Richterhammer

Kein bit­te­rer Nach­ge­schmack für Kon­su­mie­ren­de

Sam­mel­kla­gen wer­den als Heil­mit­tel im Kampf für gleich lange Spies­se mit den Un­ter­neh­men an­ge­prie­sen. Doch diese Be­haup­tung ist rea­li­täts­fern und birgt auch viele Ge­fah­ren. Ein ein­fa­che­rer Zu­gang zum Recht sowie pro­fes­sio­nel­le Streit­bei­le­gung sind die Ant­wort auf be­ste­hen­de Her­aus­for­de­run­gen.

Zur Freu­de einer hand­voll spe­zia­li­sier­ter Sam­mel­klä­ger­an­wäl­te und den hin­ter ihnen ste­hen­den Fi­nan­zie­rern hat sich in den USA, dem Stamm­land der Sam­mel­kla­gen, unter dem Be­griff «The Food Court» eine Kla­ge­in­dus­trie gegen Le­bens­mit­tel­pro­du­zen­ten her­an­ge­bil­det. Konn­ten Kon­su­men­ten zu­nächst noch über die ab­stru­sen Kla­gen wegen zu­viel Eis im Eis­kaf­fee herz­haft la­chen, zei­gen sich diese je län­ger je be­sorg­ter. Die ak­tu­el­le US-Stu­die «The Food Court» des «In­sti­tu­te for Legal Re­form» vom Au­gust 2021 zeigt, dass ein ein­zel­ner spe­zia­li­sier­ter Sam­mel­klä­ger­an­walt der Draht­zie­her hin­ter mehr als der Hälf­te aller 2019/2020 im Glied­staat New York ein­ge­reich­ten Sam­mel­kla­gen ist. Sein Ste­cken­pferd ist die Be­kämp­fung von Le­bens­mit­teln mit Va­nil­le­ge­schmack, zu denen er be­reits mehr als 100 (!) un­ter­schied­li­che Sam­mel­kla­gen kon­stru­ier­te. Doch damit nicht genug. Er kämpft auch gegen «Yu­mi­ons-Chips» oder Ka­rot­ten­ku­chen­do­nuts, weil die­sen Pro­duk­ten die Vor­zü­ge fri­scher Zwie­beln be­zie­hungs­wei­se ech­ter Ka­rot­ten feh­len. Er macht dabei weder Schä­den noch Ge­fah­ren für Kon­su­men­ten gel­tend, son­dern er bringt vor, die Kon­su­men­ten seien durch die Be­schrif­tung der Pro­duk­te in die Irre ge­führt wor­den. Damit sol­len Un­ter­neh­men durch die Aus­sicht auf zu teure und lang­wie­ri­ge Ge­richts­ver­fah­ren mit­tels Ver­gleich in die Knie ge­zwun­gen wer­den. Die Kon­su­men­ten gehen bei die­sen Ver­glei­chen re­gel­mäs­sig ganz oder fast leer aus. Be­las­tet wer­den aber die Ge­richts­sys­te­me und die die Kla­gen ab­weh­ren­den Un­ter­neh­men, so das Fazit der ge­nann­ten Stu­die.

Auch Kon­su­mie­ren­de ver­lie­ren, da Pro­duk­te­prei­se stei­gen

Sam­mel­kla­gen oder all­ge­mein In­stru­men­te des kol­lek­ti­ven Rechts­schut­zes lösen keine Pro­ble­me, son­dern schaf­fen neue. In ers­ter Linie be­flü­geln diese die Kla­ge­in­dus­trie und die Phan­ta­sie der auf Sam­mel­kla­gen spe­zia­li­sier­ten An­wäl­te. Für Kon­su­men­tin­nen und Kon­su­men­ten mögen die Vor­tei­le des kol­lek­ti­ven Rechts­schut­zes zu­nächst ver­lo­ckend klin­gen, weil man als Tritt­brett­fah­rer pro­fi­tie­ren kann. Doch das ist nur die eine Seite der Me­dail­le. Denn Sam­mel­kla­gen set­zen zu oft eine ge­fähr­li­che Spi­ra­le im Zi­vil­pro­zess­recht in Gang, die nur schwer zu stop­pen ist. Um für recht­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen ge­wapp­net zu sein, müs­sen so­wohl die Klä­ger- wie auch die Be­klag­ten­sei­te einen gros­sen, teu­ren Stab an Fach­ex­per­tin­nen und -ex­per­ten be­schäf­ti­gen. Dies führ­te un­wei­ger­lich zu einer Kla­ge­in­dus­trie, die für alle Be­tei­lig­ten schäd­lich ist. Auch Kon­su­men­tin­nen und Kon­su­men­ten ver­lie­ren, da Un­ter­neh­men Kos­ten und Ri­si­ken ein­kal­ku­lie­ren und auf die Pro­duk­te­prei­se auf­schla­gen.

Mit den heu­ti­gen In­for­ma­ti­ons­quel­len sind wir in­for­mier­ter denn je

Die In­stru­men­te des kol­lek­ti­ven Rechts­schut­zes set­zen grund­sätz­lich am fal­schen Hebel zur Pro­blem­lö­sung an. We­ni­ger Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen Kon­su­men­tin­nen oder Kon­su­men­ten und Un­ter­neh­men er­rei­chen wir durch einen stär­ke­ren Fokus auf Scha­dens­ver­hin­de­rung und nicht durch den Aus­bau von Rechts­durch­set­zungs­in­stru­men­ten. Auch wenn Be­für­wor­ter des kol­lek­ti­ven Rechts­schut­zes in der Schweiz re­gel­mäs­sig vor­brin­gen, dass man ge­ra­de keine US-Ver­hält­nis­se an­stre­be und daher le­dig­lich «milde», we­ni­ger schäd­li­che und neue zi­vil­pro­zes­sua­le In­stru­men­te wolle, blei­ben auch sol­che immer stark miss­brauchs­an­fäl­lig. Mit den heute zur Ver­fü­gung ste­hen­den, di­gi­ta­len In­for­ma­ti­ons­quel­len sind die Kon­su­men­ten je­den­falls in­for­mier­ter denn je. Falls man davon aus­geht, dass beim Kon­su­men­ten­schutz Lü­cken be­ste­hen, müs­sen be­ste­hen­de Streit­bei­le­gungs­in­stru­men­te aus­ge­baut und neue Schieds- und Om­buds­ver­fah­ren ge­prüft wer­den. Diese In­stru­men­te sind ef­fi­zi­en­ter, nach­weis­lich güns­ti­ger als Sam­mel­kla­gen und schaf­fen vor allem we­ni­ger «Zi­vil­pro­zess-Pro­fi­teu­re» ge­mäss ame­ri­ka­ni­schem Bei­spiel. Zudem emp­fin­den die be­tei­lig­ten Par­tei­en die er­ziel­ten Er­geb­nis­se oft­mals als «ge­rech­ter», was für den Er­halt des Rechts­frie­dens in un­se­rem Land nicht zu un­ter­schät­zen ist.

Die Wirt­schaft un­ter­stützt die ak­tu­ell durch das Par­la­ment be­ra­te­ne Re­vi­si­on der schwei­ze­ri­schen Zi­vil­pro­zess­ord­nung und damit ein­her­ge­hend auch die zahl­rei­chen vor­aus­sicht­lich bald in Kraft tre­ten­den Ver­bes­se­run­gen zur Er­leich­te­rung des Zu­gangs zum Recht. Dar­über hin­aus­ge­hen­de Ge­set­zes­vor­la­gen mit nach­tei­li­gen, miss­brauchs­an­fäl­li­gen In­stru­men­ten aus an­de­ren Rechts­sys­te­men ber­gen die Ge­fahr, ge­ra­de auch bei den Kon­su­men­ten statt süss­li­chem Va­nil­le­duft einen bit­te­ren Nach­ge­schmack zu hin­ter­las­sen.

Die Erst­pu­bli­ka­ti­on die­ses Tex­tes er­folg­te im «Kon­su­men­ten­fo­rum» vom No­vem­ber 2021.