Leitlinien der Wirtschaft – Finanzflüsse und eine nachhaltige Wirtschaft (Sustainable Finance)
Rahmenbedingungen für erfolgreiche Sustainable Finance
Um die Chancen von Sustainable Finance optimal zu nutzen und gleichzeitig Herausforderungen zu adressieren, gibt sich die Gesamtwirtschaft die folgenden Leitlinien:
1. Nachhaltigkeit ganzheitlich ökologisch, ökonomisch und sozial denken
Der Dachverband der Wirtschaft, economiesuisse, engagiert sich (siehe auch Art. 1 Abs. 3 der Statuten) für eine liberale und nachhaltige Marktwirtschaft, in der ökologische, ökonomische und soziale Ziele ganzheitlich berücksichtigt werden. Die liberale, nachhaltige Marktwirtschaft stellt den freien, selbstbestimmten Menschen ins Zentrum. Sie setzt damit auf Eigenverantwortung und Innovation und erst subsidiär auf Regulierung und den Staat. Die liberale, nachhaltige Marktwirtschaft verbessert die Wettbewerbsfähigkeit, erhält die natürlichen Lebensgrundlagen, stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ermöglicht damit auch den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Zukunft. In der heutigen Debatte um Klimaziele wird Nachhaltigkeit fälschlicherweise oft auf die ökologische Dimension reduziert, was dem umfassenden Charakter von Nachhaltigkeit nicht gerecht wird. Die Schweizer Wirtschaft versteht unter Nachhaltigkeit und nachhaltigen Finanzierungen alle Ebenen der Nachhaltigkeit und erachtet die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele als sich gegenseitig bedingend.
2. Einen marktwirtschaftlichen, evidenzbasierten Ansatz, kein Verbotsdenken
Die Schweizer Wirtschaft fordert, dass die Nachhaltigkeitsbemühungen aller Unternehmungen berücksichtigt werden und allen Unternehmen damit die Chance auf eine Anpassung ihres Geschäftsmodells gegeben wird.
Eine Abgrenzung einzelner Wirtschaftstätigkeiten in ein starres Schwarz-Weiss-System wird diesem Anspruch nicht gerecht. Nachhaltige Finanzierungen müssen Innovation ermöglichen und können Unternehmen, die sich im Wandel zu mehr Nachhaltigkeit befinden, gezielt bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützen. Dies nicht zuletzt in emissionsintensiven Sektoren. Denn gerade in Sektoren, die einen tieferen Standard, jedoch ein hohes Transformationspotenzial aufweisen, ist der Grenznutzen in Bezug auf die Nachhaltigkeit von Investitionen hoch. Eine fehlende Differenziertheit in den Prüfanforderungen führt zudem dazu, dass sich Investitionen zur graduellen Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung in der Praxis oft als nicht lohnend erweisen dürften, wodurch sie in der Folge ausgebremst würden. Regulatorische Finanzierungseinschränkungen und -verbote von rechtlich zulässigen Geschäftsmodellen und Produkten unter dem Deckmantel von Sustainable Finance sind daher strikt abzulehnen. Ein solches Vorgehen verhindert Innovation und ist untauglich zur Zielerreichung, bewirkt es doch einzig ein Ausweichen auf andere, den Regeln nicht unterstehende Finanzplätze.
Investoren und der private Bankensektor sollen im Hinblick auf Unternehmensfinanzierungen weiterhin ihren Ermessungsspielraum nutzen können, um zu bestimmen, welche Unternehmen oder Technologien sie als besonders zukunftsfähig ansehen. Gesetzliche Vorgaben sind subsidiär dort einzusetzen, wo sie den Prozess deutlich beschleunigen, ohne die wirtschaftliche Leistung massiv zu beeinträchtigen. Anreize sind Verboten stets vorzuziehen. Beispielsweise sind Innovation und technische Erneuerungen der Haupthebel zur Reduktion der Umweltbelastung oder des Energiebedarfs.
3. Transparenz und Vergleichbarkeit effizient und schlank stärken und dabei Transaktionskosten minimieren
Die Schweizer Wirtschaft unterstützt die Schaffung erhöhter Transparenz über die nachhaltigkeitsbezogenen Auswirkungen sowie Chancen und Risiken von Finanzflüssen, sofern diese verhältnismässig, praktikabel und nachvollziehbar sowohl für die Finanz- als auch Realwirtschaft ausgestaltet sind. Denn die Schaffung von Transparenz ermöglicht es, Nachhaltigkeitskriterien zu beurteilen und damit die eigenen Aktivitäten hinsichtlich ihrer Wirkung und Risiken in Bezug auf die Nachhaltigkeit zu kennen.
Grundsätzlich haben Verpflichtungen zur Veröffentlichung von Informationen über nachhaltig eingestufte Tätigkeiten im Rahmen der nicht finanziellen Berichterstattung nach den Grundsätzen der Finanzberichterstattung und in einem international abgestimmten Kontext zu erfolgen. Flexibilität im Sinne von «Comply or Explain» ist starren Vorschriften vorzuziehen. Neben der Notwendigkeit von Transparenz sind die Langfristorientierung sowie die Vergleichbarkeit von Informationen erforderlich, um Auswirkungen und Risiken bei Finanzierungsentscheiden zu berücksichtigen. Wo die Mess- und Vergleichbarkeit nicht gegeben ist, sind Notwendigkeit und Möglichkeit von Metriken kritisch zu beleuchten.
Schlanke Lösungen, die zu keinen ökologischen, ökonomischen und sozial untragbaren Transaktionskosten führen, sind unerlässlich. Es ist dabei wichtig zu berücksichtigen, dass die Unternehmen in der Schweiz unterschiedlich strukturiert und gross sind und nicht über die gleichen Ressourcen verfügen. Transparenzanforderungen sind so zu gestalten, dass auch kleinere Unternehmen diese umsetzen können. Auflagen sollten daher diese heterogene Unternehmenslandschaft berücksichtigen.
4. Rahmenbedingungen für Anlagen und Investments verbessern
Die Schweizer Wirtschaft fordert den Abbau steuerlicher und bürokratischer Hürden für nachhaltige Finanzinstrumente und Angebote (insbesondere, wo sie gewisse Anlagen faktisch verunmöglichen), die jedoch umgekehrt auch nicht in einer Besserstellung münden sollen – gleich lange Spiesse sind geboten. Zudem fordert die Wirtschaft die Förderung nachhaltigen Investierens durch entsprechende Rahmenbedingungen. Schweizer Finanzinstitute und Unternehmen benötigen einen angemessenen internationalen Marktzugang, so dass Dienstleistungen und Finanzinstrumente im Bereich Sustainable Finance exportiert werden können. Aktuell gibt es Anzeichen, dass ein Nachfrageüberschuss im Bereich Sustainable Finance besteht. Um die Verbreitung nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen zu stärken, ist der Finanzplatz auf ein günstiges Umfeld angewiesen. Gerade auch im Zusammenspiel mit den unterschiedlichen Wirtschaftsakteuren ist dabei eine differenzierte, auf die verschiedenen Bankgeschäfte abgestimmte Vorgehensweise wichtig.
Übergeordnet sind die regulatorischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Unternehmensgewinne möglichst in Forschung und Entwicklung investiert und nicht in Form von Steuern abgeführt werden müssen. Der Staat hat die Voraussetzungen für eine innovative Wirtschaft zu schaffen, respektive nicht einzuschränken. Dazu gehört eine Einschränkung der staatlichen Verschuldung, um nicht via Steuern oder ein monetär labiles Umfeld die Innovationskraft der Unternehmen zu schmälern.
5. International ambitioniert und abgestimmt, gleichzeitig aber selbstbewusst und eigenständig vorgehen
Für einen funktionierenden Markt sind gut verfügbare und vor allem vergleichbare Informationen eine wichtige Voraussetzung. Die Schweiz soll ihre Rolle als innovativer und fortschrittlicher Wirtschaftsstandort ausbauen. Internationalen Entwicklungen ist wo nötig und sinnvoll auf eine pragmatische und verhältnismässige Weise Rechnung zu tragen und eine Anbindung an das internationale Umfeld sicherzustellen. Auf einen «Swiss Finish» ist im Zweifelsfall zu verzichten. Gleichzeitig steht die Wirtschaft einem «vorauseilenden Gehorsam» ablehnend gegenüber und plädiert für eine sukzessive Anpassung an ambitionierte internationale Standards, sofern und sobald diese sich bewährt und etabliert haben und einen evidenzbasierten Ansatz verfolgen. Die Überführung von internationalen Empfehlungen in die Schweizer Gesetzgebung sollte prinzipienbasiert erfolgen.
6. Zusammenarbeit Finanz- und Realwirtschaft stärken
Sustainable Finance ergibt sich aus der Nachfrage nach einer nachhaltigen Realwirtschaft. Umgekehrt kann Sustainable Finance aber auch Anreize setzen. Damit sind Sustainable Finance und Realwirtschaft eng verbunden. Aus diesem Grund sind für alle Entwicklungen sowohl die Real- als auch Finanzwirtschaft frühzeitig einzubeziehen und umfassend zu berücksichtigen. Foren und Mechanismen zum Austausch und zur Kollaboration sind zu stärken. Eine marktgetriebene Abstimmung über mögliche Handlungsfelder und Selbstregulierung entlang der technischen Entwicklungen und der modernen wissenschaftlichen Lehre ist einschränkenden, regelbasierten oder Vorgaben wie Taxonomien vorzuziehen. Denn Letztere sind oft politisiert, reaktiv und vermögen der Dynamik im Markt nicht gerecht zu werden.