Kündigungsinitiative II: löst keine Probleme, schafft aber zahlreiche neue
- Einleitung Das Wichtigste in Kürze | Position economiesuisse
- Kapitel 1 Die Kündigungsinitiative II der SVP ist ein Etikettenschwindel
- Kapitel 2 Annahme der Kündigungsinitiative II bedeutet das Ende des bilateralen Erfolgswegs
- Kapitel 3 Die Bilateralen mit der EU sind ein zentraler Wohlstandsfaktor für die Schweiz
- Kapitel 4 Wir sind heute wie auch in Zukunft auf Arbeitskräftezuwanderung angewiesen
- Kapitel 5 Wohlstand sichern und echte Probleme nachhaltig lösen
- Kapitel 6 Fazit: Die Kündigungsinitiative II löst kein einziges Problem, schafft aber zahlreiche neue
Die Bilateralen mit der EU sind ein zentraler Wohlstandsfaktor für die Schweiz
Die EU ist die mit Abstand wichtigste Handelspartnerin der Schweiz
- Die rund 450 Millionen Konsumierenden und 32 Millionen Unternehmen im europäischen Binnenmarkt nehmen heute rund 50 Prozent unserer exportierten Waren ab. Gleichzeitig stammen rund 70 Prozent unserer Importe aus der EU – und das aufgrund der Bilateralen zu bestmöglichen Bedingungen.
- Die Beendigung der sektoriellen Teilnahme am EU-Binnenmarkt führt zu erheblichen Nachteilen für die Exportnation Schweiz (siehe vorheriges Kapitel).
- Die EU würde eine Verschlechterung der Handelsbeziehungen mit der Schweiz besser verkraften als umgekehrt: Pro Einwohner verdienen wir mit Güterexporten in die EU rund 15'400 Franken, die EU umgekehrt aber nur 350 Franken.
Nachbarregionen sind für die Exportnation Schweiz von grosser Bedeutung
- Pro Arbeitstag werden Waren im Wert von über einer Milliarde Schweizer Franken zwischen der Schweiz und der EU ausgetauscht.
- Speziell die Regionen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Schweiz nehmen einen gewichtigen Stellenwert in unserem Aussenhandel ein.
- Betrachtet man unser Handelsvolumen, dann sind Baden-Württemberg und Bayern beinahe so wichtig wie China, unsere französischen Grenzregionen wichtiger als Japan und die italienischen Grenzregionen wichtiger als Indien.
Die EU bleibt auch in Zukunft unsere wichtigste Handelspartnerin
- Das Handelsvolumen mit der EU ist so gross, dass es in absoluten Zahlen noch immer stärker zunimmt als jenes mit den zweit- und drittwichtigsten Märkten USA und China zusammen.
- Bei den heutigen Wachstumszahlen wird die EU auch 2050 noch immer die grösste Handelspartnerin der Schweiz sein und das Handelsvolumen mit den USA und China übertreffen.
- In unsicheren Zeiten mit Krieg vor den Toren Europas, zunehmenden geopolitischen Spannungen, Handelsstreitigkeiten, Abschottungstendenzen und einem schwächelnden Multilateralismus sind stabile und funktionierende vertragliche Beziehungen zur wichtigsten Handelspartnerin EU für den Wohlstand und die Sicherheit in der Schweiz absolut unverzichtbar.
Schweiz profitiert stärker vom europäischen Binnenmarkt als die EU-Mitglieder
- Eine Studie der renommierten deutschen Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2019 hat gezeigt, dass kein Land so stark von der Teilnahme am europäischen Binnenmarkt profitiert hat wie die Schweiz – und das als Nicht-EU-Mitglied!
- Im ganzen Land ist das Pro-Kopf-Einkommen dank der Binnenmarktteilnahme um 2914 Euro pro Person und Jahr höher. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Wert nur bei 1046 Euro.
Wohlstand pro Kopf hat seit Abschluss der Bilateralen klar zugenommen
- Produktivität, Wohlstand und Freizeit pro Kopf haben in der Schweiz in den letzten Jahren stetig zugenommen (siehe Dossierpolitik vom März 2023). Diese positive Entwicklung wurde durch die bilateralen Verträge und die Personenfreizügigkeit begünstigt.
- Seit Unterzeichnung der Bilateralen I im Jahr 1999 ist das reale (inflationsbereinigte) BIP pro Kopf in der Schweiz um 25 Prozent gewachsen. In absoluten Zahlen ist die Bevölkerung pro Kopf im Durchschnitt um 18'123 US-Dollar reicher geworden. Diese Wohlstandszunahme ist fast doppelt so hoch wie in Deutschland und beinahe drei Mal so hoch wie in Frankreich.
Reallöhne sind in den letzten 20 Jahren stärker gestiegen als in den 1990er-Jahren
- Auch die Löhne haben sich seit Einführung der Bilateralen I positiv entwickelt. Der durchschnittliche Schweizer Reallohn ist von 2002 bis 2022 um 0,5 Prozent pro Jahr gestiegen (19. Observatoriumsbericht zum FZA, 2023).
- In den zehn Jahren vor Inkrafttreten der Bilateralen I stiegen die Reallöhne hingegen nur um 0,2 Prozent pro Jahr.
- Die hiesigen Durchschnittslöhne nehmen auch kaufkraftbereinigt in Europa seit Jahren einen Spitzenplatz ein. Nur in Norwegen und Luxemburg kann man sich mit dem Lohn mehr leisten als in der Schweiz. Auch für Niedrigverdienende sind die Löhne im Vergleich zum Ausland viel höher.
Die Arbeitslosigkeit verharrt auf sehr tiefem Niveau
- Die Statistiken des Bundes zeigen, dass es um den Schweizer Arbeitsmarkt sehr gut bestellt ist. So verzeichnete die Schweiz im Jahr 2023 mit 2,0 Prozent die tiefste Arbeitslosenquote seit über 20 Jahren.
- Die Erwerbsbeteiligung aller 15- bis 64-Jährigen ist von 2002 bis 2023 von 81,3 Prozent auf 84,1 Prozent angestiegen. Und auch die Erwerbsquote der 55- bis 64-Jährigen ist überdurchschnittlich stark angestiegen.
Die bilateralen Verträge sind insbesondere für viele KMU sehr wichtig
Gerade die exportorientierten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) brauchen für ihre Planung und künftige Investitionen in den Wirtschaftsstandort Schweiz stabile und funktionierende Beziehungen mit der EU. Dies zeigt auch der neuste KMU-Barometer der «NZZ». 46 Prozent der 303 befragten KMU-Führungskräfte nennen das ungeklärte Verhältnis zur EU als eine ihrer drei grössten geopolitischen und makroökonomischen Sorgen, rund zehn Prozent mehr als noch 2023. 57 Prozent der Firmen bezeichnen die Personenfreizügigkeit als für sie zentral.
Brexit: Rekordhohe Migration und keine wirtschaftlichen Vorteile
- Im Juni 2016 hat sich das britische Stimmvolk im Brexit-Referendum mit 51,89 Prozent Ja-Stimmen dafür entschieden, aus der EU auszutreten. Als Folge davon verlor Grossbritannien im Dezember 2020 die Personenfreizügigkeit sowie die Teilnahme am EU-Binnenmarkt.
- Acht Jahre nach dem Brexit sehen viele Briten den EU-Austritt als Misserfolg. Eine repräsentative Umfrage von Anfang 2024 zeigt, dass 57 Prozent der Briten den Brexit negativ bewerten und 70 Prozent glauben, dass er die Lage der Wirtschaft verschlechtert hat.
- Entgegen dem Versprechen, die Migration zu reduzieren, hat Grossbritannien seit dem Brexit eine Rekordzuwanderung erlebt. Die Nettozuwanderung liegt weit über dem Niveau vor dem Referendum, wobei insbesondere Migranten aus Ländern ausserhalb der EU, wie Indien, Nigeria und China, nach Grossbritannien kommen.
- Wirtschaftlich hat Grossbritannien durch den Brexit nicht profitiert. Trotz neuer Freihandelsabkommen mit Australien und Neuseeland konnte der Verlust der EU-Binnenmarktteilnahme nicht annähernd kompensiert werden.
- Gemäss einem neuen Bericht der Aston University leidet der britische Aussenhandel mit der EU immer stärker unter dem Brexit: Zwischen 2021 und 2023 – den Jahren unmittelbar nach dem britischen Austritt aus der EU-Zollunion und dem Binnenmarkt – sank der Wert der britischen Warenexporte in die EU demnach um 27 Prozent, der Wert der Importe um 32 Prozent.
- Von den 120'000 britischen KMU, die ihre Produkte vor dem Brexit in die EU exportierten, haben seit Abschluss des Kooperationsabkommens mit der EU rund 20'000 KMU ihre Exporte eingestellt. Als Grund gaben sie den höheren Aufwand an, weshalb sich die Exporte schlicht nicht mehr lohnen würden.