Dem Bun­des­haus­halt droht eine struk­tu­rel­le Über­las­tung

Beim Spre­cher der Kom­mis­si­on, alt Stän­de­rat Hans­hei­ri In­der­kum, kam keine Be­geis­te­rung auf. Die Be­ra­tung der Vor­la­ge wurde «in der nüch­ter­nen Ein­sicht in die Not­wen­dig­keit» in An­griff ge­nom­men. Es war von «Po­li­tik­ver­sa­gen» die Rede. Von Schran­ken, die es sich auf­zu­er­le­gen gälte. Was war ge­sche­hen?

Man schrieb das Jahr 2001. Die Schul­den des Bun­des hat­ten sich ge­ra­de ver­drei­facht. «Sorg­lo­se Auf- und Aus­ga­ben­be­schlüs­se» waren es ge­we­sen, die einen Schul­den­hü­gel von 35 Mil­li­ar­den Fran­ken (1991) in neun Jah­ren zu einem Schul­den­berg von über 100 Mil­li­ar­den Fran­ken (1999) hat­ten ex­plo­die­ren las­sen. Vom Bund ge­trie­ben, lagen die Ge­samt­schul­den der Schweiz nicht mehr weit ent­fernt vom «Maas­tricht»-Schwel­len­wert von 60 Pro­zent vom BIP – dem da­ma­li­gen Mass für eine ge­ra­de noch trag­ba­re Ver­schul­dung. Die Schul­den pro Schwei­zer und Schwei­ze­rin hat­ten sich von 14'000 Fran­ken auf 28’00 Fran­ken ver­dop­pelt. Die Si­tua­ti­on war kein Ruh­mes­blatt, und sie kam den Bund teuer zu ste­hen. Gut vier Mil­li­ar­den Fran­ken be­tru­gen die jähr­li­chen Zins­kos­ten, ein Be­trag fast so hoch wie das Armee-Bud­get. Bun­des­rat Kas­par Vil­li­ger, da­mals Fi­nanz­mi­nis­ter, sah den Hand­lungs­spiel­raum «mass­geb­lich» ein­ge­schränkt. Der Bund hatte Kon­sum auf Pump be­trie­ben.

«In­nert neun Jah­ren wuchs der Schul­den­hü­gel zum Schul­den­berg»

40 Pro­zent des Schul­den­an­stiegs der 1990er-Jahre waren die Folge von schie­rem Über­kon­sum: Der Bund hatte lau­fend mehr aus­ge­ge­ben, als er über Steu­ern ein­ge­nom­men hatte. Wei­te­re Schul­den gin­gen auf die Sa­nie­rung von öf­fent­li­chen Un­ter­neh­men und die Aus­fi­nan­zie­run­gen von Pen­si­ons­kas­sen zu­rück. 40 Mil­li­ar­den Fran­ken aber waren das, was der Fi­nanz­mi­nis­ter mit «dem Whis­ky, den Sie jeden Abend trin­ken» ver­glich: Kon­sum, der al­ler­dings nicht be­zahlt, son­dern auf Pump ge­tä­tigt wurde. «Das dür­fen wir der nächs­ten Ge­ne­ra­ti­on nicht antun!», rief er der Po­li­tik im Saal zu. Genau wie bei der Öko­lo­gie gälte es, die Nach­hal­tig­keit auch im Fi­nan­zi­el­len zu wah­ren. Zur De­bat­te stand die Schul­den­brem­se. Sie wurde noch im glei­chen Jahr durch einen Volks­ent­scheid in die Bun­des­ver­fas­sung ein­ge­führt. Der Ja-An­teil be­trug spek­ta­ku­lä­re 85 Pro­zent. Die Schul­den­brem­se ver­hin­der­te in der Folge sol­ches Ge­ba­ren und sie tat es un­ge­mein er­folg­reich.

Den Bun­des­haus­halt im Gleich­ge­wicht hal­ten und die Ge­ne­rie­rung neuer struk­tu­rel­ler De­fi­zi­te ver­mei­den – mit die­sem Ziel wurde die Schul­den­brem­se fort­an kon­se­quent um­ge­setzt. Der chro­ni­sche Über­hang von Aus­ga­ben der 1990er-Jahre konn­te dank zwei um­fang­rei­chen Spar­pro­gram­men be­sei­tigt wer­den. Der or­dent­li­che Bun­des­haus­halt kam bis 2006 ins Gleich­ge­wicht und im Gleich­ge­wicht ist er noch heute. Über an­dert­halb Jahr­zehn­te wur­den die Schul­den des Bun­des nicht nur sta­bi­li­siert, son­dern um 30 Mil­li­ar­den Fran­ken zu­rück­ge­baut. Die Schul­den auf­grund der Co­ro­na-Pan­de­mie stellt in die­ser Ent­wick­lung eine aus­ser­or­dent­li­che Si­tua­ti­on dar.

Haben wir damit die Leh­ren der 1990er-Jahre ge­zo­gen? Ist die Ge­fahr von Po­li­tik­ver­sa­gen für immer ge­bannt? Die Ak­tua­li­tät lässt uns daran zwei­feln. Pro­jek­te in in­fla­tio­nä­rer Zahl und mit hohen Preis­schil­dern ste­hen in der po­li­ti­schen Pipe­line, von denen noch nicht eines fi­nan­ziert ist. Der Aus­bau der Armee, neue Kin­der­krip­pen-Sub­ven­tio­nen, mil­li­ar­den­schwe­re zu­sätz­li­che Prä­mi­en­ver­bil­li­gun­gen, För­der­gel­der für Fo­to­vol­ta­ik und vie­les mehr: Würde alles um­ge­setzt, die hohen De­fi­zi­te wären auch heute wie­der Rea­li­tät. So pro­gnos­ti­ziert der Bun­des­rat ak­tu­ell De­fi­zi­te von jähr­lich bis zu 7 Mil­li­ar­den Fran­ken. Die frü­he­re Schul­den­ex­plo­si­on könn­te sich ohne Wei­te­res wie­der­ho­len. Die Po­li­tik, so scheint es, ist un­ver­än­dert zum Über­kon­sum be­reit. Dem Bun­des­haus­halt droht die struk­tu­rel­le Über­las­tung.

«Kommt es nicht zur Über­be­las­tung, ist dies ein­zig der Schul­den­brem­se zu ver­dan­ken»

Kommt es nicht dazu, ist das ein­zig das Ver­dienst der Schul­den­brem­se. Die im Grun­de ge­nom­men ein­fa­che Fis­kal­re­gel – Aus­ga­ben müs­sen durch Ein­nah­men fi­nan­ziert sein – ist al­lein in der Lage, fi­nanz­po­li­ti­sche Fehl­ent­wick­lun­gen zu ver­hin­dern und Nach­hal­tig­keit beim staat­li­chen Geld­aus­ge­ben ein­zu­for­dern. Die lau­fend län­ger wer­den­de Wunsch­lis­te von neuen teu­ren Bun­des­pro­jek­ten zeigt, wie wich­tig und rich­tig die Schul­den­brem­se ist – auch noch  20 Jahre nach ihrer Ein­füh­rung. Sie ist so gut wie da­mals. Und min­des­tens so nötig.