Symbolbild: Hand pickt Rosine von Müsli

Warum es falsch ist, die Op­fer­rol­le ein­zu­neh­men

Fak­ten­check Nr. 9 zum Rah­men­ab­kom­men: Die Geg­ner des Rah­men­ab­kom­mens mit der EU be­haup­ten, die neue Guil­lo­ti­ne­klau­sel mache das Rah­men­ab­kom­men zu einem «Un­ter­wer­fungs­ver­trag» oder zu einem «Ko­lo­ni­al­ver­trag». Unser Fak­ten­check zeigt, warum es falsch ist, sich hier in der Op­fer­rol­le zu sehen.

Be­haup­tung: Die neue Guil­lo­ti­ne­klau­sel macht das Rah­men­ab­kom­men zu einem «Ko­lo­ni­al-», «Kne­bel-», «Knecht-» oder «Un­ter­wer­fungs-Ver­trag».

Tat­sa­chen: Wie die meis­ten Ver­trä­ge ent­hält auch das Rah­men­ab­kom­men eine Kün­di­gungs­klau­sel. Diese neue «Guil­lo­ti­ne­klau­sel» – es be­steht be­reits heute eine, die die Bi­la­te­ra­len I ver­knüpft – be­deu­tet, dass bei einer Kün­di­gung des Ab­kom­mens au­to­ma­tisch alle Bin­nen­markt­ab­kom­men weg­fal­len, die die Schweiz und die EU bis­her ab­ge­schlos­sen haben. Und neue Bin­nen­markt­ab­kom­men sind in einem sol­chen Fall aus­ge­schlos­sen.

Auch die fünf be­ste­hen­den Bin­nen­markt­ab­kom­men, für die der Rah­men­ver­trag gilt – also Per­so­nen­frei­zü­gig­keit, Land­wirt­schaft, Land- und Luft­ver­kehr sowie die ge­gen­sei­ti­ge An­er­ken­nung von Pro­dukt­zer­ti­fi­zie­run­gen – , wür­den in einem sol­chen Fall be­en­det. Aus min­des­tens fünf Grün­den macht dies das Rah­men­ab­kom­men aber nicht zu einem «Kne­bel­ver­trag»:

  1. Das Schwei­zer Stimm­volk hat aus frei­en Stü­cken Ja zu den be­ste­hen­den Bin­nen­markt­ab­kom­men ge­sagt. Auch über das Rah­men­ab­kom­men würde es di­rekt­de­mo­kra­tisch, per Volks­ab­stim­mung, ent­schei­den. Der Schweiz wird also nichts auf­ge­zwun­gen.
  2. Neue Bin­nen­markt­ab­kom­men wür­den bei einer Kün­di­gung des Rah­men­ab­kom­mens au­to­ma­tisch weg­fal­len. Das ist nach­voll­zieh­bar: Ohne Rah­men­ab­kom­men gäbe es auch keine neuen Bin­nen­markt­ab­kom­men. Eben­so än­dert das Rah­men­ab­kom­men die fünf be­ste­hen­den Ab­kom­men. Denn neu kann die Schweiz ihre In­ter­es­sen auch auf dem Weg eines Schieds­ver­fah­rens durch­set­zen. Ge­gen­mass­nah­men bei Nicht­ein­hal­tung einer Regel müs­sen künf­tig ver­hält­nis­mäs­sig aus­fal­len.
  3. Auch die be­ste­hen­de Guil­lo­ti­ne­klau­sel der Bi­la­te­ra­len I bleibt mit dem Rah­men­ver­trag in Kraft. Die Wahr­schein­lich­keit, dass diese zur An­wen­dung kommt, wäre in Zu­kunft aber klei­ner. Denn das Rah­men­ab­kom­men würde Streit­fäl­le in ge­ord­ne­te Bah­nen len­ken und sieht ver­hält­nis­mäs­si­ge Sank­tio­nen vor.
  4. Die Schweiz er­hält beim Rah­men­ab­kom­men auch das Recht auf Mit­ar­beit bei der Ent­wick­lung künf­ti­ger Re­geln in den Be­rei­chen, die durch bi­la­te­ra­le Bin­nen­markt­ab­kom­men ab­ge­deckt wer­den. Das ist ein Sou­ve­rä­ni­täts­ge­winn, den Kne­bel­ver­trä­ge nicht vor­se­hen.
  5. Die EU will mit dem Rah­men­ab­kom­men dafür sor­gen, dass für die Schwei­zer Teil­nah­me am eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt die glei­chen Re­geln wie für die an­de­ren Teil­neh­mer gel­ten. Wer nicht als Ro­si­nen­pi­cker da­ste­hen will, müss­te mit die­sem Vor­ha­ben ein­ver­stan­den sein.

Üb­ri­gens: Wuss­ten Sie, wer welt­weit am meis­ten Ro­si­nen pickt? Die Top drei fin­den sich in Eu­ro­pa – zu­min­dest teil­wei­se! Grie­chen­land kon­su­miert durch­schnitt­lich 3,4 Ki­lo­gramm ge­trock­ne­ter Wein­bee­ren pro Kopf und Jahr. Die Grie­chen neh­men damit welt­weit die Spit­zen­po­si­ti­on ein (2004). Die­ser er­höh­te Ver­brauch steht laut Be­ob­ach­tern mit dem Kon­sum von Ouzo in Ver­bin­dung. An­schlies­send folgt die Tür­kei mit 2,7 Ki­lo­gramm pro Kopf – hier wird viel Raki ge­trun­ken – und die Nie­der­lan­de, mit 2,5 Ki­lo­gramm pro Kopf. Üb­ri­gens ist «Ro­si­ne» so­wohl der Ober­be­griff für ge­trock­ne­te Wein­bee­ren als auch die Be­zeich­nung einer be­stimm­ten Sorte unter den Wein­bee­ren.


FAK­TEN­CHECK RAH­MEN­AB­KOM­MEN

In un­se­rer Som­mer­se­rie «Fak­ten­checks zum Rah­men­ab­kom­men» sind be­reits fol­gen­de Bei­trä­ge er­schie­nen:

1. Uups! 60 Pro­zent des Stimm­vol­kes glatt ver­ges­sen

2. Dür­fen wir nur noch im Som­mer schwim­men?

3. Warum An­ge­la Mer­kel nie Bun­des­rä­tin wer­den kann

4. Wie das Rah­men­ab­kom­men un­se­re Sou­ve­rä­ni­tät stärkt

5. Die Steu­er­ho­heit der Kan­to­ne bleibt ge­wahrt

6. Rah­men­ab­kom­men stärkt Schwei­zer Bil­dungs­sys­tem

7. Lohn­schutz bleibt Sache der So­zi­al­part­ner

8. Die Mär vom Tod der Kan­to­nal­ban­ken

10. Un­se­re Agrar­po­li­tik bleibt ei­gen­stän­dig