Die Schweiz muss ihre Verantwortung für Europas Grenzen wahrnehmen

In wenigen Tagen entscheiden die Stimmberechtigten über die künftige Beteiligung der Schweiz an der europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex. Was die Referendumsführer mit einem Nein erreichen wollen, ist auch nach mehrmonatigem Abstimmungskampf nicht deutlich geworden. Klar ist hingegen: Damit der Schweiz die Vorteile des Schengenraums erhalten bleiben, braucht es am 15. Mai jede Ja-Stimme.

Die Abstimmungsdebatte zu Frontex geht in die Schlussrunde, und sie nimmt mitunter skurrile Züge an. Ich habe noch nie erlebt, dass sich ein Nein-Lager derart uneinig über seine Ziele war. Besonders augenfällig wurde das in der kürzlich ausgestrahlten «Arena»-Sendung: Da standen Vertreter des Referendumskomitees Seite an Seite mit Politikerinnen aus dem linksgrünen Lager. Erstere haben sich zum Ziel gesetzt, Frontex und alle nationalen Grenzen abzuschaffen. Letztere hingegen wollen dem Frontex-Beitrag sofort zustimmen, wenn ihre sachfremden Forderungen im Asylbereich erfüllt werden. Und dann gibt es auch noch eine Nein-Kampagne, die auf den Schengen-Austritt der Schweiz abzielt, um den nationalen Grenzschutz zu verstärken.

Diese drei Positionen sind völlig unvereinbar, sie schliessen sich gegenseitig aus. Das zeigt, welche Risiken die Schweiz mit einer Ablehnung eingehen würde. Es ist offen, welche Interpretation sich nach einem Nein durchsetzen würde. Halten wir uns also lieber an die Fakten. Diese finden wir im Schengener Assoziierungsabkommen. Dort steht klipp und klar, dass der Vertrag als beendet angesehen wird, wenn die Schweiz eine Weiterentwicklung nicht akzeptiert. Zwar besteht die Möglichkeit, im gemischten Ausschuss innert 90 Tagen noch eine Lösung zu finden. Aber mit Blick auf den aktuellen Beziehungsstatus zwischen der Schweiz und der EU würde ich persönlich nicht darauf wetten, dass dieser Rettungsfallschirm funktioniert. Erschwerend kommt hinzu, dass die EU aufgrund des Ukraine-Kriegs verständlicherweise andere Sorgen hat, als mit uns nach einer Sonderbehandlung zu suchen.

Zur Schengen-Beteiligung der Schweiz und entsprechenden Erweiterungen hat das Stimmvolk bereits dreimal Ja gesagt, und das aus guten Gründen. In pandemiefreien Zeiten profitieren wir alle von den offenen Grenzen innerhalb Europas, die uns ein unkompliziertes Reisen ermöglichen. Tausende Unternehmen in Grenznähe beschäftigen gut ausgebildete Fachkräfte, die ohne Hürden aus dem benachbarten Ausland in die Schweiz pendeln können. Und unsere Tourismusdestinationen dürfen deutlich mehr Gäste aus Übersee willkommen heissen, weil die Schweiz heute dank dem Schengen-Visum zu jeder besseren Europa-Rundreise dazugehört.

Neben diesen wirtschaftlichen Aspekten bringt uns Schengen aber auch mehr Sicherheit. Die europäischen Fahndungs- und Visa-Datenbanken sind für unsere Behörden längst zu unverzichtbaren Arbeitsinstrumenten geworden und generieren hohe Trefferquoten. Gleichzeitig sinkt die Zahl der registrierten Straftaten seit dem Schengen-Beitritt Jahr für Jahr. Doch dieses Plus an Freiheit und Sicherheit gibt es nur, wenn gleichzeitig die europäischen Aussengrenzen geschützt und kontrolliert werden. Dass dabei die Menschenrechte auch in schwierigen Situationen unbedingt eingehalten werden müssen, ist unbestritten. Für mich ist es selbstverständlich, dass die Schweiz dazu im Rahmen von Frontex einen angemessenen Beitrag leistet. Und nur darum geht es bei dieser Abstimmung. Deshalb braucht es am 15. Mai ein deutliches Ja zu Frontex und damit zu Schengen.