Schiefe Blöcke

Bun­des­haus­halt in Schief­la­ge: Hand­lungs­op­tio­nen

Der Bund hat mit­tel­fris­tig kaum fi­nan­zi­el­len Spiel­raum. Seine Mit­tel sind prak­tisch alle ver­plant. In die­ser Lage dis­ku­tiert das Par­la­ment eine Reihe von neuen Vor­ha­ben mit gros­sen Preis­schil­dern. Die Pro­jek­te dro­hen den Bund fi­nan­zi­ell zu über­for­dern. Mass­nah­men gegen die dro­hen­de Über­las­tung set­zen bei den Aus­ga­ben oder bei den Ein­nah­men an. Um Prio­ri­sie­run­gen kommt der Bund nicht herum.

Das Par­la­ment hat jüngst zahl­rei­che fi­nan­zi­ell ge­wich­ti­ge Be­schlüs­se ge­fasst. Vor allem Pro­jek­te in den Be­rei­chen Armee, Klima, Ver­kehr und For­schung kos­ten viel Geld. Wei­te­re Pro­jek­te sind in der po­li­ti­schen Pipe­line, die eben­falls alle ein gros­ses Preis­schild tra­gen. Stich­wor­te sind hö­he­re Prä­mi­en­ver­bil­li­gun­gen, mehr Geld für Kin­der­krip­pen, die Ab­schaf­fung der Hei­rats­stra­fe, Mehr­aus­ga­ben im Zu­sam­men­hang mit Eu­ro­pa und an­de­res mehr. Zu­sam­men­ge­nom­men führt das dazu, dass sich der Bund fi­nan­zi­ell heil­los über­las­tet – das Geld fehlt an allen Ecken und Enden.

Der Bun­des­rat hat Ende Juni seine fi­nan­zi­el­len Eck­wer­te vor­ge­legt. 2023 soll das Bun­des­bud­get noch den Vor­ga­ben der Schul­den­brem­se ent­spre­chen. Aber nur, weil die Wirt­schaft nach der Co­ro­na-Pan­de­mie noch nicht voll aus­ge­las­tet ist. Ent­spre­chend ist ein De­fi­zit von knapp einer Mil­li­ar­de Fran­ken er­laubt. Ab 2024 kön­nen die Vor­ga­ben der Schul­den­brem­se nach heu­ti­gem Stand nicht mehr ein­ge­hal­ten wer­den. Die Aus­ga­ben über­stei­gen die Ein­nah­men, und zwar bei Wei­tem. Ge­mäss den Pro­jek­tio­nen könn­te der Aus­ga­ben­über­hang bis zu sie­ben Mil­li­ar­den Fran­ken be­tra­gen. Solch hohe De­fi­zi­te hat es seit der Ein­füh­rung der Schul­den­brem­se vor 20 Jah­ren nicht mehr ge­ge­ben.

 

Einkommen

 

 

Ab­seh­bar ist, dass der Bund des­halb bald eine Be­rei­ni­gung vor­neh­men muss. 2024 sind es 1,1 Mil­li­ar­den Fran­ken; 2025 und 2026 je 1,3 Mil­li­ar­den Fran­ken. Das sind be­reits be­acht­li­che Sum­men. Ein Gross­teil der neu an­ge­dach­ten Pro­jek­te und Aus­ga­ben ist darin al­ler­dings gar noch nicht ent­hal­ten. Die Frage ist: Was kann in die­ser Si­tua­ti­on getan wer­den? Wie kann ver­hin­dert wer­den, dass der Bund plötz­lich ge­zwun­gen ist, noch hö­he­re Kor­rek­tu­ren vor­zu­neh­men?

Die Ant­wor­ten sind: We­ni­ger aus­ge­ben, mehr ein­neh­men – oder bei­des. Der Bund kann ers­tens auf neue oder er­wei­ter­te Auf­ga­ben ver­zich­ten, was Kos­ten spart. Mit dem glei­chen Ziel kann er zwei­tens bei den be­ste­hen­den Auf­ga­ben Kor­rek­tu­ren vor­neh­men. Drit­tens kann ver­sucht wer­den, zu­sätz­li­che Ein­nah­men zu be­schaf­fen, um damit hö­he­re Aus­ga­ben zu fi­nan­zie­ren. Alle drei Op­tio­nen sind nicht tri­vi­al – aber es sind die ein­zi­gen, die zur Ver­fü­gung ste­hen.

VER­ZICHT AUF NEUE AUF­GA­BEN

Der Bund ist auch im «Nor­mal­be­trieb» ge­zwun­gen, Prio­ri­tä­ten zu set­zen. Bei be­schränk­ten Mit­teln und ohne die Mög­lich­keit, Aus­ga­ben durch Schul­den zu fi­nan­zie­ren, bleibt ihm gar nichts an­de­res übrig. Um zu prü­fen, ob der Bund tat­säch­lich neue Auf­ga­ben über­neh­men oder be­ste­hen­de Auf­ga­ben in­ten­si­vie­ren soll, kön­nen bei­spiels­wei­se fol­gen­de Kri­te­ri­en an­ge­wen­det wer­den:

  • Ist die Rea­li­sie­rung tech­nisch und zeit­lich mög­lich?
  • Wird die fö­de­ra­le Ord­nung im Bun­des­staat re­spek­tiert?
  • Sind Ef­fi­zi­enz und Nach­hal­tig­keit ge­ge­ben?
  • Gibt es güns­ti­ge­re, even­tu­ell pri­va­te Lö­sun­gen?
  • Schliess­lich: Kann die Fi­nan­zie­rung unter rea­lis­ti­schen An­nah­men über­haupt vor­ge­nom­men wer­den und, wenn ja, wie?

KOR­REK­TU­REN BEI BE­STE­HEN­DEN AUF­GA­BEN

Eine Bun­des­auf­ga­be ist nicht in Stein ge­meis­selt – oder sie darf es nicht sein. Was vor 30 Jah­ren wich­tig war, muss heute nicht mehr die­sel­be Be­deu­tung haben bzw. an­de­re, neue­re The­men kön­nen wich­ti­ger ge­wor­den sein. Eine Frage in die­sem Zu­sam­men­hang ist, wie die künf­ti­gen Mehr­ein­nah­men – das «Haus­halts­wachs­tum» – ver­teilt wird. Ob vom Wachs­tum vor allem die «alten» Auf­ga­ben pro­fi­tie­ren oder ob Mit­tel für neue Auf­ga­ben ge­spro­chen wer­den. Ef­fek­ti­ve Kor­rek­tu­ren bei be­ste­hen­den Auf­ga­ben sind eben­falls mög­lich, auch wenn Kür­zun­gen und Auf­ga­ben­ver­zich­te er­fah­rungs­ge­mäss po­li­tisch schwie­rig sind. Dass bald zwei Drit­tel der Bun­des­aus­ga­ben ge­setz­lich ge­bun­den sind, macht das Vor­ha­ben nicht leich­ter. Wer­den An­pas­sun­gen stets bei den glei­chen Auf­ga­ben vor­ge­nom­men, führt das zu einer schie­fen Haus­halts­ent­wick­lung. Die sich än­dern­den Prio­ri­tä­ten wer­den unter Um­stän­den nicht ab­ge­bil­det. Län­ger­fris­tig braucht es beim Bund grund­sätz­li­che Über­le­gun­gen dazu. Sonst bleibt nur die letz­te Op­ti­on: Der Staat braucht zu­sätz­li­che Mit­tel.

MEHR­EIN­NAH­MEN

Zu einem aus­ge­gli­che­nen Staats­haus­halt kön­nen auch Mehr­ein­nah­men bei­tra­gen. Die rea­lis­ti­schen Op­tio­nen für Mehr­ein­nah­men, in der Regel Steu­er­er­hö­hun­gen, sind je­doch be­grenzt. Bei der Fir­men­steu­er muss es das Ziel sein, die Ein­nah­men auf dem heu­ti­gen Ni­veau zu er­hal­ten. Auf­grund der von der OECD vor­ge­ge­be­nen Min­dest­be­steue­rung ge­ra­ten die Ein­nah­men län­ger­fris­tig so­wie­so schon unter Druck. Bei der Ein­kom­mens­steu­er wer­den ge­gen­wär­tig eher Steu­er­ent­las­tun­gen dis­ku­tiert (Ab­schaf­fung Ei­gen­miet­wert und Hei­rats­stra­fe bzw. In­di­vi­du­al­be­steue­rung). Mög­lich wären Mehr­ein­nah­men über die Mehr­wert­steu­er. Eine Er­hö­hung der Mehr­wert­steu­er für den all­ge­mei­nen Bun­des­haus­halt stell­te al­ler­dings ein Novum dar. Mehr­wert­steu­er­er­hö­hun­gen waren bis­lang immer zweck­ge­bun­den (z.B. für die IV). Zudem sind für die Si­che­rung der Al­ters­vor­sor­ge be­reits Er­hö­hun­gen ab­seh­bar, was wei­te­re Steu­er­er­hö­hun­gen schwie­ri­ger ma­chen dürf­te. Plus: An­pas­sun­gen beim Mehr­wert­steu­er­satz brau­chen in jedem Fall eine Volks­ab­stim­mung. Diese stel­len zwar ein Ri­si­ko dar, sie zei­gen aber auch, ob das Volk eine neue Staats­auf­ga­be ef­fek­tiv mit­trägt, auch fi­nan­zi­ell. Geld­quel­len wie die nach­träg­li­che Ver­wen­dung un­plan­ba­rer Haus­halts­über­schüs­se oder schwan­ken­de Zu­satz­aus­schüt­tun­gen der Schwei­ze­ri­schen Na­tio­nal­bank sind für eine nach­hal­ti­ge Fi­nan­zie­rung von Bun­des­auf­ga­ben keine Op­ti­on. Diese Fi­nanz­flüs­se sind zu wenig zu­ver­läs­sig.

NICE TO HAVE VS. NEED TO HAVE

Wofür der Bund seine Mit­tel aus­gibt, ist eine po­li­ti­sche Frage. Für die Wirt­schaft ste­hen wachs­tums- und wohl­stands­för­dern­de Auf­ga­ben im Vor­der­grund. Aus­ga­ben­be­schlüs­se soll­ten zudem von den Kri­te­ri­en Ef­fi­zi­enz, Nach­hal­tig­keit und der Ein­hal­tung der fö­de­ra­len Ord­nung ge­lei­tet sein. Keine Frage hin­ge­gen ist, dass der Bund seine Aus­ga­ben im Gleich­ge­wicht mit den Ein­nah­men hält. Diese Vor­ga­be hat das Volk dem Bund in der Bun­des­ver­fas­sung ge­macht. Die Schul­den­ex­plo­si­on in den 1990er-Jah­ren hat ge­zeigt, wie wich­tig sie ist. Die be­ste­hen­den Hand­lungs­op­tio­nen sind des­halb klar. Rea­lis­tisch wird eine Misch­form von Ver­zich­ten, Kor­rek­tu­ren bei be­ste­hen­den Auf­ga­ben und Mehr­ein­nah­men sein. Als Grund­re­gel muss heute mehr denn je gel­ten, dass Wich­ti­ges und Drin­gen­des vom le­dig­lich Schö­nen und Wünsch­ba­ren kon­se­quent ge­trennt wer­den.