Der Fall «Rastatt» und was wir daraus lernen können
Stillstehende Güterzüge und ein schwerfälliges Krisenmanagement – der derzeitige Streckenunterbruch auf der Nord-Süd-Achse bringt den Schienengüterverkehr an seine Grenzen und verursacht einen noch nicht abschätzbaren volkswirtschaftlichen Schaden. Soll die Schiene auch in Zukunft ein attraktiver Träger für den Güterverkehr bleiben, sind nationale und internationale Handlungsansätze unausweichlich.
Seit dem 12. August ist die Rheintalbahnstrecke in Rastatt bei Karlsruhe unterbrochen. Eine Panne bei Bauarbeiten an einem Tunnel hat dazu geführt, dass sich die darüber liegenden Gleise auf einem kurzen Abschnitt absenkten. Auf einen Schlag war ein Flaschenhals auf der Nord-Süd-Achse auf unbestimmte Zeit unbefahrbar. Während für den Personenverkehr verhältnismässig schnell Umleitungen und Ersatzkapazitäten zur Verfügung standen, harzt es beim Güterverkehr auch noch gut einen Monat nach dem Zwischenfall.
Im Normalbetrieb befahren pro Tag rund 200 Güterzüge den betroffenen Streckenabschnitt. Sie verbinden die grossen Seehäfen in Belgien und den Niederlanden mit Italien und versorgen die dortige Wirtschaft mit Produktionsmitteln. Der Unterbruch stoppt während Monaten etwa 45 Prozent des gesamten Güterverkehrs auf der Nord-Süd-Achse. Auf der Schiene wurden zeitweise gerade einmal 16 Prozent des normalen Volumens bewegt. Ausweichrouten über Stuttgart-Singen, Frankreich oder den Brenner wurden aufgrund der schwachen internationalen Koordination nur schleppend in Betrieb genommen. Die Betriebsregeln in Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz sind nicht genügend aufeinander abgestimmt und es bestehen teilweile gravierende Kommunikationsbarrieren. Zudem gibt es nach wie vor Engpässe bei den Bahnen: Es mangelt an Lokomotiven und vor allem an Lokomotivführern, um die Alternativrouten voll auszulasten. Derweil zögert sich die Instandsetzung des beschädigten Streckenabschnitts immer mehr hinaus – gemäss Infrastrukturbetreiberin DB Netz AG wird die Störung erst am 2. Oktober behoben sein.
Was bleibt ist ein grosser volkswirtschaftlicher Schaden – vermutlich in Milliardenhöhe. Noch weit schlimmer ist jedoch der nachhaltige Imageschaden, den der Schienengüterverkehr und die Verlagerungspolitik als Ganzes erleiden. Es zeigt sich in der derzeitigen Situation: Die Anfälligkeit des Gesamtsystems ist hoch – dies vor allem aufgrund der fehlenden Bereitschaft der betroffenen Länder, eine auf den ganzen Korridor ausgerichtete Politik zu betreiben. Jedoch gibt es auch Grund zur Zuversicht: In der Aufarbeitung des Falls «Rastatt» liegt eine Chance, die zutage getretenen Probleme anzupacken. Dies allem voran auf europäischer Ebene. Die EU sollte gemeinsam mit den Mitgliedstaaten das Konzept der Güterverkehrskorridore überdenken. Das heutige Konstrukt und die heutige Aufgabenteilung werden den Anforderungen nicht gerecht – es braucht ein gemeinsames, operativ wirksames Korridormanagement. Auch müssen zukünftig robuste Notfallszenarien bereitstehen, die von allen betroffenen Staaten kooperativ umgesetzt werden. In der Schweiz stehen mit der parlamentarischen Beratung der Vorlage «Organisation Bahninfrastruktur» (OBI-Vorlage) sowie dem Ausbauschritt 2030/35 wichtige politische Weichenstellungen an. Auch hier muss es das Ziel sein, mit einer variablen, leistungsfähigen Infrastruktur die Verlässlichkeit des Schienengüterverkehrs zu erhöhen. Zudem muss endlich eine sinnvolle Koexistenz für den Personen- und Gütertransport gefunden werden. Dies ist entscheidend, soll die Schiene auch in Zukunft ein attraktiver Träger für den Güterverkehr bleiben.