und einigen weiteren wichtigen Emittenten vor allem auch die USA und China einbezogen sind. Die Koalition deckt erstmals rund 65 Prozent der weltweiten Emissionen ab. Auch der Weg zur Umsetzung der ambitionierten Ziele wird immer klarer: ein gemeinsamer Kohlenstoffpreis. Zentral ist dabei das Argument, dass die Bepreisung von Treibhausgasen die bessere Option darstellt, als das Inkaufnehmen der langfristigen Risiken, die aufgrund steigender Durchschnittstemperaturen drohen. Bei der Bepreisung von Treibhausgasen sieht es zudem gemäss der letzten OECD-Übersicht bereits deutlich besser aus, als gemeinhin angenommen. Zwar besteht bei den meisten Nationen noch eine Lücke zum anzustrebenden Preis, diese Lücken verkleinern sich aber kontinuierlich.

Ein weltweiter Preis für Treibhausgasemissionen und damit global vergleichbare Rahmenbedingungen rücken mit dieser Entwicklung deutlich näher. Letztlich müssen die Anreize weltweit funktionieren, damit die Klimaentwicklung in die politisch gewünschte Richtung geht. Wirkung kann nur erzielt werden, wenn die internationale Abstimmung gelingt und alle beitragen können.