Fokus Inflation III: «This time is different» – wirklich?

Vier Gründe haben wir für die rekordhohe Inflation in den USA ausgemacht: Rohstoffpreisanstieg, Lieferengpässe, ultra-expansive Geldpolitik und staatliche Stimuli. Bei den Rohstoffpreisen kann künftig noch allerhand passieren. Die drei anderen Effekte aber scheinen früher oder später auszulaufen: Die amerikanische Notenbank (FED) stellt Zinserhöhungen in Aussicht, Lieferengpässe sollten durch den Produktionsausbau reduziert werden und zusätzliche Grossausgaben des Staates scheinen im Parlament derzeit nicht mehrheitsfähig. Reicht das, um die Inflation in den USA zu brechen?

Verschiedentlich wird argumentiert, dass die derzeitige Inflation in den USA nur vorübergehend sei. Bei angebotsseitigen Schocks sei es töricht, an der Zinsschraube zu drehen. Die Inflation gehe vorüber, weil die Knappheiten auch nur vorübergehender Natur seien. Doch diese Sichtweise verkennt, dass sowohl angebotsseitige als auch nachfrageseitige Gründe für die Preissteigerungen verantwortlich sind. Wäre die U.S.-Volkswirtschaft «nur» von einem Angebotsschock getroffen worden, würde die Wirtschaftsleistung zurückgehen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Nachfrageschock sorgt für prächtige Stimmung nicht nur an den Finanzmärken, sondern auch auf dem Arbeitsmarkt. Der Fachkräftemangel nimmt zu, das Produktionspotenzial wird ausgeschöpft – und ja, die Überhitzung ist da. Das Resultat in einer Volkswirtschaft entsteht eben aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage.

Betrachten wir einen Grund für den Inflationsanstieg etwas genauer: Unsere Grafik zeigt die starken Nachfragestimuli der Regierung und des FED im Jahr 2020 und 2021, die vorübergehend die Einkommen der US-Haushalte stark verbessert haben. Die konsumfreudigen Bürgerinnen und Bürger der USA konnten dank der Einkommensspritze ihr Kaufverhalten anpassen. Interessant ist nun aber, dass das verfügbare Einkommen in den USA real, das heisst inflationsbereinigt, in den letzten Monaten wieder gesunken ist. Mittlerweile liegt es unter dem langfristigen Trend und nur noch ganz leicht über dem Vorpandemie-Niveau. Die US-Konsumenten können sich also nach dem vorübergehenden Hoch nun weniger mit ihrem Einkommen kaufen, weil die Preise gestiegen sind. Die Differenz zwischen dem nominalen und dem realen verfügbaren Einkommen wird immer grösser.

Doch wie geht es weiter? Die Nachfragestimuli der Regierungen gehen zu Ende. Das FED bekommt es langsam mit der Angst zu tun und will die ultra-expansive Geldpolitik reduzieren. Auch der angebotsseitige Effekt der Knappheiten wird nicht ewig dauern, weil die Produktionskapazitäten erhöht werden. Müsste dies nicht zu einer sinkenden Inflation führen?

Was die Rohstoffpreise betrifft, besteht noch einige Luft nach oben. Doch was entscheidender ist: Die Knappheiten auf dem Arbeitsmarkt halten noch einige Zeit an. Alle Arbeitnehmer, die jetzt konsterniert feststellen, dass ihre Kaufkraft durch die Inflation teilweise weggefressen wird, werden ihre Position ausnützen, um höhere Löhne einzufordern. Der Zeitpunkt ist günstig, denn der Ausbau der Produktionskapazitäten erfordert zusätzliches Personal, das oft nur schwierig zu finden ist. Höhere Preise verbunden mit Knappheiten auf dem Arbeitsmarkt führen erfahrungsgemäss zu starken Lohnsteigerungen. Arbeitnehmende werden in den Lohnverhandlungen Lohnaufschläge durchsetzen – und wenn nicht, haben sie aufgrund des angespannten Arbeitsmarktes gute Alternativen. Das Job-Karussell beginnt zu drehen, weil bei einem Wechsel höhere Löhne offeriert werden. Doch wenn Unternehmen auf breiter Front höhere Saläre bezahlen müssen, werden sie früher oder später gezwungen, die Preise im Markt zu erhöhen. So kommt die befürchtete Lohn-Preis-Spirale in Gang.

Man sollte es sich daher nicht zu einfach machen und davon ausgehen, dass die Inflation vorübergehend ist. Vielmehr besteht die grosse Gefahr, dass die Lohn-Preis-Spirale zu drehen beginnt, die nur noch unter grossen Kostenfolgen abgewürgt werden kann. Eine Bekämpfung der Inflation wäre volkswirtschaftlich teuer. Auch das wissen wir mit ziemlicher Sicherheit. «This time is not different.»


Fokus Inflation

Folge I: Achtung Geldillusion – Der Franken ist nicht mehr so stark wie 2015 

Folge II: Vier Gründe für die rekordhohe Inflationsrate in den USA

Folge III: «This time is different» – wirklich?

Folge IV: Nicht neutral, sondern ganz schön fies

Folge V: Die unabhängige SNB schlägt zurück

Folge VI: Wieso schlägt der Ölpreisanstieg nicht stärker auf die Schweiz durch?

Folge VII: Der Ukraine-Krieg heizt die Inflation an

Folge VIII: Der perfekte Sturm – so entsteht eine Hyperinflation

Folge IX: Die Geldpolitik der USA und der EZB – ein Spiel mit dem Feuer

Folge X: Ist die Türkei auf dem Weg zur Hyperinflation?

Fokus XI: Eine Zentralbank muss die Märkte überraschen dürfen

Fokus XII: «Forward Guidance» – eine Medizin mit Nebenwirkungen

Fokus XIII: Staatspreise machen alles nur schlimmer

Folge XIV: Reichen die Zinserhöhungen zur Zähmung der Teuerung?

Folge XV: Ist in den USA ein «Soft Landing» möglich?

Folge XVI: Mietzinsregelung erschwert der SNB die Arbeit