Ist China schuld am Han­dels­bi­lanz­de­fi­zit der USA?

Das Han­dels­bi­lanz­de­fi­zit lies­se sich ein­däm­men, wenn die Ame­ri­ka­ner we­ni­ger kon­su­mier­ten und der Staat we­ni­ger aus­gä­be. Doch weil die USA die glo­ba­le Leit­wäh­rung hal­ten, ist das gar nicht nötig.

Der Han­dels­kon­flikt zwi­schen den USA und China hält die Welt in Atem. Kürz­lich hat Prä­si­dent Trump an­ge­kün­digt, per 1. Sep­tem­ber auf alle noch nicht be­trof­fe­nen Waren aus China einen Straf­zoll von zehn Pro­zent ein­zu­füh­ren. Kurz dar­auf liess die chi­ne­si­sche No­ten­bank zu, dass der Wech­sel­kurs des Ren­min­bis zum Dol­lar die psy­cho­lo­gisch wich­ti­ge Gren­ze von 7 über­schritt. Trumps Re­ak­ti­on liess nicht lange auf sich war­ten, er be­zeich­ne­te China als «Wäh­rungs­ma­ni­pu­la­tor». Der Kon­flikt nimmt so immer ge­fähr­li­che­re For­men an.

Auf den ers­ten Blick mag man ein ge­wis­ses Ver­ständ­nis für das Un­wohl­sein der Ame­ri­ka­ner an­ge­sichts des un­aus­ge­gli­che­nen Han­dels mit China haben, denn in der Tat ist das Han­dels­de­fi­zit der USA gi­gan­tisch. Sie ex­por­tie­ren jähr­lich Waren im Wert von rund 130 Mil­li­ar­den Dol­lar nach China, im­por­tie­ren um­ge­kehrt aber für rund 530 Mil­li­ar­den. Schnell sind Er­klä­run­gen zur Hand: Chi­nas Wäh­rung sei ge­gen­über dem Dol­lar zu schwach, China würde die US-Im­por­te be­nach­tei­li­gen und Ex­por­te sub­ven­tio­nie­ren. Nur des­halb sei die Bi­lanz der­art un­aus­ge­gli­chen.

Würde man die Han­dels­bi­lanz stets auf null re­strin­gie­ren, wäre der freie Aus­tausch von Gü­tern nicht mehr mög­lich.

Der Fokus auf die bi­la­te­ra­le Han­dels­bi­lanz ist aber aus drei Grün­den pro­ble­ma­tisch. Ers­tens er­fasst diese keine Dienst­leis­tun­gen. Ge­ra­de die USA sind sehr gut darin, sol­che welt­weit zu ver­kau­fen, sei dies in Form von In­vest­ment Ban­king, Soft­ware oder Rech­ten an geis­ti­gem Ei­gen­tum. Zwei­tens kann die Bi­lanz leicht Ver­zer­run­gen ent­hal­ten, wenn An­ga­ben des Ur­sprungs­lan­des nicht kor­rekt sind oder Waren um­fang­rei­che Vor­leis­tun­gen aus an­de­ren Län­dern ent­hal­ten. So gilt ein iPho­ne, das in China mon­tiert wird, an der Gren­ze als chi­ne­si­sches Pro­dukt, egal wie viel US-Know-how in der Ent­wick­lung steckt.

Der drit­te Grund ist grund­sätz­li­cher Natur: In einer mo­der­nen ar­beits­tei­li­gen Welt gibt es Spe­zia­li­sie­rung. Es ist daher völ­lig nor­mal, dass Land A ge­gen­über Land B ein Han­dels­bi­lanz­de­fi­zit auf­weist, wäh­rend es mit Land C einen Über­schuss er­zielt. Das ist ein in­hä­ren­ter We­sens­zug der Glo­ba­li­sie­rung. Würde man die Han­dels­bi­lanz zwi­schen zwei Län­dern stets auf null re­strin­gie­ren, wäre der freie Aus­tausch von Gü­tern nicht mehr mög­lich. Statt­des­sen müss­te man plan­wirt­schaft­li­che Ba­sa­re ver­an­stal­ten und bei­spiels­wei­se ein Flug­zeug gegen Ton­nen von Spiel­zeug tau­schen oder Erdöl gegen Uhren. Spe­zia­li­sie­rung, glo­ba­le Wert­schöp­fungs­ket­ten und folg­lich auch eine ef­fi­zi­en­te Res­sour­cen­al­lo­ka­ti­on wären in der heu­ti­gen Form un­mög­lich.

Der Fokus auf die bi­la­te­ra­le Han­dels­bi­lanz führt des­halb zu fal­schen Schlüs­sen. Denn wenn die Vor­wür­fe an China zu­trä­fen, müss­te es einen gi­gan­ti­schen Aus­sen­han­dels­über­schuss mit der Welt ins­ge­samt haben. Doch 2018 be­trug er nur 0,4 Pro­zent des Brut­to­in­land­pro­dukts. Der In­ter­na­tio­na­le Wäh­rungs­fonds (IWF) zählt China des­halb nicht mehr zu den Ver­ur­sa­chern glo­ba­ler Un­gleich­ge­wich­te. Ist gar der Ren­min­bi nicht mehr schwach? Zwar ist die ge­naue Er­mitt­lung des fai­ren Wäh­rungs­werts mit Schwie­rig­kei­ten ver­bun­den, doch die Ent­wick­lung ist ein­deu­tig: Ge­mäss dem IWF hat sich der Ren­min­bi seit der Fi­nanz­markt­kri­se bis heute real um etwa ein Drit­tel auf­ge­wer­tet.

Die Do­mi­nanz des Dol­lars ist seit dem Zwei­ten Welt­krieg un­an­ge­foch­ten.

Die Grün­de für das Han­dels­bi­lanz­de­fi­zit der USA sind des­halb wo­an­ders zu su­chen. Stel­len sie sich vor, sie wür­den Monat für Monat mehr aus­ge­ben als sie ein­neh­men, und ihre Schul­den so ste­tig ver­grös­sern. Es ginge nicht allzu lange, bis ihre Geld­ge­ber ner­vös wür­den und sie ihr Ver­hal­ten än­dern müss­ten. Was bei Pri­vat­per­so­nen gilt, gilt in der Regel auch für Staa­ten: Wenn sie über eine län­ge­re Zeit über die Ver­hält­nis­se leben, ma­chen sich die Gläu­bi­ger Sor­gen, ob die Schul­den auch zu­rück­ge­zahlt wer­den kön­nen. Die Zin­sen stei­gen und zwin­gen die Re­gie­run­gen, den Gür­tel enger zu schnal­len.

Doch die USA be­sit­zen die glo­ba­le Leit­wäh­rung. Der ehe­ma­li­ge fran­zö­si­sche Prä­si­dent Gis­card d’Es­ta­ing soll einst von einem «ex­or­bi­tan­ten Pri­vi­leg» ge­spro­chen haben. Fast zwei Drit­tel aller in­ter­na­tio­na­len Re­ser­ven wer­den in Dol­lar ge­hal­ten. Gegen 90 Pro­zent aller Trans­ak­tio­nen auf den De­vi­sen­märk­ten wer­den in Dol­lar ab­ge­wi­ckelt. Die Do­mi­nanz des Dol­lars ist seit dem Zwei­ten Welt­krieg un­an­ge­foch­ten. Weder der Euro noch der Ren­min­bi kön­nen sie wirk­lich her­aus­for­dern. Das bringt es mit sich, dass die Fi­nanz­markt­teil­neh­mer Dol­lar hal­ten, Staa­ten ihre Wäh­rung an den Dol­lar bin­den und in gros­sem Stil Dol­lar kau­fen, wenn die ei­ge­ne Wäh­rung zu stark zu wer­den droht. Der Dol­lar ist daher nicht nur die Wäh­rung der USA, son­dern der gan­zen Welt.

Der wahre Grund für das hohe Han­dels­bi­lanz­de­fi­zit ist also ein sim­pler: Weil die USA das ex­or­bi­tan­te Pri­vi­leg der glo­ba­len Leit­wäh­rung haben, kön­nen sie es sich leis­ten, jah­re­zehn­te­lang mehr zu kon­su­mie­ren, als sie spa­ren. Der Dol­lar bleibt stark, ob­wohl die Aus­län­der den ame­ri­ka­ni­schen Kon­sum fi­nan­zie­ren. In jedem an­de­ren Land käme die Wäh­rung län­ger­fris­tig unter Druck, denn das Aus­sen­han­dels­de­fi­zit muss kom­pen­siert wer­den durch Ka­pi­tal­im­por­te, im Ge­gen­satz zur Han­dels­bi­lanz muss die Zah­lungs­bi­lanz zwi­schen zwei Län­dern aus­ge­gli­chen sein. Aus­län­der müs­sen also Wil­lens sein, das Aus­sen­han­dels­de­fi­zit der USA zu über­neh­men. So fi­nan­zie­ren die Über­schuss­län­der die De­fi­zi­te, indem sie ame­ri­ka­ni­sche Staats­an­lei­hen oder an­de­re Ver­mö­gens­wer­te in den USA kau­fen. Sie tun dies frei­wil­lig, weil der Dol­lar un­an­ge­foch­ten die glo­ba­le Leit­wäh­rung ist.

Das hohe Han­dels­bi­lanz­de­fi­zit ist haus­ge­macht.

Das hohe Han­dels­bi­lanz­de­fi­zit der USA kann also nicht ein­fach China in die Schu­he ge­scho­ben wer­den. Viel­mehr ist es haus­ge­macht. Die US-Kon­su­men­ten spa­ren zwar mehr als auch schon, aber mit rund sie­ben Pro­zent des ver­füg­ba­ren Ein­kom­mens un­gleich we­ni­ger als die chi­ne­si­sche Be­völ­ke­rung mit rund 36 Pro­zent. Zudem gibt der ame­ri­ka­ni­sche Staat viel mehr aus, als er ein­nimmt. Auch die Steu­er­sen­kun­gen haben die Kon­junk­tur an­ge­regt. Eine nied­ri­ge Ar­beits­lo­sen­ra­te und eine gut ge­hen­de Wirt­schaft er­hö­hen nun die Nach­fra­ge nach aus­län­di­schen Pro­duk­ten.

Das Han­dels­bi­lanz­de­fi­zit lies­se sich also ganz ein­fach ein­däm­men, indem die Ame­ri­ka­ner we­ni­ger kon­su­mie­ren, mehr spa­ren und der Staat we­ni­ger aus­gibt. Doch so­lan­ge sie auf das ex­or­bi­tan­te Pri­vi­leg der glo­ba­len Leit­wäh­rung ver­trau­en kön­nen, ist das gar nicht nötig. Die Aus­län­der wer­den die De­fi­zi­te noch lange fi­nan­zie­ren. Üb­ri­gens: Wei­te­re Zins­sen­kun­gen des FED wür­den das Han­dels­bi­lanz­de­fi­zit kaum ver­rin­gern. Zwar würde dies den Dol­lar etwas schwä­chen und die Ex­por­te der USA ver­bil­li­gen, doch nied­ri­ge­re Zin­sen sti­mu­lie­ren auch den In­land­kon­sum und er­hö­hen so die Im­por­te.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag ist am 31. Au­gust 2019 in der «Fi­nanz und Wirt­schaft» er­schie­nen.