Kündigungsinitiative II: löst keine Probleme, schafft aber zahlreiche neue
- Einleitung Das Wichtigste in Kürze | Position economiesuisse
- Kapitel 1 Die Kündigungsinitiative II der SVP ist ein Etikettenschwindel
- Kapitel 2 Annahme der Kündigungsinitiative II bedeutet das Ende des bilateralen Erfolgswegs
- Kapitel 3 Die Bilateralen mit der EU sind ein zentraler Wohlstandsfaktor für die Schweiz
- Kapitel 4 Wir sind heute wie auch in Zukunft auf Arbeitskräftezuwanderung angewiesen
- Kapitel 5 Wohlstand sichern und echte Probleme nachhaltig lösen
- Kapitel 6 Fazit: Die Kündigungsinitiative II löst kein einziges Problem, schafft aber zahlreiche neue
Wohlstand sichern und echte Probleme nachhaltig lösen
- Wachstum ist kein Nullsummenspiel. Wenn wir wachsen, entstehen zusätzliche Arbeitsplätze, Einkommen, Lebensqualität, Freiheit und Chancen, von denen viele profitieren. Sollte die Bevölkerung in der Schweiz hingegen nicht mehr wachsen, wird es Verlierer geben. Beispielsweise lohnt es sich längerfristig nur, Verbindungen im öffentlichen Verkehr aufrechtzuerhalten, wenn diese auch nachgefragt werden.
- Zugleich ist aber auch klar: Die Sorgen der Bevölkerung hinsichtlich der Zuwanderung müssen ernst genommen werden. Es braucht wirksame Massnahmen, um die echten Probleme der Zuwanderung zu lösen und gleichzeitig die Lebensqualität in einer bevölkerungsmässig wachsenden Schweiz weiter zu verbessern.
- So müssen beispielsweise die Produktivität weiter gesteigert, das inländische Arbeitskräftepotenzial besser ausgeschöpft, das Asylrecht besser durchgesetzt, die Verfahren beim Wohnungsbau massiv vereinfacht und unsere Infrastruktur besser genutzt und gezielt ausgebaut werden.
Nachfolgend werden deshalb verschiedene Lösungsvorschläge in den Bereichen Produktivität, Arbeitsmarkt-, Asyl-, Wohn- und Infrastrukturpolitik präsentiert:
Die Schweiz muss ihre Produktivität weiter erhöhen
Die Politik ist gefordert, wirksame Massnahmen zu ergreifen, um ein höheres Produktivitätswachstum zu begünstigen. Um die Produktivität von Unternehmen und Erwerbstätigen weiter zu erhöhen, muss sie bestmögliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen schaffen, Regulierungen und Bürokratie abbauen, die Digitalisierung vorantreiben und den überproportionalen Stellenzuwachs der letzten Jahre beim Staat auf ein nachhaltiges Niveau reduzieren. Insbesondere muss die Schweiz die Chancen neuer Technologien wie beispielsweise der generativen Künstlichen Intelligenz (KI) nutzen können (siehe Webnews vom 31.08.2024). Auf diese Weise werden die Unternehmen in der Privatwirtschaft entlastet, die Produktivität steigt und der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften nimmt ab.
Die Schweiz muss das inländische Arbeitskräftepotenzial besser ausschöpfen
Der Schweizerische Arbeitgeberverband SAV hat in seinem 8-Punkte-Plan vom April 2023 eine Reihe von Massnahmen skizziert, um dem sich verschärfenden Arbeitskräftemangel zu begegnen. economiesuisse unterstützt diese Forderungen vollumfänglich:
- Die tatsächliche Arbeitszeit muss wieder erhöht werden.
- Mehr Arbeiten muss sich lohnen.
- Wir müssen länger arbeiten können.
- Wir müssen die Berufsbildung wertschätzen.
- Bildungsentscheide müssen bewusster gefällt und gesteuert werden.
- Wir müssen die Türe für die Zuwanderung von Arbeitskräften offenhalten.
- Wir müssen die Arbeitszeiten flexibler gestalten.
- Wir müssen mehr Menschen mit Beeinträchtigungen im Arbeitsmarkt halten.
Je mehr, je länger und je produktiver gearbeitet wird, desto stärker sinkt der Bedarf an Arbeitskräftezuwanderung (Punkt 6). Allerdings gilt hier anzufügen, dass die Erwerbsbeteiligung der Schweizerinnen und Schweizer im internationalen Vergleich bereits ausgesprochen hoch ist, weshalb die Schweiz auch künftig auf eine Arbeitskräftezuwanderung angewiesen sein wird.
Die Schweiz muss die Gesetze im Asylbereich konsequent umsetzen
Die aktuelle Migrationspolitik wird nebst den bestehenden Herausforderungen zusätzlich durch unvorhersehbare Krisen wie den Krieg in der Ukraine geprägt. economiesuisse steht vor diesem Hintergrund für eine Migrationspolitik ein, die der langjährigen humanitären Tradition der Schweiz gerecht wird. Die Schweiz soll im Asylbereich nur jenen Schutz gewähren, denen im Sinne der Asylgesetzgebung und der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 auch Schutz zusteht. economiesuisse fordert, dass die bestehenden Gesetze im Bereich des Asylrechts konsequent angewendet werden.
Schutz nur für Verfolgte, nicht für Wirtschaftsflüchtlinge
Verfolgte und schutzbedürftige Personen sollen in der Schweiz weiterhin Asyl erhalten. Asylsuchende, die nur infolge wirtschaftlicher Gründe auf der Flucht sind, sollen jedoch nicht in der Schweiz bleiben dürfen. Als Begleitmassnahme sollen die Kriterien für die Definition sicherer Herkunftsländer regelmässig überprüft werden. Kriminelle ausländische Staatsangehörige sind unter Berücksichtigung des Völkerrechts in ihre Herkunftsländer zurückzuführen.
Berücksichtigung der veränderten Ausgangslage in Europa
Die Entwicklung in Europa muss aufmerksam verfolgt werden. Verschiedene EU-Mitgliedsstaaten verschärfen derzeit die Asylgesetzgebung oder deren Umsetzung. Auch die EU konnte mit der Verabschiedung des EU-Migrations- und Asylpakts im Mai 2024 nach jahrelangen Verhandlungen eine Einigung über eine umfassende Reform des europäischen Migrations- und Asylsystems erreichen. Die Schweiz ist deshalb angehalten, sich im europäischen Verbund für eine konsequente Asylpolitik einzusetzen und diese auch im Inland umzusetzen. Ansonsten droht die Schweiz zum Auffangbecken für die unkontrollierte Zuwanderung zu werden.
Förderung des Rückkehrbereichs in stetiger Zusammenarbeit mit der EU
Es sind weitere Rücknahmeabkommen abzuschliessen und bestehende stets neu zu verhandeln. Die Förderung der freiwilligen Rückkehr muss vorangetrieben werden. Diesbezüglich ist eine enge Zusammenarbeit mit der EU erforderlich, speziell wo es für die Schweiz nützlich ist. Das beinhaltet auch, die Zusammenarbeit mit der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) zu verstärken.
Gleichbehandlung im Vollzug der Wegweisung
Alle Kantone sollen die Wegweisungsentscheide vollziehen, um eine Gleichbehandlung zwischen den abgewiesenen Asylbewerbern zu gewährleisten. Die Kantone, die Wegweisungsentscheide nicht vollziehen wollen, sollen die vollen finanziellen Konsequenzen tragen.
Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von anerkannten Flüchtlingen
Zunächst muss durch beschleunigte Asylverfahren möglichst schnell festgestellt werden, welche Personen die Kriterien für den Flüchtlingsstatus gemäss dem Schweizer Asylgesetz erfüllen. Anschliessend sind gezielte Massnahmen zur Stärkung der Arbeitsmarktfähigkeit von anerkannten Flüchtlingen notwendig. In diesem Zusammenhang sind die Bemühungen von Bund und Kantonen zu erwähnen, die bestehenden Sprachprogramme weiterzuführen und schrittweise zu verbessern. Zu begrüssen ist auch das bereits eingeführte Programm der «Integrationsvorlehre» (INVOL), das die Teilnehmenden darauf vorbereitet, eine Berufslehre zu absolvieren. Dreh- und Angelpunkt für eine erfolgreiche Integration stellt eine ausreichende Sprachkompetenz dar.
Aus Sicht von economiesuisse muss sich die Asylpolitik der Schweiz an diesen Leitplanken orientieren. Die Ausgestaltung konkreter Massnahmen liegt im Verantwortungsbereich von Bundesrat und Parlament.
Die Schweiz muss rasch mehr Wohnraum für die Bevölkerung schaffen
Insgesamt gibt es schweizweit nach wie vor genügend Wohnungen. In den gefragtesten städtischen Wohngegenden besteht jedoch Handlungsbedarf. Dort ist das Angebot an Wohnungen knapp.
Die aktuelle Wohnungsknappheit in den Ballungsgebieten hat viele Ursachen.
Die steigende Nachfrage nach Wohnraum allein auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen, greift jedoch zu kurz. Es gibt viele Faktoren, welche die Nachfrage nach Wohnraum beeinflussen:
- Höhere Haushaltseinkommen führen zu einer höheren Nachfrage nach Wohnraum. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Bewohner bei Mehrfamilienhäusern ist gemäss dem Bundesamt für Statistik von 38,7 Quadratmetern im Jahr 1970 auf 46,8 Quadratmeter im Jahr 2022 angestiegen.
- Abnehmende Haushaltgrösse: Tendenziell wohnen immer weniger Leute im gleichen Haushalt. Die durchschnittliche Belegungsdichte ist von 2,9 Personen pro Wohnung im Jahr 1970 auf 2,2 Personen im Jahr 2021 gesunken. Deshalb braucht es mehr Wohnungen für die gleiche Anzahl Einwohner.
- Sinkende Wohnbautätigkeit: Die hohe Nachfrage nach Wohnraum an zentralen Lagen kann nicht befriedigt werden, weil es immer schwieriger wird, zu bauen. 2024 wurden gemäss Wüest Partner in der Schweiz lediglich 42'050 Wohnungen neu gebaut. So wenige, wie seit dem Jahr 2003 nicht mehr. Allem voran bremsen komplizierte Vorschriften, überlange Verfahren und zu viele Einsprachen die Behebung dieses Missstands. Kapital für die Erstellung von mehr Wohnraum wäre mehr als genug vorhanden.
- Schwierige und langwierige Baubewilligungsverfahren: Die Zürcher Kantonalbank hat aufgezeigt, dass es in der Schweiz im Schnitt 140 Tage dauert, bis ein Baugesuch bewilligt wird. In den Zentren, wo am dringendsten gebaut werden sollte, dauert es aber deutlich länger. So benötigt es in der Stadt Zürich 330 und in Genf sogar 500 Tage. Schweizweit dauern die Verfahren im Schnitt rund 67 Prozent länger als noch 2010.
Die Schweiz muss die Engpässe im Infrastrukturbereich dringend beheben
Die Infrastrukturnutzung in der Schweiz korreliert stark mit dem Wohlstand, nicht mit dem Bevölkerungswachstum. Die Nutzung des Konsumguts Mobilität hängt also hauptsächlich mit dem Einkommen zusammen. Je höher das Haushaltseinkommen, desto länger sind die mittleren Tagesdistanzen der Haushaltsmitglieder (siehe Mikrozensus Mobilität und Verkehr). Folgende Probleme im Infrastrukturbereich müssen endlich angegangen werden:
- Das Schweizer Strassennetz ist chronisch überlastet: Für 2023 meldete das Bundesamt für Strassen Rekordwerte für zurückgelegte Fahrzeugkilometer und Staustunden auf unseren Autobahnen. Rund 48'000 Stunden verbrachten Schweizerinnen und Schweizer 2023 im Stau.
- Neuralgische Punkte sind besonders betroffen: Fast 90 Prozent dieser Staustunden sind auf Verkehrsüberlastungen zurückzuführen. Diese betreffen vor allem neuralgische Punkte in und um die Agglomerationen. Das System erreicht dort seine Kapazitätsgrenze – selbst ein geringes Verkehrswachstum führt zunehmend zu Stillstand. Das führt zu mehr Problemen auf dem untergeordneten Strassennetz, zum Beispiel in den Ortszentren.
- Investitionen sind überfällig: Der Verkehr in der Schweiz hat in den letzten Jahrzehnten um ein Vielfaches stärker zugenommen als die Strassenfläche. Die Bahn kann die zusätzliche Mobilitätsnachfrage nicht alleine decken – Menschen und Güter in unserem Land sind auf individuelle Mobilität angewiesen.
- Die Nationalstrassen, das «Arbeitstier» des Schweizer Verkehrssystems, werden vernachlässigt: Gemäss den neuesten Zahlen des Bundes haben sie im Jahr 2023 rund 45 Prozent des Strassenverkehrs bewältigt, obwohl sie nur knapp drei Prozent des gesamten Strassennetzes ausmachen.
economiesuisse unterstützt daher die Sicherung der Nationalstrassen, über die im November 2024 abgestimmt wird. Der Ausbauschritt 2023 mit sechs gezielten Projekten an neuralgischen Punkten beseitigt Engpässe und verbessert den Verkehrsfluss auf den Nationalstrassen. Er leistet damit einen wichtigen Beitrag an einen saubereren, sichereren und verlässlicheren Verkehr.
Zusätzlich bergen die bestehenden Infrastrukturen noch viel Effizienzpotenzial:
- Bessere Auslastung des motorisierten Individualverkehrs (heute im Schnitt 1,6 Personen pro Fahrzeug, zu Stosszeiten sogar nur 1,1).
- Bessere Auslastung öffentlicher Verkehr (SBB-Züge sind heute über den Tagesverlauf zu weniger als 30 Prozent ausgelastet).
- Verbesserung Verkehrsmanagement (intelligente Systeme zur Optimierung der Auslastung sind heute fast inexistent).
- Verknüpfung und Vernetzung (Verkehrsträger und Verkehrsmittel funktionieren heute nur in ihren Silos).
- Weiterentwicklung Infrastrukturen (Instandhaltung, Aus- und Umbauten sind zu komplex und dauern zu lange).