Vom Schmet­ter­ling zum Mons­ter

Vom Staat ver­füg­te Netz­sper­ren lösen die Her­aus­for­de­run­gen der di­gi­ta­li­sier­ten und ver­netz­ten Welt nicht. Sie sind nicht nur nutz­los, son­dern grei­fen ge­fähr­lich in die In­for­ma­ti­ons- und Wirt­schafts­frei­heit ein. Trotz oft­mals gut ge­mein­ter Ab­sich­ten sind sie klar ab­zu­leh­nen. Eine brei­te Al­li­anz von Tech­no­lo­gie­ver­bän­den in der Schweiz brach­te dies heute zum Aus­druck. 

Ken­nen Sie die Ge­schich­te des Schmet­ter­lings, des­sen Flü­gel­schlag am an­de­ren Ende der Welt einen Mons­ter­sturm aus­löst? Sie be­schreibt das Phä­no­men, dass kleins­te Ab­wei­chun­gen lang­fris­tig ein gan­zes Sys­tem voll­stän­dig ver­än­dern kön­nen. Ge­ra­de bei re­gu­la­to­ri­schen Ein­grif­fen pas­siert das oft. Gerne wird das über­se­hen. Ob ab­sicht­lich oder nicht, das Re­sul­tat ist dabei das­sel­be: Leicht­fer­tig wer­den bei wich­ti­gen Grund­sät­zen die Wei­chen falsch ge­stellt.

Bei­spiel Geld­spiel­ge­setz

So ge­sche­hen die­ses Früh­jahr im Stän­de­rat: Beim Geld­spiel­ge­setz hat er sich ganz grund­sätz­lich für Ab­schot­tung und Zen­sur im In­ter­net aus­ge­spro­chen. Nun liegt es am Na­tio­nal­rat, das in quasi letz­ter Mi­nu­te zu kor­ri­gie­ren. Doch auch dort scheint der Blick für das We­sent­li­che zu feh­len. 

Kon­kret geht es darum: Seit der letz­ten Re­vi­si­on des Geld­spiel­ge­set­zes sind auch in der Schweiz gros­se Ca­si­nos zu­ge­las­sen. Im In­ter­net dür­fen sie al­ler­dings keine Glücks­spie­le an­bie­ten.

Gröss­ten­teils un­be­merkt von der Öf­fent­lich­keit hat unser Stän­de­rat damit zum Schutz der hie­si­gen Ca­si­nos das In­ter­net zen­su­riert.

Rück­bli­ckend war dies ein Feh­ler. Es wurde un­ter­schätzt, wie dy­na­misch sich das Glücks­spiel ge­ra­de im In­ter­net ent­wi­ckelt. Heute sehen sich die Schwei­zer Ca­si­nos wach­sen­der Kon­kur­renz aus dem Aus­land aus­ge­setzt. Das Nach­se­hen haben ins­be­son­de­re jene, die vom hie­si­gen Glücks­spiel pro­fi­tie­ren: dar­un­ter Lot­te­rie­fonds, Sport­ver­bän­de und die AHV. Der Ent­scheid des Stän­de­rats war daher über­fäl­lig, den Schwei­zer Ca­si­nos nun das Recht zu­zu­ge­ste­hen, auch on­line ihre Kun­den an­zu­spre­chen. 

Der Stän­de­rat will das In­ter­net zen­su­rie­ren – mit Netz­sper­ren

Der Stän­de­rat will al­ler­dings noch wei­ter­ge­hen. Und schiesst dabei weit über das Ziel hin­aus: Er will es un­kon­zes­sio­nier­ten aus­län­di­schen An­bie­tern nicht nur ver­bie­ten, Schwei­zer In­ter­net­nut­zern Glücks­spie­le an­zu­bie­ten, er will auch (ver­meint­lich) si­cher­stel­len, dass die­ses Ver­bot Wir­kung zeigt.

Wie soll das im In­ter­net funk­tio­nie­ren? Die Ant­wort des Stän­de­rats: mit staat­lich ver­füg­ten Netz­sper­ren. Die In­ter­net­nut­zer in der Schweiz sol­len von Ge­set­zes wegen und auf Bie­gen und Bre­chen von aus­län­di­schen An­ge­bo­ten fern­ge­hal­ten wer­den. Bun­des­be­am­te müss­ten dazu Sperr­lis­ten er­stel­len und diese stets ak­tua­li­sie­ren. Die In­ter­net­an­bie­ter wie­der­um müss­ten alle An­ge­bo­te, die auf die­ser Liste sind, für Zu­grif­fe aus der Schweiz sper­ren.

Gröss­ten­teils un­be­merkt von der Öf­fent­lich­keit hat unser Stän­de­rat damit zum Schutz der hie­si­gen Ca­si­nos das In­ter­net zen­su­riert. 

Netz­sper­ren scha­den der Wirt­schaft mas­siv

Sol­che Sper­ren sind nicht ge­recht­fer­tigt, auch nicht im Be­reich des Glücks­spiels. Nicht ein­mal bei schwe­ren De­lik­ten gibt es bis­lang in der Schweiz Netz­sper­ren. Das ist – wie auch Er­fah­run­gen im Aus­land zei­gen – auch rich­tig so. 

Netz­sper­ren brin­gen nichts, da sie leicht um­gan­gen wer­den kön­nen. Und sie scha­den der Schwei­zer Wirt­schaft: Diese braucht ein of­fe­nes, si­che­res und sta­bi­les In­ter­net, um web­ba­sier­te Dienst­leis­tun­gen an­zu­bie­ten oder un­ter­neh­mens­in­ter­ne Pro­zes­se ef­fi­zi­ent durch­zu­füh­ren. Netz­sper­ren grei­fen mas­siv in die­ses Sys­tem ein und be­schä­di­gen die Netz­in­fra­struk­tur.

Schliess­lich hät­ten sol­che Sper­ren einen po­li­ti­schen Damm­bruch zur Folge: Uber passt der Po­li­tik nicht? Netz­sper­ren. Za­lan­do passt der Po­li­tik nicht? Netz­sper­ren. Airb­nb passt der Po­li­tik nicht? Netz­sper­ren. 

Man er­kennt, wel­che Ge­fah­ren in der ir­ri­gen Denk­wei­se ste­cken, dass sich mit Netz­sper­ren die Her­aus­for­de­run­gen der tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lung lösen las­sen. Die in­ter­na­tio­nal ver­netz­te Schweiz pro­fi­tiert davon, dass das Netz frei ist. Dass Un­ter­neh­men über das In­ter­net ihre Kun­den glo­bal be­die­nen kön­nen. Und dass Schwei­zer Fir­men er­folg­reich – ge­ra­de auch aus der Schweiz her­aus – im Aus­land agie­ren.

Die Po­li­tik muss sich zum of­fe­nen Netz be­ken­nen

Eine Al­li­anz gros­ser Tech­no­lo­gie­ver­bän­de und Un­ter­neh­men hat heute in einer Me­di­en­mit­tei­lung auf die Ge­fah­ren von Netz­sper­ren hin­ge­wie­sen. eco­no­mie­su­is­se steht hin­ter die­sen For­de­run­gen und spricht sich klar gegen Netz­sper­ren aus. Fast täg­lich ist von der Di­gi­ta­li­sie­rung der Wirt­schaft die Rede. Ge­schäfts­mo­del­le ver­än­dern sich. Die Ab­hän­gig­keit vom frei­en In­ter­net für die hie­si­ge Wirt­schaft nimmt ste­tig zu. Eine klei­ne Wei­chen­stel­lung – ver­gleich­bar mit dem Flü­gel­schlag des ein­gangs er­wähn­ten Schmet­ter­lings – kann also mas­si­ve Aus­wir­kun­gen auf unser gan­zes Wirt­schafts­sys­tem haben. 

Es ist an der Zeit, dass die Po­li­tik dies er­kennt und sich zum of­fe­nen Netz be­kennt. Die im Stän­de­rat be­schlos­se­nen Sper­ren wir­ken auf den ers­ten Blick wie ein klei­ner Ein­griff zu­guns­ten der hie­si­gen Glücks­spiel­bran­che. Sie hät­ten aber weit­rei­chen­de Fol­gen für die Wirt­schaft und die In­for­ma­ti­ons­frei­heit. Es ist nun am Na­tio­nal­rat, den Schmet­ter­ling zu zäh­men, bevor er zum Mons­ter wird.