Im Güterverkehr prallen Welten aufeinander
Das Wichtigste in Kürze:
- Bundesrat und Parlament versuchen mit 750 Millionen Franken den Befreiungsschlag beim Güterverkehr auf der Bahn. Strukturelle Reformen gelingen leider keine.
- In der Praxis bleiben Zweifel und die zentrale Frage, ob umverteiltes Geld von der Strasse die Probleme der Bahn effektiv lösen kann.
- Politischer Wille kann bekanntlich Berge versetzen – ob er aber auch Bahnweichen richtig stellen kann, muss sich erst noch weisen.
Im Güterverkehr prallen Welten aufeinander. Hier der agile, vom Wettbewerb gestählte Strassentransport, der im Binnenverkehr einen Marktanteil von fast 78 Prozent aufweist. Dort der komplexe und etwas behäbige Schienengüterverkehr, der zwar im Verbund mit der Strasse eine wichtige Marktposition einnimmt, jedoch auch seit Jahrzehnten mit enormen Strukturproblemen kämpft. Die Marktliberalisierung vor gut 20 Jahren hat im Schienengüterverkehr einige Verbesserungen und Innovationen hervorgebracht. Die vollständige «Entkrustung» ist bis heute aber leider nicht gelungen.
Gelingt der Befreiungsschlag?
Bundesrat und Parlament versuchen deshalb nun den Befreiungsschlag. Mit dem revidierten Gütertransportgesetz sollen in den nächsten Jahren rund 750 Millionen Franken aus der LSVA in den Schienengüterverkehr fliessen. Das sind über den Daumen gepeilt 100 Franken pro Wagen, der in den nächsten 8 Jahren auf der Schiene bewegt wird (Einzelwagenladungsverkehr). Die Politik erwartet sich viel von diesem Zustupf: Eigenwirtschaftlichkeit, mehr Kundennähe und allem voran ein Güterwachstum auf der Schiene – nicht zuletzt dem Klima zuliebe. Doch auch hier kollidieren Welten. Die Ambitionen sind hoch, die Realitäten im Markt eher ernüchternd. Branchenkenner zweifeln an, ob das erhoffte Güterwachstum möglich ist. Preiserhöhungen von SBB Cargo vertreiben Kunden und Güter von der Schiene, noch bevor die Reform überhaupt greifen kann. Und wer sich ein wenig Politik auskennt, erahnt auch: Bei einer temporären Anschubfinanzierung wird es wohl kaum bleiben – der Geist der Subvention kehrt leider meist nicht mehr in die Flasche zurück.
Chance auf tiefgreifende Reform verpasst
Viele Hoffnungen ruhen auf neuer Technologie. Die digitale automatische Kupplung soll Betriebskosten reduzieren, bis 2030 soll sie in ganz Europa flächendeckend zum Einsatz kommen. Angesichts von rund 500'000 umzurüstenden Güterwagen eine Herkulesaufgabe. Und auch beim Blick in die Vergangenheit legt sich einem die Stirn in Falten – ähnliche Vorhaben für neue Kupplungssysteme kursieren in Europa schon seit den 1960er Jahren, bisher immer erfolglos. An institutionelle Themen wie den Wettbewerb, die Trennung von Infrastruktur und Betrieb, die Rolle von SBB Cargo, die Bürokratie oder die Aufgabenteilung von Staatsbahnen und Privatwirtschaft hat sich die Politik leider nicht gewagt. Zu unangenehm die Fragen, zu gross der Zeitdruck. Eine verpasste Chance.
Weichen gestellt, Ausgang ungewiss
So bleibt trotz abgeschlossener Reform ein schaler Beigeschmack und viele offene Fragen. Kann umverteiltes Geld von der Strasse die Probleme der Bahn lösen? Reichen die beschlossenen Investitionsmassnahmen aus? Was wird aus der Schiene, wenn der Strassentransport dereinst klimaneutral ist? Es wird sich alles zeigen. Sicher ist: Wenn Welten kollidieren, wird eine Menge Energie freigesetzt und Dinge verändern sich. Hoffentlich zum Guten. Oder um ein anderes Bild zu verwenden: Politischer Wille kann Berge versetzen – ob er aber auch Bahnweichen richtig stellen kann, muss sich erst noch weisen.