Arbeiter lotst Lastwagen, im Hintergrund Frachtkontainer

In­dus­trie­zoll­ab­bau: Ver­pass­te Chan­ce im ent­schei­den­den Mo­ment

Mit sei­ner ab­leh­nen­den Hal­tung zum In­dus­trie­zoll­ab­bau setzt der Na­tio­nal­rat in Kri­sen­zei­ten das ab­so­lut fal­sche Si­gnal für den hie­si­gen Wirt­schafts­stand­ort. An­ge­sichts der schwie­ri­gen Wirt­schafts­la­ge wären po­si­ti­ve, ein­fach und breit an­wend­ba­re Im­pul­se sei­tens der Po­li­tik es­sen­zi­ell ge­we­sen.

Die Na­tio­nal­rä­te stell­ten sich mit 108 zu 83 Stim­men bei 4 Ent­hal­tun­gen gegen den Abbau von In­dus­trie­z­öl­len. Dabei hält der Bun­des­rat in sei­ner Bot­schaft ans Par­la­ment klar fest, wie wich­tig es für die of­fe­ne und in­ter­na­tio­nal ver­netz­te Schwei­zer Volks­wirt­schaft ist, die wirt­schafts­po­li­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen wo immer mög­lich zu op­ti­mie­ren. Dies gilt umso mehr an­ge­sichts der im­men­sen wirt­schaft­li­chen Her­aus­for­de­run­gen auf­grund der Co­ro­na-Krise. Die Wirt­schaft ist ent­täuscht über den na­tio­nal­rät­li­chen Ent­scheid.

Un­nö­ti­ge Mehr­kos­ten für Fir­men und Kon­su­men­ten

Das Re­sul­tat der Na­tio­nal­rats­de­bat­te ist un­ver­ständ­lich, vor allem an­ge­sichts der of­fen­sicht­li­chen Vor­tei­le durch die Ab­schaf­fung der Im­port­zöl­le auf In­dus­trie­pro­duk­te. Zu die­sen Vor­tei­len zäh­len ge­rin­ge­re Kos­ten für Un­ter­neh­men, tie­fe­re Prei­se für Kon­su­men­ten, Ein­spa­run­gen auf­sei­ten der Zoll­ver­wal­tung und eine hö­he­re Wett­be­werbs­fä­hig­keit der Volks­wirt­schaft.

In die­ser schwie­ri­gen Lage hätte durch den Zoll­ab­bau das wirt­schafts­po­li­ti­sche Um­feld für Schwei­zer Un­ter­neh­men lang­fris­tig ver­bes­sert wer­den kön­nen. Für die Wirt­schaft wür­den die Be­schaf­fungs­kos­ten jähr­lich um über 500 Mil­lio­nen Fran­ken sin­ken, so­wohl für Vor­leis­tungs­gü­ter der Ex­port­in­dus­trie als auch für Kon­sum­gü­ter für den Schwei­zer Markt. Die Mass­nah­me würde hie­si­gen Un­ter­neh­men und der Ver­wal­tung zudem eine wich­ti­ge ad­mi­nis­tra­ti­ve und fi­nan­zi­el­le Ent­las­tung ver­schaf­fen. Dies würde ins­be­son­de­re KMU zu­gu­te­kom­men.

Mit dem In­dus­trie­zoll­ab­bau gin­gen aus­ser­dem auch Vor­tei­le für Kon­su­men­tin­nen und Kon­su­men­ten ein­her. Auf­grund des gros­sen Kon­kur­renz­drucks im De­tail­han­del kann von einer Wei­ter­ga­be der Kos­ten­ein­spa­run­gen an die End­kun­den aus­ge­gan­gen wer­den. So würde auch das Porte­mon­naie einer vier­köp­fi­gen Fa­mi­lie ge­mäss Stu­di­en um jähr­lich rund 170 Fran­ken ge­schont. Damit dient die­ses Ge­schäft als ein wich­ti­ger As­pekt unter vie­len auch der Be­kämp­fung der Hoch­preis­in­sel. Davon wür­den auch die Schwei­zer Bau­ern pro­fi­tie­ren, auch wenn ihre Trak­to­ren wegen Spe­zi­al­an­fer­ti­gun­gen etwas teu­rer sind als im Aus­land und nicht wegen des hohen Schwei­zer Preis­ni­veaus.

Po­si­ti­ve volks­wirt­schaft­li­che Ge­win­ne über­wie­gen

Die feh­len­den Zoll­ein­nah­men wer­den durch Wohl­fahrts­ge­win­ne von jähr­lich 860 Mil­lio­nen Fran­ken mehr als auf­ge­wo­gen. Daher ist die­ses Ge­schäft auch in den ak­tu­el­len fi­nanz­po­li­tisch schwie­ri­gen Zei­ten eine wich­ti­ge und not­wen­di­ge An­pas­sung, die nicht auf­ge­scho­ben wer­den darf. So führt der mit dem In­dus­trie­zoll­ab­bau ver­bun­de­ne Wachs­tums­ef­fekt bei gleich­blei­ben­den Steu­er­sät­zen und Pro-Kopf-Ein­kom­men zu hö­he­ren Steu­er­ein­nah­men. Die po­si­ti­ven ge­samt­wirt­schaft­li­chen Aus­wir­kun­gen des Zoll­ab­baus ent­kräf­ten die ge­rin­ge­ren Ein­nah­men als Ar­gu­ment gegen die Vor­la­ge voll­um­fäng­lich.

Kein mas­si­ver Druck auf Agrar­zöl­le

Be­den­ken über mög­li­che Aus­wir­kun­gen auf Agrar­zöl­len in Frei­han­dels­ver­hand­lun­gen haben in der Rats­de­bat­te eine wich­ti­ge Rolle ge­spielt. Al­ler­dings be­trifft der Zoll­ab­bau nur In­dus­trie­pro­duk­te und schliesst Agrar­gü­ter be­wusst aus. Agrar­zöl­le wer­den auch in Zu­kunft wie bis anhin stets unter Rück­sicht­nah­me auf die Be­son­der­hei­ten im Schwei­zer Agrar­sek­tor be­han­delt. In­dus­trie­z­öl­le hin­ge­gen spie­len be­reits heute in Frei­han­dels­ver­hand­lun­gen eine un­ter­ge­ord­ne­te Rolle. An­de­re In­stru­men­te wie zum Bei­spiel Dienst­leis­tun­gen und geis­ti­ges Ei­gen­tum sind in mo­der­nen, um­fas­sen­de­ren Frei­han­dels­ab­kom­men wich­ti­ger als Zoll­ta­ri­fe. Aus­ser­dem pro­fi­tie­ren Ent­wick­lungs­län­der be­reits von Zoll­ver­güns­ti­gun­gen durch das all­ge­mei­ne Prä­fe­renz­sys­tem APS. 

Rah­men­be­din­gun­gen für die Zu­kunft – jetzt liegt der Ball beim Stän­de­rat

Neben der ak­tu­el­len Kri­sen­be­wäl­ti­gung würde der Abbau auch lang­fris­tig hel­fen. Denn als pro­tek­tio­nis­ti­sche Schutz­mass­nah­me haben In­dus­trie­z­öl­le in der Schweiz schon lange aus­ge­dient. Heute ver­ur­sa­chen Zölle auf In­dus­trie­pro­duk­te nur Mehr­kos­ten und brem­sen so Pro­duk­ti­vi­tät, In­no­va­tions- und Wett­be­werbs­fä­hig­keit. Mit ihrem Ent­scheid hat es die Gros­se Kam­mer ver­passt, die nö­ti­gen An­pas­sun­gen für einen mo­der­nen Schwei­zer Wirt­schafts­stand­ort vor­zu­neh­men. Dabei wäre der In­dus­trie­zoll­ab­bau eine ein­fa­che Mög­lich­keit für die nach­hal­ti­ge Ver­bes­se­rung der wirt­schaft­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen ge­we­sen. Nun ist es am Stän­de­rat, dies zu kor­ri­gie­ren – im In­ter­es­se von Wirt­schaft und Kon­su­mie­ren­den.

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