# 1 / 2024
06.02.2024

Fehlgeleitete Diskussion über Schulnoten

Vergleichbare, leistungsorientierte Beurteilung an der Schnittstelle zur Sekundarstufe II ist zentral

Das vermeintliche Dilemma zwischen Fördern und Selektionieren bedarf einer Auflösung. Es erscheint sinnvoll, diese Phasen in der Schülerlaufbahn zu unterscheiden. An den Schnittstellen zu den nächsten Schulstufen bzw. in die Berufswelt muss die faire Selektion im Zentrum stehen. Während der ganzen Schullaufbahn sollte das Hauptziel jedoch sein, jedes Kind individuell möglichst optimal zu fördern. Selbstverständlich bedeutet Fördern nicht, dass keine Beurteilungen stattfinden sollen. Zur Orientierung und optimalen Förderung der Schülerinnen und Schüler braucht es auch zwischen den «offiziellen» Selektionsphasen aussagekräftige Standortbestimmungen. Diese sollen aber vor allem der formativen Beurteilung dienen, um den weiteren Lernweg zu definieren.

Wirtschaft braucht vergleichbare Beurteilungen

Für die Bewertung an der Schnittstelle zu den Lehrbetrieben braucht es aus Sicht der Wirtschaft an allen Schulen zwingend standardisierte, vergleichbare und aussagekräftige Beurteilungen, damit sich die Unternehmen auf die Angaben der Schulen verlassen können und nicht zu stark auf externe «Checks» ausweichen müssen. Die Beurteilungen müssen für die Unternehmen klar interpretierbar sein und es ihnen erlauben, die Passung für eine berufliche Grundbildung zu bestimmen. Sie müssen national harmonisiert werden und in Zusammenarbeit mit allen relevanten Akteuren (EDK, SBFI, Arbeitgeberverbände und Berufsverbände der Bildung) erstellt werden. Als erster Schritt bedingt dies eine Definition der zu prüfenden Kompetenzen. Besonders wichtig sind aus Sicht der Arbeitgebenden zumindest die Kernkompetenzen in den Fächern Mathematik und Schulsprache, da sie als Grundlage nicht nur für das Bestehen der meisten Berufslehren elementar sind, sondern auch für das lebenslange Lernen. Für diese und weitere Fächer hat die EDK 2011 in den nationalen Bildungszielen Grundkompetenzen, die alle erreichen sollten, definiert. Diese beziehen sich auf das Ende des 4., 8. und 11. Jahres der obligatorischen Schulzeit. Darauf sollte aufgebaut werden. Sie sollten so ausformuliert werden, dass sie in den Schulen standardisiert und regelmässig geprüft werden können. Die Berufsbildung und höhere Berufsbildung hat diesbezüglich mit ihren standardisierten Qualifikationsverfahren (u.a. Beurteilung mit externen Experten) gute Erfahrungen gemacht.

Die Einführung solcher standardisierten Tests ist aus drei weiteren Gründen wünschenswert. Erstens haben sie Gerechtigkeitsvorteile: Ein reiner Vergleich im Klassenverband ohne Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Klassen und Schulhäusern ist ungerecht, da der Massstab nicht eindeutig definiert ist oder die Beurteilung sogar von den impliziten oder expliziten Vorlieben der Lehrpersonen beeinflusst werden kann. Zweitens dienen sie der Identifikation von Lücken. Insbesondere im letzten Schuljahr kann dies aus Sicht der Unternehmen nützlich sein, um zu identifizieren, wo die Jugendlichen im Vergleich zu den Anforderungsprofilen für die entsprechende Lehre noch Lücken haben. Dies könnte die Jugendlichen motivieren, entsprechende Kompetenzen bis zum Lehrstart noch zu erwerben. Zudem ist der Betrieb dann von Anfang an sensibilisiert, wo sie den Jugendlichen speziell unterstützen sollten. Drittens bereiten Prüfungen generell aufs Erwachsenen- und Erwerbsleben vor, während dem es immer wieder zu Prüfungssituationen kommt, bei denen man zu einem bestimmten Zeitpunkt seine Leistung möglichst gut abrufen muss. Dieser Aspekt fliesst insbesondere bei der rein pädagogischen Beurteilung über Sinn und Unsinn von Prüfungen nicht ein. Ob es Autoprüfungen, Bewerbungsgespräche, Referate, Kundengespräche oder Verhandlungen sind: Prüfungssituationen sind ein Bestandteil des Erwerbslebens und des Alltags. Die Prüfungen an der Schule dienen dementsprechend auch der Sozialisation und sie führen die Kinder schrittweise an das Prinzip der Leistungsorientierung heran.

Beispiel Bildungsraum Nordwestschweiz: «Checks» als Leistungstests

Beispiele für standardisierte Leistungstests mit hoher Vergleichbarkeit finden sich beispielsweise in den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn, wo sogenannte «Checks» zur schulischen Standortbestimmung durchgeführt werden. Es gibt vier obligatorische Checks, wovon zwei in der Primarstufe (3. und 5. Klasse) und zwei in der Sekundarstufe I (2. und 3. Klasse) absolviert werden. Die Tests heissen Check P3, P5, S2 und S3 und sind weder promotionswirksam noch haben sie eine schulische Selektionsfunktion. Allerdings geben sie nicht nur Aufschluss über die Leistung eines Schülers oder einer Schülerin innerhalb eines Kompetenzbereichs (in Form einer Punkteskala, die von 0 bis 1200 reicht), sondern ermöglichen auch den Vergleich mit anderen Schülerinnen und Schülern (in Form von grauen Balken, die die mittleren 90 Prozent bzw. 50 Prozent aller Ergebnisse markieren). Im Gegensatz zu Schulnoten können diese Leistungstests sowohl über die verschiedenen Klassen- und Leistungszüge hinaus als auch in einer zeitlichen Dimension verglichen werden, da bis zur 3. Sekundarklasse die gleiche Skala verwendet wird und die Fortschritte des Einzelnen auf diese Weise klar ersichtlich sind. Ein weiterer Vorteil der Checks S2 und S3 besteht darin, dass die Ergebnisse mit den Anforderungsprofilen verlinkt sind. So können Schülerinnen und Schüler ihre Leistung mit den Anforderungen eines spezifischen Berufs vergleichen und für die Berufswahl nutzen. Der Profilabgleich bedingt allerdings, dass die Anforderungsprofile stets aktuell sind.