Versicherungsprinzip gilt auch bei der Kostendämpfung
Gesundheitsökonomisch ist die Sache klar: Eine Steuerung der medizinischen Versorgung über die Kosten kann nicht funktionieren. Ist man mit dem Resultat eines Versicherungssystems nicht zufrieden, muss man dessen Eckpfeiler verändern: Leistungsumfang, Leistungsanspruch oder Kostenbeteiligung. Wenn man aber versucht, Mengen zu steuern oder Tarife zu senken, weil «zu viel» abgerechnet wird, kommt man in Teufels Küche. Das meint auch Prof. Ueli Kieser, der eine Studie im Auftrag der Ärztegesellschaft FMH durchgeführt hat. Der Jurist hat eine verfassungsrechtliche Beurteilung einiger vorgeschlagener Kostendämpfungsmassnahmen vorgenommen.
Das Fazit von Prof. Kieser lautet: Kostenziele in der Grundversicherung verletzen das Versicherungsprinzip. Darüber hinaus beurteilt er auch degressive Tarife kritisch, wenn diese mit der einzigen Begründung eines Kostenziels eingeführt werden. Degressive Tarife seien nur zulässig, wenn betriebswirtschaftliche Aspekte dies nahelegen würden oder der bisherige Tarif nicht auf einer sachgerechten Struktur beruhe. Die Bundesverfassung gibt nämlich vor, dass die schweizerische Krankenversicherung als Versicherung zu konzipieren ist. Dies bedeutet, dass die versicherten Risiken (Krankheit, Unfall, Mutterschaft) umschrieben werden und festgelegt wird, welche Leistungen beim Risikoeintritt beansprucht werden können.
Das heutige Krankenversicherungsrecht setzt dieses Versicherungsprinzip folgerichtig um und ordnet dabei den Leistungserbringenden (Ärztinnen und Ärzte, Spitäler usw.) ein wesentliches Gewicht zu. Neben dieser in Art. 117 BV festgelegten Vorgabe fallen auf Verfassungsebene auch die Rechtsgleichheit, das Verhältnismässigkeitsprinzip sowie das Legalitätsprinzip ins Gewicht.
Willkürliche Rationierungen sind nicht legal
Mit anderen Worten haben alle Menschen den gleichen Rechtsanspruch auf Gesundheitsleistungen – egal, ob sie nun beispielsweise im Januar oder im Dezember behandelt werden müssen. Willkürliche Rationierungen sind verboten. Die Massnahmen müssen zudem verhältnismässig sein. Harte Einschnitte sind nur erlaubt, wenn schwerwiegende Probleme vorliegen. Grundsätzlich muss sich alle Verwaltungstätigkeit an das Gesetz binden. Denn bei der Vergütung von krankenversicherungsrechtlichen Leistungen liegt ein Bereich der Leistungsverwaltung vor; hier gilt nach allgemeiner Auffassung das Legalitätsprinzip.
Erstaunliche Übereinstimmung in der Beurteilung
Dass ökonomische und juristische Betrachtungen zum selben Schluss kommen, ist erwähnenswert. Es sollte die Politik wachrütteln, damit sie den Fokus auf korrekte Rahmenbedingungen für die Krankenversicherung legt. Wer die Kosten dämpfen will, muss der Bevölkerung reinen Wein einschenken und drei Fragen beantworten:
- Wer hat Anspruch auf welche Leistungen?
- Welchen Kostenanteil muss man selbst bezahlen?
- Welche Leistungen sind wirksam, wirtschaftlich und zweckmässig?
Kostenziele sind nicht nur verfassungswidrig und ökonomisch fragwürdig, sondern gaukeln der Bevölkerung auch vor, dass eine Kosteneindämmung keine Konsequenzen auf ihre Versorgung habe.