
Faktencheck Bilaterale III
Mit den Bilateralen III sollen die engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) auf eine sichere und langfristige Grundlage gestellt und neue Abkommen abgeschlossen werden. Aktuell wird das Thema heiss diskutiert. Mit dem «Faktencheck Bilaterale III» beleuchten wir die wichtigsten Hintergründe, liefern Fakten und beantworten aktuelle Fragen.
Nachfolgend eine Übersicht, welche Hintergründe und Fakten zu den Bilateralen III aufzeigt und aktuelle Fragen in der Thematik beantwortet. Eine Einordnung von economiesuisse zum dritten bilateralen Vertragspaket und seinen verschiedenen Elementen finden Sie in unserem aufdatierten «Bilaterale III: Den Schweizer Weg weitergehen» vom Februar 2025.
Bilaterale III: Hintergründe und Fakten
Frage: Wie denkt die Stimmbevölkerung über die Bilateralen III?
Antwort: Gemäss einer repräsentativen Umfrage vom gfs.bern im Auftrag von Interpharma vom August 2024 sehen 65 Prozent der befragten Personen hauptsächlich Vorteile in den bilateralen Verträgen. Die Bilateralen III zwischen der Schweiz und der EU werden von einer klaren Mehrheit (71 Prozent) unterstützt.
Ganz generell hat der bilaterale Weg, der mit den Bilateralen III gesichert und weiterentwickelt werden soll, eine starke demokratische Legitimation. Insgesamt hat die Schweizer Stimmbevölkerung den bilateralen Erfolgsweg seit dem Jahr 2000 in insgesamt elf Volksabstimmungen immer wieder bestätigt.
Frage: Sollte sich die Schweiz nicht stärker auf die Märkte ausserhalb Europas konzentrieren?
Antwort: Das Kredo lautet: Das eine tun und das andere nicht lassen! Natürlich braucht die Schweiz bestmögliche Beziehungen zu und Freihandelsabkommen mit asiatischen Ländern, den USA oder den Mercosur-Staaten. Wer aber behauptet, dass die Schweiz mit verbesserten Handelsbeziehungen zu diesen Staaten einen Wegfall der bilateralen Abkommen mit der EU kompensieren könnte, irrt gewaltig. Wir sind nun mal aufgrund unserer geographischen Lage umgeben von EU-Staaten und haben deshalb ein sehr grosses Eigeninteresse, mit der EU in für uns relevanten Bereichen eng zusammenzuarbeiten.
Speziell die Regionen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Schweiz nehmen einen gewichtigen Stellenwert in unserem Aussenhandel ein. Betrachtet man unser Handelsvolumen, dann sind Baden-Württemberg und Bayern beinahe so wichtig wie China, unsere französischen Grenzregionen wichtiger als Japan und unsere italienischen Grenzregionen wichtiger als die Indien. Pro Arbeitstag werden Waren im Wert von über 1 Milliarde Schweizer Franken zwischen der Schweiz und der EU ausgetauscht – das ist so viel wie mit Indonesien in einem ganzen Jahr.
Zwar wuchsen andere Wirtschaftsräume in den letzten zwanzig Jahren stärker als die EU und auch die Schweizer Exporte in diese Märkte stiegen prozentual stärker an als in die EU (das gilt jedoch nicht für die Zeit von 2020 bis heute). Das ist gut so, weil sich damit die Handelsrisiken für die Schweizer Exportwirtschaft verkleinern. Das Handelsvolumen mit der EU ist aber so gross (2023: 59% aller Warenexporte und Warenimporte), dass der Handel mit der EU in absoluten Zahlen noch immer stärker zunimmt als der Handel mit den zweit- und drittwichtigsten Märkten USA und China zusammen. Bei den heutigen Wachstumszahlen wird die EU auch 2040 noch immer die grösste Handelspartnerin der Schweiz sein und das Handelsvolumen mit den USA und China übertreffen. Es ist also illusorisch, die EU als wichtigsten Exportmarkt für die Schweizer Industrie durch andere Exportmärkte einfach ersetzen zu wollen. Viel besser ist eine Diversifizierung.
Frage: Muss die Schweiz mit den Bilateralen III bald sämtliche Regulierungen und Gesetze übernehmen, welche die EU beschliesst?
Antwort: Nein. Insgesamt verfügen die Schweiz und die EU über 140 bilaterale Abkommen. Die Pflicht zur dynamischen Rechtsübernahme im Rahmen der Bilateralen III beschränkt sich jedoch auf sechs bilaterale Abkommen mit denen die Schweiz am europäischen Binnenmarkt teilnimmt. Dazu gehören vier bestehende Binnenmarktabkommen (Personenfreizügigkeit, Luft- und Landverkehr, technische Handelshemmnisse) und die zwei neuen Binnenmarktabkommen Strom und Lebensmittelsicherheit. Alles in allem sind also nur 4,3% unserer Abkommen mit der EU davon betroffen. Das Freihandelsabkommens Schweiz-EU von 1972 ist nicht Teil der Bilateralen III und untersteht daher auch nicht den institutionellen Regeln. Weitere Informationen zur dynamischen Rechtsübernahme finden Sie im nachfolgenden Blog.
Frage: Wird die Schweiz in Zukunft von «fremden Richtern» gelenkt?
Antwort: In den bilateralen Verträgen sind sowohl heute als auch künftig keine «fremden Richter» vorgesehen. Es sind drei Arten von Rechtsfällen zu unterscheiden:
- Entsteht ein Rechtsstreit in der Schweiz, ist ein Schweizer Gericht zuständig.
- Entsteht ein Rechtsstreit in einem EU-Land, etwa Deutschland, ist ein deutsches Gericht und allenfalls der Europäische Gerichtshof EuGH zuständig.
- Gibt es Differenzen zwischen der EU-Kommission und dem Bundesrat über die Auslegung von Regeln, zum Beispiel im Landverkehr oder bei der Personenfreizügigkeit, dann kommt ein paritätisches Schiedsgericht zum Zug.
Das paritätische Schiedsgericht (z.B. mit je einem Richter aus der Schweiz und der EU sowie einem unabhängigen Präsidium) entscheidet künftig, welches Recht bei einem Streitfall zur Anwendung kommt – Schweizer Recht, Vertragsrecht oder EU-Binnenmarktrecht.
Hat die Schweiz das EU-Binnenmarktrecht vertraglich übernommen, z.B. technische Normen im Medtech-Bereich, entscheidet der EuGH ausschliesslich über die Frage der Auslegung des europäischen Binnenmarktrechts. Haben sich die Schweiz und die EU auf spezielle Regeln verständigt, etwa Spezialregeln und Ausnahmen wie die flankierenden Massnahmen (FlaM) zur Personenfreizügigkeit, gilt dieses Recht.
Am Ende des Verfahrens wird das paritätische Schiedsgericht beurteilen, ob die Schweiz oder die EU das Recht verletzt haben. Dies entspricht gängigen völkerrechtlichen Prinzipien: Die Schweiz hat in vielen ihrer Abkommen solche paritätischen Schiedsverfahren abgeschlossen.
Mit dem in den Bilateralen III vorgesehenen Streitschlichtungsmechanismus verbessert sich die Verhandlungsposition der Schweiz im Streitfall gegenüber heute. Sie erhält damit ein Instrument, um ihre Interessen im Verhältnis zur EU auf dem Rechtsweg wirksam durchzusetzen. Heute kann sich die Schweiz nicht vor einem paritätischen Schiedsgericht gegen willkürliche Massnahmen der EU wehren.
Stellt das paritätische Schiedsgericht eine Verletzung eines Abkommens fest, dürfen nur im betroffenen Abkommen oder einem anderen Binnenmarktabkommen verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen ergriffen werden. Das schränkt die Möglichkeiten der EU stark ein. Eine Suspendierung ganzer Abkommen durch die EU dürfte kaum verhältnismässig sein, sollte die Schweiz einzelne Rechtsentwicklungen ablehnen. Das paritätische Schiedsgericht entscheidet selbständig, ob Ausgleichsmassnahmen verhältnismässig sind.

Frage: Verliert die Schweiz mit der «automatischen» Rechtsübernahme ihre Selbstbestimmung und die direkte Demokratie?
Antwort: Nein. Die Schweiz bleibt auch in Zukunft souverän und eigenständig.
- Wir nehmen freiwillig am europäischen Binnenmarkt teil: Das Schweizer Volk hat selbständig entschieden, bilaterale Binnenmarktabkommen mit der EU abzuschliessen. Niemand hat uns das aufgezwungen.
- Die direkte Demokratie bleibt unangetastet. Die direktdemokratischen Volksrechte wie das Initiativ- und das Referendumsrecht bleiben selbstverständlich weiterhin bestehen. Es gibt auch keinen Automatismus bei der Rechtsübernahme: Die Schweiz wird über jede einzelne Übernahme von EU-Recht innerhalb der sechs Binnenmarktabkommen selbständig entscheiden können. Für die dynamische Rechtsübernahme hat die Schweiz jeweils zwei Jahre Zeit. Sollte es zu einem Gesetzesreferendum kommen, wird der Schweiz ein zusätzliches Jahr zur Umsetzung zugesichert.
- Die Schweiz konnte zahlreiche wichtige Ausnahmen aushandeln. Diese sind von der dynamischen Rechtsübernahme ausgenommen.
- Die Pflicht zur dynamischen Rechtsübernahme ist bereits heute im Luftverkehrsabkommen (Bilaterale I) sowie im Schengen/Dublin-Abkommen (Bilaterale II) verankert und hat seit deren Inkrafttreten 2002 bzw. 2008 zu keinerlei Problemen geführt. So konnte sich die Schweizer Stimmbevölkerung im Mai 2019 bspw. über die Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie im Schweizer Waffenrecht in einer Volksabstimmung äussern.
Frage: Handelt es sich bei den Bilateralen III nicht einfach um alten Wein in neuen Schläuchen?
Antwort: Nein. Es gibt erhebliche Unterschiede und Verbesserungen im Vergleich zum damaligen Rahmenabkommen. Mit dem Paketansatz der Bilateralen III werden die institutionellen Fragen (dynamische Rechtsübernahme, Streitschlichtung) neu in jedem Binnenmarktabkommen einzeln gelöst (vertikaler, sektorbezogener Ansatz). Das ist ein gewichtiger Unterschied zum institutionellen Abkommen (InstA), wo über ein Rahmenvertrag für alle Binnenmarktabkommen diskutiert wurde (horizontaler Ansatz).
Die Bilateralen III sind eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum Rahmenabkommen, das heute nicht mehr zur Diskussion steht. Wir haben nun ein Paket mit neuen Abkommen und Kooperationen. Und besonders wichtig: Alle heiklen, Fragen wurden geklärt und zahlreiche Ausnahmen für die Schweiz erwirkt, welche unsere Interessen schützen.
Verbesserungen zeigen sich konkret unter anderem bei folgenden Punkten:
- die Super-Guillotine-Klausel ist weg
- die flankierenden Massnahmen konnten abgesichert werden. Beim Lohnschutz ist die Non-Regression-Klausel drin.
- die staatlichen Beihilfen beziehen sich nur auf die Strom-, Luftverkehrs- und Landverkehrsabkommen
- bei der Unionsbürgerrichtlinie (UBRL) gibt es Ausnahmen, die eine Einwanderung in die Sozialsysteme der Schweiz verhindern.
- die Schutzklausel bei der Personenfreizügigkeit konnte konkretisiert werden. Die Schweiz kann sie eigenständig aktivieren und den Auslösemechanismus sowie allfällige Schutzmassnahmen im Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) selbst bestimmen.
- Dazu kommen unzählige Ausnahmen und Garantien, z.B. im Landwirtschafts-, Landverkehrs- und Stromabkommen. Alle Ausnahmen sind von der dynamischen Rechtsübernahme ausgenommen.
Das alles sind elementare Verbesserungen, die die Schweizer Diplomaten der EU abgerungen haben.
Frage: Ist der Lohnschutz in der Schweiz mit den Bilateralen III gesichert?
Antwort: Ja – der Lohnschutz ist gesichert. Die wichtigsten Fragen beim Lohnschutz für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer konnte gemäss Bundesrat zufriedenstellend geklärt werden. Mit der Aktualisierung des Freizügigkeitsabkommens anerkennt die EU erstmals offiziell die Notwendigkeit eines Lohnschutzes in der Schweiz sowie der dafür notwendigen flankierenden Massnahmen (FlaM). So wird das bestehende duale Kontrollsystem inklusive Überwachungs- und Sanktionierungskompetenzen der paritätischen Kommissionen (Gewerkschaften und Arbeitgeber) und Kantone von der EU akzeptiert. Zudem hat die EU der Schweiz unter anderem die nachfolgenden Ausnahmen vom Entsenderecht zugestanden:
- eine Nicht-Regressions-Klausel (sollte die EU den Lohnschutz im Entsenderecht reduzieren, müsste die Schweiz diese Regeln nicht dynamisch übernehmen),
- eine Voranmeldefrist (für ausländische Firmen, die in der Schweiz Dienstleistungen erbringen wollen) von vier Arbeitstagen aufgrund einer objektiven und branchenspezifischen Risikoanalyse,
- die Kautionspflicht für Unternehmen, die in der Vergangenheit den finanziellen Verpflichtungen nicht nachgekommen sind und
- eine Dokumentationspflicht für selbstständige Dienstleistungserbringer als Massnahme zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit.
Wichtig sind dabei auch die folgenden Punkte:
- Die Kontrolldichte wird auch künftig autonom durch die Schweiz bestimmt.
- Bei Nichtleistung der Kaution kann eine Sanktion bis hin zu einer Dienstleistungssperre verhängt werden.
- Die bestehende Meldepflicht wird auf selbstständig Erwerbstätige ausgedehnt.
- In den Verhandlungen sicherte die Schweiz ihre Rolle als Beobachterin bei der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) ab.
Frage: Hat die Personenfreizügigkeit in der Schweiz zu einem tieferen Lohnniveau geführt?
Antwort: Nein. Bisher haben alle empirischen Studien und die Observatoriumsberichte des Seco bestätigt, dass die Einführung der Personenfreizügigkeit weder systematische Verdrängungseffekte zur Folge hatte noch zu einem tieferen Lohnniveau führte. Ganz im Gegenteil: Zwischen 2000 und 2023 sind die Reallöhne in der Schweiz im Schnitt um 0.5% pro Jahr gestiegen. In der Zeit vor der Covid-Krise (zwischen 2000 und 2020) waren es sogar 0.76% Reallohnwachstum pro Jahr. Dahingegen gab es vor der Einführung der Bilateralen zwischen 1994 und 1999 praktisch überhaupt kein Reallohnwachstum. Ausserdem sind seit Inkrafttreten der Personenfreizügigkeit in der Schweiz auch die tiefsten Löhne gestiegen.

Frage: Führen entsandte Arbeitnehmer zu Lohndumping in der Schweiz und gefährden so den Lohnschutz?
Antwort: : Nein. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der flankierenden Massnahmen (FlaM) muss korrekt eingeordnet werden. Gemäss Berechnungen von Avenir Suisse aus dem Jahr 2022 leisten entsandte Arbeitnehmende in der Schweiz ein Arbeitsvolumen, welches gerade einmal 0,2 Prozent der Gesamtbeschäftigung entspricht. Deshalb ist mit der Übernahme des EU-Entsenderechts und dank den FlaM auch künftig nicht mit systematisch negativen Auswirkungen auf das Lohnniveau in der Schweiz zu rechnen.

Frage: Droht aufgrund der Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie (UBRL) eine Einwanderung in die Schweizer Sozialsysteme?
Antwort: Nein. Es droht keine Einwanderung in die Sozialsysteme der Schweiz.
In den Verhandlungen ist es dem Bundesrat gelungen, die Risiken für das Schweizer Sozialhilfesystem zu minimieren. Die UBRL wird lediglich massgeschneidert auf die Schweiz ausgedehnt und mit einem wirksamen Schutzdispositiv verknüpft, welches Ausnahmen und Absicherungen umfasst. Die Freizügigkeit gilt weiterhin nur für den Arbeitsmarkt und Personen mit ausreichenden Mitteln für ihren Lebensunterhalt.
Zudem räumt die EU der Schweiz mehrere Ausnahmen ein, welche sie vor einer künftigen Änderung des EU-Rechts schützen:
- Das in der UBRL vorgesehene Daueraufenthaltsrecht, welches EU-Staatsangehörigen nach fünfjährigem Aufenthalt zusteht, steht in der Schweiz nur Erwerbstätigen offen.
- Die zusätzlich anwendbaren Integrationskriterien für eine Niederlassungsbewilligung gelten weiterhin (wie z.B. Kenntnisse einer Landessprache, Beachtung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, keine Abhängigkeit von der Sozialhilfe etc.).
- Die Schweiz kann den Aufenthalt von erwerbslosen Personen beenden, wenn diese sich nicht um ihre Erwerbsintegration bemühen und nicht mit der öffentlichen Arbeitsvermittlung (RAV) kooperieren, um eine Stelle zu finden
Frage: Erhalten wegen der Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie (UBRL) künftig viel mehr Menschen ein Daueraufenthaltsrecht in der Schweiz?
Antwort: Nein. Bereits heute haben Angehörige von 15 EU- und EFTA-Staaten aufgrund des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) und von bilateralen Vereinbarungen einen Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung nach fünf Jahren Aufenthalt in der Schweiz. Mit der Übernahme von Teilen der UBRL wird dieser Anspruch auf alle übrigen EU-Mitgliedstaaten ausgedehnt. Die Folgen dieser Ausweitung dürften sich allerdings in Grenzen halten, da Angehörige der Nachbarstaaten mit den grössten Einwanderungskontingenten (Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich) schon heute ein Anrecht auf Daueraufenthalt nach fünf Jahren haben.
Frage: Können kriminelle EU-Staatsangehörige künftig nicht mehr ausgewiesen werden?
Antwort: Nein. Kriminelle EU-Staatsangehörige können auch künftig ausgewiesen werden. Der Schweiz wurde eine Ausnahme gewährt, wonach der in der UBRL geltende, verstärkte Schutz von kriminellen EU-Staatsangehörigen vor Ausweisung nicht gilt. Somit können wir bei unserer bisherigen Ausschaffungspraxis bleiben. Allerdings waren 2023 fast 70 Prozent aller Personen, die einen Landesverweis erhielten, Angehörige aus Staaten ausserhalb des EU-/EFTA-Raums.
Frage: Droht wegen dem Stromabkommen als Teil der Bilateralen III der Schweiz eine vollumfängliche Strommarktliberalisierung? Ist der Service Public beim Strom gefährdet?
Antwort: Nein. Der Service Public wird nicht gefährdet. Heute sind wir (anders als bei einem Handy- oder Krankenkassenvertrag) bei einem Stromanbieter gefangen. Wir haben keine freie Wahl. Mit dem Abschluss eines Stromabkommens soll in der Schweiz neu ein Wahlmodell eingeführt werden. Mit diesem Modell haben Haushalte und Unternehmen unter einer gewissen Verbrauchsschwelle in der Schweiz künftig die Wahl, ob sie im System der sogenannten Grundversorgung (in welchem sie den Strom bei ihrem lokalen Netzbetreiber zu vordefinierten Preisen beziehen) verbleiben oder ihren Strom neu am freien Markt einkaufen möchten. Wir könnten künftig also selbst wählen, ob wir bspw. zu einem günstigeren Stromanbieter wechseln oder einen Fokus auf Nachhaltigkeit setzen möchten. Zudem wird es (unter Berücksichtigung von Fristen und allenfalls unterjährigen Wechselgebühren) auch möglich sein, in die Grundversorgung mit regulierten Preisen zurückzukehren.
Ein Stromabkommen mit der EU ist ein wichtiges Element für die Verbesserung der Netzstabilität, die Stärkung der Versorgungssicherheit sowie die Schaffung von neuen Handelsopportunitäten für Schweizer Stromunternehmen, z.B. im Bereich der Wasserkraft. Zudem ist das Sparpotenzial enorm: Laut einer ETH-Studie im Auftrag von economiesuisse könnte die Schweiz mit einem Stromabkommen bis 2050 rund 50 Milliarden Franken einsparen – das sind 2 Milliarden Franken Jahr. Wir sparen so viel, weil wir mit einer Einbindung in Europa viele Systeme nicht doppelt aufbauen müssen. Weitere Informationen finden Sie im nachfolgenden Blog.

Frage: Wird beim Landverkehrsabkommen der Service Public in der Schweiz gefährdet?
Antwort: Nein. Es ist keine Liberalisierung des nationalen Verkehrs vorgesehen. Im Rahmen des Landverkehrsabkommens fordert die EU einzig, wie im Vertrag ursprünglich vorgesehen, dass die Schweiz den internationalen Schienenpersonenverkehr für europäische Konkurrenten öffnet. Für Schweizer Bahnreisende ist damit ein Ausbau des Angebots internationaler Zugverbindungen zu erwarten. Ausländische Anbieter müssen jedoch zwingend den Schweizer Taktfahrplan berücksichtigen, die Tarifintegration mit Halbtax und GA respektieren und die Schweizer Arbeitsbedingungen auf Schweizer Streckenabschnitten einhalten. Der Service Public innerhalb der Schweiz ist nicht betroffen: Auswirkungen auf die Bahninfrastruktur sind ausgeschlossen und nicht Teil des Abkommens. Das Verhandlungsergebnis der Schweiz zum Landverkehrsabkommen ist so überzeugend, dass sich sogar die zuvor kritische Schweizer Bahngewerkschaft (SEV) vorstellen kann, die Aktualisierung des Abkommens zu unterstützen. Weitere Informationen finden Sie im nachfolgenden Blog.
Frage: Kann die Schweiz nicht auf das Abkommen zum Abbau technischer Handelshemmnisse (MRA) verzichten?
Antwort: Nein. Das MRA umfasst die gegenseitige Normenanerkennung in 20 Produktsektoren. Im Jahr 2023 deckten diese rund zwei Drittel des Handels mit Industrieprodukten zwischen der Schweiz und der EU ab. Das entspricht einem Exportvolumen von über 96 Milliarden Franken, das sind 72 Prozent aller Industrieexporte in die EU. Ohne Aktualisierung des MRA wird der barrierefrei Zugang für Schweizer Exportunternehmen zum europäischen Binnenmarkt nach 2027 stetig abnehmen. Nach der Medtech-Branche folgen als nächstes die Maschinen-, Bau- und Pharmaindustrie. Aufgrund der hohen Bedeutung dieser Branchen für den Industriestandort Schweiz dürften die betriebswirtschaftlichen Anpassungskosten die Milliardenschwelle übersteigen (siehe auch Erosionsmonitor von Avenir Suisse). Das ist Geld, welches für Investitionen in innovative Produkte und den Standort Schweiz fehlt.
Schweizer Firmen sind zwar sehr anpassungsfähig und erfinderisch. Aufgrund der aktuellen Blockade sind sie aber gezwungen, Entscheidungen zu treffen, die für den Wirtschaftsstandort Schweiz negativ sind. Das Medtech-Unternehmen Ypsomed musste bspw. 400 Produkte in Deutschland neu zertifizieren lassen, was über 20 Mio. CHF kostete und während 2 Jahren fast 40 Mitarbeitende in Anspruch nahm. Für KMU ist es noch schwieriger: Wenn eine kleine Schweizer Medtech-Firma (wie z.B. Bürki Innomed) einen Haftungsbevollmächtigten in der EU bestimmen muss, lagert sie sehr oft auch andere Firmenaktivitäten wie z.B. die Produktentwicklung nach Deutschland aus, weil das insgesamt günstiger kommt. Das Nachsehen hat dann der Firmenstandort Schweiz, weil die Innovation nicht mehr hier stattfindet. In der Summe schwächt dies nicht nur das Wachstumspotenzial des Wirtschaftsstandortes Schweiz, sondern auch unseren Wohlstand.
Frage: Ist das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU von 1972 für die Wirtschaft nicht ausreichend? Braucht es die Bilateralen überhaupt?
Antwort: Gegner des bilateralen Wegs monieren immer wieder, dass eine umfassende Aktualisierung des 53-jährigen EU-Freihandelsabkommens von 1972 ein Wegfall der bilateralen Verträge kompensieren könnte. Sie lassen dabei Folgendes ausser Acht: Der bilaterale Weg entspricht den Bedürfnissen der Schweiz und wurde für sie massgeschneidert, nachdem sie den EWR-Beitritt 1992 abgelehnt hatte. Man hat sich damals auf die bilateralen Verträge geeinigt, weil ein Freihandelsabkommen allein den Bedürfnissen der Schweizer Wirtschaft und Bevölkerung bei weitem nicht genügend Rechnung getragen hätte.
Fallen die Bilateralen I weg, würden zum Beispiel keine technischen Handelshemmnisse für Industrieprodukte mehr abgebaut, Luftverkehrsrechte wären nicht abgedeckt, Schweizer Früchte und Gemüse bräuchten eine zusätzliche Zertifizierung für den Export in den EU-Raum, Schweizer Spediteure könnten nicht von zusätzlichen Aufträgen aus der EU profitieren, Schweizer Firmen könnten nicht mehr gleichberechtigt an öffentlichen Ausschreibungen in Städten und Regionen in der EU teilnehmen und es wäre viel bürokratischer, Arbeitskräfte aus der EU zu rekrutieren. Zudem verliert die Schweizer Bevölkerung das Recht, überall im EU-Raum zu leben, zu arbeiten und zu studieren. Das ist nur eine kleine Auswahl an Beispielen.
Der bilaterale Weg ist auch mit einem noch so umfassenden Freihandelsabkommen in keiner Weise vergleichbar. Die EU hat zudem ausgeschlossen, dass sie mit wirtschaftlich eng verbundenen, geografisch nahen Drittstaaten wie der Schweiz ähnliche Freihandelsabkommen abschliessen würde wie beispielsweise mit Kanada.
Mit dem Kooperationsabkommen UK-EU (TCA) gibt es jedoch eine Vorlage, wie ein umfassendes Freihandelsabkommen CH-EU aussehen könnte. Das Beispiel Grossbritanniens zeigt, dass es eine Modernisierung des Freihandelsabkommens mit der EU für die Schweiz nicht zum Nulltarif geben wird. Es ist anzunehmen, dass wir unseren Landwirtschaftssektor öffnen und wohl auch EU-Beihilferegeln sowie institutionelle Elemente übernehmen müssten. Es ist also illusorisch zu meinen, dass man mit einem umfassenden Freihandelsabkommen mit der EU besser fährt als mit dem bewährten bilateralen Weg.