Barrieren für den Handel - Technische Handelshemmnisse In 7 Fragen erklärt
«Wir haben heute vereinbart, die technischen Gespräche in sämtlichen Bereichen wiederaufzunehmen»: Mit diesem Satz hat die Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard am Donnerstag vor den Medien in Brüssel das wohl wichtigste Ergebnis ihres Treffens mit dem EU-Kommissions-Präsidenten Jean-Claude Juncker zusammengefasst. Jetzt in 7 Fragen alles zu den "technischen Handelshemmnissen" erfahren.
Doris Leuthard und Jean-Claude Juncker scheinen einen Schritt weitergekommen zu sein. SRF-Sendung vom Donnerstag 6. April 2017
Früher kannte jedes EU-Land seine eigenen Regeln in Bezug auf Produkte, Verfahren und Zulassungen. Dank des bilateralen Abkommens über den Abbau technischer Handelshemmnisse sind diese Vorschriften heute in der EU und der Schweiz gleichwertig. Damit sparen die Schweizer Unternehmen beim Beliefern des europäischen Markts Zeit und Geld. Und die Konsumenten profitieren von einer grösseren Auswahl und tieferen Preisen.
1. Was sind "technische Handelshemmnisse" ?
Unter technischen Handelshemmnissen versteht man Massnahmen eines Landes, die zwar keine Zölle sind, den Import bestimmter Waren aber trotzdem erschweren. Es gibt zwei Kategorien solcher Importhürden:
– Produktvorschriften in Bezug auf die Herstellung, Verpackung oder Etikettierung;
– Nichtanerkennung von Konformitätsbewertungen, mit denen geprüft wird, ob eine Ware die geltenden Vorschriften erfüllt und folglich auf den Markt gebracht werden kann
2. Wie war es denn früher?
Es scheint heute selbstverständlich, dass Schweizer Qualitätsprodukte – wie beispielsweise Waschmaschinen, Bügeleisen oder Kaffeemaschinen – nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa vertrieben werden. Doch noch bis zur Jahrtausendwende war dieser Export kompliziert, da in der Schweiz und der EU unterschiedliche Produktevorschriften galten und Konformitätsbewertungen nicht gegenseitig anerkannt wurden. So war es unter Umständen möglich, dass ein Schweizer Waschmaschinenhersteller wegen unterschiedlicher Sicherheitsvorschriften verschiedene Modelle für die Schweiz und den EU-Raum produzieren musste. Auch wurden die Geräte mindestens zweimal einer Prüfung unterzogen. Solche technischen Handelshemmnisse machten für ein Schweizer Unternehmen den Export in andere Länder nicht nur kompliziert und zeitaufwendig, sondern verursachten ausserdem hohe Mehrkosten. Dasselbe galt umgekehrt für Waschmaschinenhersteller aus der EU, die ihre Produkte in der Schweiz verkaufen wollten.
3. Wer akzeptiert heute unsere Inspektionen?
Heute anerkennen alle 28 EU-Länder die Schweizer Analyse- und Zertifizierungsverfahren, und umgekehrt. Denn im Rahmen der Bilateralen wurden mit dem Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen solche Doppelspurigkeiten grösstenteils aus dem Weg geräumt. Die Schweiz passt die technischen Vorschriften weitgehend und autonom an diejenigen ihres wichtigsten Handelspartners – der EU – an. Konkret kann damit vermieden werden, dass ein Schweizer Waschmaschinenhersteller unterschiedliche Geräte für den inländischen und den europäischen Markt anfertigen muss. Weiter läuft er keine Gefahr, seine Produktion aufgrund von Inspektionen aus verschiedenen EU-Mitgliedsländern mehrmals unterbrechen zu müssen, da die Schweiz und die EU ihre Inspektionen von Produktionsverfahren gegenseitig anerkennen. Somit wird der Schweizer Waschmaschinenhersteller gegenüber seinen europäischen Konkurrenten nicht benachteiligt. Doch nicht nur er profitiert, sondern auch seine Kunden, seine Vertriebspartner, etliche Zulieferer und die Schweizer Wirtschaft im Allgemeinen.
4. Wer profitiert?
Umgekehrt können ausländische Unternehmen ihre Ware ohne technische Handelshemmnisse auch einfacher in der Schweiz verkaufen. Daher führte die Schweiz 2010 das sogenannte «Cassis-de-Dijon»-Prinzip ein, das in der EU viel zur Verwirklichung des gemeinsamen Binnenmarkts beigetragen hat. Es ermöglicht, dass in der EU, beziehungsweise im EWR rechtmässig verkaufte Produkte grundsätzlich auch in der Schweiz ohne zusätzliche Kontrolle angeboten werden dürfen. Den Schweizer Konsumenten kommt dies dadurch zugute,dass sie eine wesentlich grössere und günstigere Auswahl – beispielsweise an Waschmaschinen – zur Verfügung haben.
Dank des Abbaus technischer Handelshemmnisse profitieren alle Konsumenten von einer grösseren Auswahl an Produkten und tieferen Preisen.
5. Können Schweizer Firmen günstiger produzieren und billiger exportieren?
Ja, denn weniger Handelshemmnisse bedeuten weniger Bürokratie. Um Schweizer Waschmaschinen in EU-Ländern zu verkaufen, muss der Hersteller nicht zunächst auf eine zweite Zulassung der EU warten. Das verkürzt seine Lieferzeit. Auch die hohen Kosten für die Prüfung oder die Verluste, die früher durch den mehrmaligen Unterbruch der Produktion verursacht wurden, sind Geschichte. Gemäss Schätzungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) werden dadurch jedes Jahr 200 bis 500 Millionen Franken eingespart. Da jedoch alleine die Pharmafirmen angeben, jährlich bis zu 350 Millionen Franken zu sparen, kann davon ausgegangen werden, dass die Seco-Schätzung eher zu tief liegt. Schliesslich können dank des Abkommens auch EU-Unternehmen günstiger in die Schweiz exportieren, was sich unter anderem positiv auf die Preise für Vorleistungen auswirkt, welche hiesige Unternehmen für ihre Produkte verwenden. Die Kosteneinsparungen setzen wiederum finanzielle Mittel frei, die beispielsweise in die Innovation investiert werden können.
6. Was könnte man besser machen?
Während Waschmaschinenhersteller heute ihre Produkte einfach in der Schweiz und in der EU handeln können und als Folge die Konsumenten von einer grossen Auswahl und tiefen Preisen profitieren, gilt dasselbe leider noch nicht für Produkte wie Waschmittel. Schweizer Spezialvorschriften behindern in gewissen Bereichen noch immer den grenzüberschreitenden Handel, obwohl festgestellt wurde, dass der Abbau von Handelshemmnissen die Schweiz wettbewerbsfähiger macht. Ein Rückschritt hinter den heutigen Stand würde dem Wirtschaftsstandort deshalb erheblichen Schaden zufügen. Zu diesem Schluss kommen auch diverse Studien: So stellt Ecoplan (2015) fest, dass ohne das Abkommen über den Abbau technischer Handelshemmnisse mit einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 0,85 Prozent zu rechnen wäre. Eine weitere Studie zeigt, dass dank des Abkommens die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ein Produkt überhaupt gehandelt wird und sich bereits bestehende Handelsbeziehungen intensivieren. Dies wiederum schafft Arbeitsplätze im Inland.
7. Wieso ist die EU dabei so wichtig?
Die Schweiz hat international mit verschiedenen Partnern vergleichbare Abkommen abgeschlossen. Keines ist jedoch wirtschaftspolitisch so bedeutungsvoll wie jenes mit der EU. Unzählige Schweizer Unternehmen aus insgesamt 20 Industriebereichen sollen nicht nur heute, sondern auch in Zukunft davon profitieren können.