Eu­ro­pa in der Re­gu­lie­rungs­fal­le

Das Wich­tigs­te in Kürze:

  • Die EU ver­folgt mit dem Green Deal das Ziel, bis 2050 kli­ma­neu­tral zu wer­den, was zu über 160 neuen Re­gu­lie­run­gen führt. Diese stel­len Un­ter­neh­men vor er­heb­li­che Her­aus­for­de­run­gen.
  • In der EU wird diese Nach­hal­tig­keits­re­gu­lie­rung kri­ti­siert. Diese Re­ge­lun­gen ver­ur­sa­chen Kos­ten, ohne si­gni­fi­kan­te Ver­bes­se­run­gen in den Men­schen­rechts- und Um­welt­stan­dards zu er­zie­len.
  • eco­no­mie­su­is­se be­tont die Not­wen­dig­keit für die Schweiz, eine un­ab­hän­gi­ge und un­ter­neh­mens­freund­li­che Nach­hal­tig­keits­po­li­tik zu ver­fol­gen.

Die Eu­ro­päi­sche Union hat in den letz­ten Jah­ren in­ten­siv daran ge­ar­bei­tet, ihre Nach­hal­tig­keits­zie­le durch um­fang­rei­che Re­gu­lie­run­gen vor­an­zu­trei­ben. Im Zen­trum die­ser Be­mü­hun­gen steht der eu­ro­päi­sche Green Deal – ein ehr­gei­zi­ges Pro­gramm mit dem Ziel, die EU bis 2050 kli­ma­neu­tral zu ma­chen. Die­ser Fahr­plan hat zu zahl­rei­chen neuen Richt­li­ni­en und Ver­ord­nun­gen ge­führt, die alle Be­rei­che der Wirt­schaft be­tref­fen und Un­ter­neh­men vor gros­se Her­aus­for­de­run­gen stel­len.

Eine die­ser über 160 neuen Re­gu­lie­run­gen ist die Cor­po­ra­te Sustaina­bi­li­ty Re­porting Di­rec­tive (CSRD). Ob­wohl die Um­set­zungs­frist ab­ge­lau­fen ist, haben 17 EU-Mit­glied­staa­ten die Richt­li­nie nicht frist­ge­recht in na­tio­na­les Recht über­führt. Dies ver­an­lass­te die Eu­ro­päi­sche Kom­mis­si­on im Sep­tem­ber 2024, Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren gegen diese Län­der ein­zu­lei­ten. Diese Ver­zö­ge­run­gen zei­gen, dass die von der Richt­li­nie ver­lang­ten Re­geln in der Pra­xis schwer um­setz­bar sind. Damit be­ein­träch­tigt die Richt­li­nie die Rechts­si­cher­heit sowie die Har­mo­ni­sie­rung des eu­ro­päi­schen Mark­tes.

 

Rechts­über­nah­me mit der EU ein­fach er­klärt:

Ent­ge­gen der Be­haup­tung der Geg­ner der Bi­la­te­ra­len III, müs­sen zahl­rei­che EU-Re­gu­lie­run­gen wie z.B. das Lie­fer­ket­ten­ge­setz (CSDDD), die Nach­hal­tig­keits­be­richt­er­stat­tung (CSRD), die Ent­wal­dungs­ver­ord­nung (EUDR), der CO2-Grenz­aus­gleichs­me­cha­nis­mus (CBAM), die Ver­ord­nung über künst­li­che In­tel­li­genz (AI Act) oder das Ge­setz über di­gi­ta­le Diens­te (DSA) nicht über­nom­men wer­den. Der Grund dafür ist ein­fach und ein­leuch­tend: Es be­ste­hen schlicht keine ent­spre­chen­den bi­la­te­ra­len Ab­kom­men zwi­schen der Schweiz und der EU in die­sen Be­rei­chen.

Die in den Bi­la­te­ra­len III an­ge­dach­te dy­na­mi­sche Rechts­über­nah­me be­zieht sich nur auf die be­ste­hen­den Bin­nen­markt­ab­kom­men Per­so­nen­frei­zü­gig­keit, Luft- und Land­ver­kehr, Land­wirt­schaft und tech­ni­sche Han­dels­hemm­nis­se sowie den zwei neuen Bin­nen­markt­ab­kom­men in den Be­rei­chen Strom und Le­bens­mit­tel­si­cher­heit sowie dem Ko­ope­ra­ti­ons­ab­kom­men Ge­sund­heit.

 

Auf Ebene der EU-Mit­glieds­län­der gibt es ver­gleich­ba­re Her­aus­for­de­run­gen. Das deut­sche Lie­fer­ket­ten­sorg­falts­pflich­ten­ge­setz (LkSG) steht unter star­ker Kri­tik. Wirt­schafts­ver­bän­de, das Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um und sogar der Kanz­ler be­män­geln die hohen ad­mi­nis­tra­ti­ven An­for­de­run­gen, die vor allem klei­ne und mit­tel­stän­di­sche Un­ter­neh­men über­for­dern. Es wächst die Er­kennt­nis, dass stren­ge Lie­fer­ket­ten­ge­set­ze er­heb­li­che Kos­ten für Un­ter­neh­men ver­ur­sa­chen, ohne die Men­schen­rechts- und Um­welt­stan­dards tat­säch­lich zu ver­bes­sern. Der grüne Wirt­schafts­mi­nis­ter Ro­bert Ha­beck äus­ser­te An­fang Ok­to­ber, man sei beim Ge­setz «völ­lig falsch ab­ge­bo­gen» und es gehe nicht um ein­zel­ne Ver­bes­se­run­gen, son­dern um Ei­gen­ver­ant­wor­tung. So­lan­ge diese ge­lebt werde, könne man «die Ket­ten­sä­ge an­wer­fen und das ganze Ding weg­bol­zen».

Diese Ent­wick­lun­gen zei­gen, dass der Re­gu­lie­rungst­su­na­mi aus Brüs­sel nicht nur zu einer Flut von Bü­ro­kra­tie führt, son­dern auch die Wett­be­werbs­fä­hig­keit der Wirt­schaft ernst­haft be­droht.

«Die Schweiz muss ihren ei­ge­nen Weg in der Nach­hal­tig­keits­re­gu­lie­rung gehen.»

Es ist daher ent­schei­dend, dass die Schweiz bei der Um­set­zung in­ter­na­tio­na­ler Nach­hal­tig­keits­ent­wick­lun­gen um­sich­tig agiert. Wäh­rend die Be­stim­mun­gen der EU gut ge­meint sind, dro­hen sie, die wirt­schaft­li­che Wett­be­werbs­fä­hig­keit er­heb­lich zu be­ein­träch­ti­gen, ohne einen Mehr­wert für die Um­welt oder die Men­schen­rech­te zu schaf­fen. Die in­ten­si­ve Re­gu­lie­rungs­dy­na­mik der EU im Rah­men des Green Deals zeigt, dass der po­li­ti­sche Wille zur För­de­rung der Nach­hal­tig­keit oft zu Las­ten der prak­ti­schen Um­setz­bar­keit geht.

Die Schweiz muss vor die­sem Hin­ter­grund ihre Ei­gen­stän­dig­keit be­wah­ren und die Ent­wick­lun­gen in der EU kri­tisch hin­ter­fra­gen. Sie darf nicht un­re­flek­tiert den re­gu­la­to­ri­schen Vor­stös­sen der EU und dem Green Deal fol­gen.

«Wir brau­chen prag­ma­ti­sche Lö­sun­gen statt über­zo­ge­ner Re­gu­lie­run­gen.»

Es liegt im In­ter­es­se der Schweiz, Kom­pa­ti­bi­li­tät mit den Re­geln der EU, aber auch mit den in­ter­na­tio­na­len Stan­dards zu schaf­fen, ohne dabei den ei­ge­nen Hand­lungs­spiel­raum ein­zu­schrän­ken. Es scheint nicht aus­ge­schlos­sen, dass die EU die um­fang­rei­chen Re­ge­lun­gen der ver­gan­ge­nen Jahre nun im Lich­te der wirt­schaft­li­chen Rea­li­tä­ten kor­ri­gie­ren muss. Die Schweiz muss daher klug agie­ren, sich von un­pas­sen­den Vor­bil­dern dis­tan­zie­ren und sich statt­des­sen an wirk­lich in­ter­na­tio­na­len, also glo­ba­len Stan­dards ori­en­tie­ren.

Eine ei­gen­stän­di­ge, kom­pa­ti­ble und aus­ge­wo­ge­ne Nach­hal­tig­keits­po­li­tik wird nicht nur der hei­mi­schen Wirt­schaft zu­gu­te­kom­men, son­dern auch dazu bei­tra­gen, die Schweiz als at­trak­ti­ven Wirt­schafts­stand­ort zu er­hal­ten.

«Wir müs­sen un­se­re Chan­ce nut­zen.»

Die Ent­wick­lun­gen in der EU zei­gen deut­lich die Her­aus­for­de­run­gen auf, die mit der Um­set­zung kom­ple­xer oder in der Pra­xis gar nicht um­setz­ba­rer Nach­hal­tig­keits­re­geln ein­her­ge­hen. Die Schweiz hat nun die Chan­ce und die Pflicht, aus die­sen Er­fah­run­gen zu ler­nen und einen Weg zu de­fi­nie­ren, der so­wohl den glo­ba­len Nach­hal­tig­keits­zie­len ge­recht wird als auch die Wett­be­werbs­fä­hig­keit un­se­rer Wirt­schaft si­chert. Es ist an der Zeit, Lö­sun­gen zu ent­wi­ckeln, die prak­ti­ka­bel und ef­fek­tiv sind für die Un­ter­neh­men, für die Um­welt und für die Ge­sell­schaft.