Fokus Inflation XIV: Reichen die Zinserhöhungen zur Zähmung der Teuerung?

Um die drastische Inflationsentwicklung zu bekämpfen, haben die grossen westlichen Zentralbanken 2022 schrittweise die Zinsen erhöht. Seither kostet Geld wieder etwas. Die Aktienmärkte haben mit einem miserablen Anlagejahr auf den Liebesentzug reagiert. Tatsächlich ist die Inflation nun rückläufig. Ist damit das Ende der geldpolitischen Straffung schon in Sicht? Wohl kaum. Die Rückkehr zu einer ordentlichen Geldpolitik ist noch ein weiter Weg: Dafür müssten auch die hohen Geldmengen im System reduziert werden.

Noch immer ist die Inflationsrate in vielen westlichen Ländern weit weg von jenen maximal zwei Prozent, die gemeinhin als Indikator für Preisstabilität gelten. So betrug die Teuerung im Dezember 2022 in den USA 6,5 Prozent oder im Euro-Raum 9,2 Prozent. Nur in der Schweiz war die Zwei-Prozent-Marke mit 2,8 Prozent zum gleichen Zeitpunkt nicht allzu weit entfernt. Positiv aber ist, dass die Inflationsraten sinken und – sollten die Energiepreise im Laufe des Jahres nicht wieder ansteigen – auch weiterhin rückläufig sein werden. Die Zinserhöhungen bewirken zusammen mit den erfolgten Preissteigerungen und dem Auslaufen des Corona-bedingten Nachholeffekts eine schwächere Wirtschaftsentwicklung. Der internationale Währungsfonds oder die OECD etwa gehen von einem Wachstum der Weltwirtschaft von bescheidenen 2,7 Prozent respektive 2,2 Prozent für 2023 aus. Dies wird die Preisauftriebe dämpfen.

Reicht also die eingeleitete Zinswende aus, um die Inflation nachhaltig in Richtung zwei Prozent zu reduzieren? Dies ist mehr als fraglich. Denn wenig beachtet wurde bisher, dass die Zinserhöhungen die Geldmenge M0 – das ist im Wesentlichen das Geld, welches auf Konten bei den Zentralbanken deponiert ist und derzeit den grössten Teil ihrer Bilanz ausmacht – nur wenig reduziert haben. Der grundlegende Zusammenhang zwischen den beiden Grössen ist der Folgende: Zinserhöhungen steigern die Kosten der Geldhaltung. Die Banken versuchen daher, das Geld von der Zentralbank abzuziehen, denn sie können diese Gelder zu einem positiven Zinssatz anlegen oder eine Bundesanleihe kaufen. Doch passiert dieser Vorgang derzeit?

 

 

Die Grafik zeigt eindrücklich, dass die Bilanzen der wichtigen Zentralbanken immer noch riesig sind. Während diese 2006 noch rund 5 Billionen Dollar betragen haben, belaufen sie sich heute immer noch auf das Sechsfache. Zwar haben sich die summierten Bilanzen in den letzten Monaten etwas verkleinert, sie sind aber immer noch weit grösser als vor der Corona-Krise. Von einer Normalisierung kann also noch keine Rede sein.

Hier mag man einwenden: Die massive Ausdehnung der Geldmenge hat ja lange, lange Zeit keinerlei Inflationsdruck erzeugt. Wieso sollte es seit Corona nun plötzlich anders sein? Neueste Untersuchungen zeigen, dass das Geldmengenwachstum in Zeiten von tiefen Inflationsraten in der Tat wenig Effekt zeitigt, in Phasen mit höherer Inflation hingegen schon. Dieser Zusammenhang scheint denn auch dafür mitverantwortlich zu sein, dass die Inflation nach Corona so stark angestiegen ist: Länder mit stärkerem Geldmengenwachstum verzeichneten eine deutlich höhere Inflationsrate.

Wieso aber ziehen die Banken ihre Gelder nicht vom Konto (in der Schweiz Girokonto) bei der Zentralbank ab, um die Gelder in zinsbringende Anlagen zu investieren? Hier muss man wissen, dass die Zentralbanken das Geld geschaffen haben, indem sie etwas damit gekauft haben. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat Fremdwährungen gekauft, die Europäische (EZB) und die US-amerikanische Zentralbank (FED) Staatsanleihen oder Unternehmensanleihen. Solange die Zentralbanken diese Aktiven aber nicht veräussern, bleibt die Geldmenge hoch. Es sind also die Zentralbanken, welche verhindern, dass M0 und damit die Bilanz rascher sinkt.

Damit stünden den Geschäftsbanken für die Kreditvergabe weiterhin sehr hohe Beträge zur Verfügung. Sie müssen ja nur einen sehr kleinen Teil der vergebenen Kredite mit Mindestreserven unterlegen, die bei der Zentralbank auf eben diesen Geldkonti deponiert sein müssen. In der Schweiz sind dies minimal 2,5 Prozent der massgeblichen Verbindlichkeiten der Geschäftsbanken. So lange also die Geldmenge (M0) sehr hoch bleibt, bremst sie die Kreditvergabe der Geschäftsbanken in keiner Weise. Mit anderen Worten: Bei steigenden Zinsen steigt aktuell das Interesse der Banken an einer Kreditvergabe, statt es wie in Zeiten, in denen Geld knapp ist, zu reduzieren.

Das historische Experiment der ultra-expansiven Geldpolitik ist entsprechend noch nicht zu Ende, sondern wir sehen derzeit erst den Anfang davon. Die Zinsen sind zwar gestiegen, die Geldmengen der Zentralbanken aber verbleiben auf riesigem Niveau. Entsprechend kann noch überhaupt nicht von einer restriktiven Geldpolitik gesprochen werden. Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass die Inflationsraten nun rasch gegen zwei Prozent sinken. Dafür müssten die Notenbanken auch die Geldmengen reduzieren, so dass Geld effektiv knapper wird.


FOKUS INFLATION

Folge I: Achtung Geldillusion – Der Franken ist nicht mehr so stark wie 2015 

Folge II: Vier Gründe für die rekordhohe Inflationsrate in den USA

Folge III: «This time is different» – wirklich?

Folge IV: Nicht neutral, sondern ganz schön fies

Folge V: Die unabhängige SNB schlägt zurück

Folge VI: Wieso schlägt der Ölpreisanstieg nicht stärker auf die Schweiz durch?

Folge VII: Der Ukraine-Krieg heizt die Inflation an

Folge VIII: Der perfekte Sturm – so entsteht eine Hyperinflation

Folge IX: Die Geldpolitik der USA und der EZB – ein Spiel mit dem Feuer

Folge X: Ist die Türkei auf dem Weg zur Hyperinflation?

Fokus XI: Eine Zentralbank muss die Märkte überraschen dürfen

Fokus XII: «Forward Guidance» – eine Medizin mit Nebenwirkungen

Fokus XIII: Staatspreise machen alles nur schlimmer

Folge XIV: Reichen die Zinserhöhungen zur Zähmung der Teuerung?

Folge XV: Ist in den USA ein «Soft Landing» möglich?

Folge XVI: Mietzinsregelung erschwert der SNB die Arbeit