# 3 / 2023
27.02.2023

OECD-Mindeststeuer – Steuereinnahmen sichern, Wettbewerbsfähigkeit erhalten

Umsetzung der OECD-Mindeststeuer in der Schweiz

Die Umsetzung der OECD-Mindeststeuer stellt die Schweiz vor zahlreiche Herausforderungen. Eine Schwierigkeit ist der ambitionierte Zeitplan. Die EU wird die Mindestbesteuerung per 2024 umsetzen. Verschiedene Staaten haben angekündigt, sich ebenfalls an diesen Fahrplan zu halten. Die Schweiz muss sich darauf vorbereiten. Der Bundesrat hat einen knappen Zeitplan antizipiert und im Januar 2022 ein mehrstufiges Vorgehen vorgeschlagen.

In einem ersten Schritt hat das Bundesparlament eine neue Verfassungsbestimmung beschlossen, die eine «besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen» erlaubt. Eine Verfassungsänderung ist unter anderem deshalb notwendig, weil die Bundesverfassung heute die Gleichbehandlung der Unternehmen vorschreibt. Das Volk muss über die Verfassungsänderung abstimmen. Die obligatorische Volksabstimmung findet am 18. Juni 2023 statt. Wird die Verfassungsänderung durch Volk und Stände angenommen, kann der Bundesrat die Mindestbesteuerung anschliessend per Verordnung in Kraft setzen. Eine Übergangsbestimmung in der Bundesverfassung regelt die wichtigsten Eckwerte. Den Inkraftsetzungszeitpunkt bestimmt der Bundesrat. Er wird dabei die internationalen Entwicklungen berücksichtigen.

In einem zweiten Schritt werden die Übergangsbestimmung in der Bundesverfassung und die temporäre Verordnung durch ein ordentliches Bundesgesetz abgelöst. Der Bundesrat wird dem Parlament nach spätestens sechs Jahren einen Gesetzesvorschlag unterbreiten. Die Gesetzgebung zu einem späteren Zeitpunkt macht Sinn, weil die Mindestbesteuerung steuerliches Neuland ist und praktische Erfahrungen in die Gesetzgebung einfliessen sollen. In der Gesetzgebung können alle wichtigen Eigenschaften der schweizerischen Mindeststeuer sofern nötig noch einmal angepasst werden.

Grafik 7: Das Vorgehen mit Übergangsbestimmung und temporärer Verordnung ermöglicht eine zeitgerechte Umsetzung der Mindeststeuer und verhindert den Abfluss von Schweizer Steuersubstrat ins Ausland.

Die drei wichtigsten Eigenschaften der schweizerischen Mindeststeuer

1) Ergänzungssteuer nur für Grossunternehmen

Die Mindeststeuer wird gezielt umgesetzt. Es wird eine sogenannte «Ergänzungssteuer» eingeführt, die eine allfällige Lücke zwischen der schweizerischen (ordentlichen) Besteuerung und der OECD-Mindestbesteuerung schliesst. Die Ergänzungssteuer bezieht sich direkt auf die massgeblichen OECD-Vorschriften und setzt diese eins zu eins um. Betroffen sind ausschliesslich grosse, internationale Unternehmen und die Ergänzungssteuer wird nur dann erhoben, wenn die 15-Prozent-Besteuerung nach OECD-Berechnung in der Schweiz unterschritten wird. Die Ergänzungssteuer stellt sicher, dass betroffene Unternehmen ihre steuerlichen Verpflichtungen weiterhin vollumfänglich gegenüber den schweizerischen Steuerbehörden erfüllen können. Ausländische Steuerverfahren und Zusatzbesteuerungen können vermieden werden.

KMU und rein schweizerisch tätige Unternehmen sind von der Mindestbesteuerung nicht betroffen. Für sie finden weiterhin nur die ordentlichen Gewinnsteuern von Bund und Kantonen Anwendung. Die Folge ist, dass internationale Grossunternehmen und Schweizer Unternehmen künftig steuerlich unterschiedlich behandelt werden. Diese Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung ist ein Hauptgrund, warum für die Umsetzung der Mindestbesteuerung eine Änderung der Bundesverfassung nötig ist.

Grafik 8: Die Ergänzungssteuer entspricht einem Differenzbetrag. Liegt die effektive Besteuerung gemäss OECD-Berechnung in der Schweiz unter der Vorgabe von 15 Prozent, dann wird eine Ergänzungssteuer im Umfang der Differenz erhoben.

2) Erhebung durch die Kantone

Die Ergänzungssteuer ist formal eine Bundessteuer. Ein Hauptgrund dafür ist, dass die Mindestbesteuerung der OECD auf einer Länderbetrachtung basiert. Für die Berechnung der Mindestbesteuerung ist immer die schweizweit durchschnittliche Steuerbelastung ausschlaggebend. Bei Unternehmen mit Standorten in mehreren Kantonen erfordert das OECD-Regelwerk die Koordination der Kantone. Nur so kann die Ergänzungssteuer korrekt bestimmt werden. Zudem kann es ein Vorteil sein, wenn die Schweiz gegenüber ausländischen Steuerbehörden mit Verweis auf eine Bundesregelung nachweisen kann, dass die Grossfirmen hierzulande mindestens 15 Prozent Steuern bezahlen.

Eine echte Bundessteuer zeichnet sich allerdings dadurch aus, dass sie schweizweit einheitlich erhoben wird. Die heutige Gewinnsteuer des Bundes ist mit 8,5 Prozent für alle Firmen gleich hoch, unabhängig in welchem Kanton die Firmen ansässig sind. Für die Ergänzungssteuer trifft dies nicht zu. Wird ein betroffenes Unternehmen in einem Kanton hoch besteuert, fällt die Ergänzungssteuer tief aus oder sie wird gar nicht erhoben. In Tiefsteuerkantonen werden betroffene Firmen tendenziell höhere Ergänzungssteuern bezahlen. Ein kantonal unterschiedlich hoher Steuerzuschlag entspricht nicht dem Wesen einer Bundessteuer. Er ist die direkte Folge der unterschiedlichen kantonalen Steuerbelastungen. Der kantonale Charakter der Mindeststeuer lässt sich auch daran erkennen, dass Kantone autonom sind in der Festlegung ihrer Firmensteuer. Erhöht ein Tiefsteuerkanton den Steuersatz, kann die Ergänzungssteuer teilweise oder ganz vermieden werden. Die Frage, ob ein betroffenes Unternehmen ergänzungssteuerpflichtig wird, hängt also von den kantonalen Verhältnissen ab. Die Ergänzungssteuer ist von ihrem Wesen her eine kantonale Steuer. Deshalb ist es richtig, dass die Kantone die Ergänzungssteuer vollziehen und die Einnahmen auch mehrheitlich an die Kantone gehen.

Die Veranlagung und der Steuerbezug durch die Kantone entsprechen den heutigen Zuständigkeiten. Es sind nach geltender Regelung die Kantone, die die Unternehmenssteuer (Gewinnsteuer) veranlagen und beziehen, und zwar für sich selbst ebenso wie für den Bund. An dieser Kompetenzverteilung wird bei der Ergänzungssteuer festgehalten.

Die Einnahmen der Ergänzungssteuer werden von Bund und Kantonen geteilt. Auf Basis eines Kompromisses, den Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Kantonen und Gemeinden ausgehandelt haben, hat das Bundesparlament beschlossen, dass 25 Prozent der Einnahmen dem Bund zustehen, 75 Prozent können die Kantone einbehalten. Die Kantone beteiligen zudem auch ihre Städte und Gemeinden angemessen an den Einnahmen der Ergänzungssteuer.

Die Ergänzungssteuer stellt vor allem für wirtschaftsstarke Kantone eine Herausforderung dar. In diesen Kantonen sind besonders viele betroffene Unternehmen ansässig. Zudem handelt es sich mehrheitlich um Tiefsteuerkantone. Mit der Mindestbesteuerung schwächt sich für diese Kantone der traditionelle Steuervorteil gegenüber dem Ausland ab. Ausländische Standorte mit generell tieferem Kostenniveau gewinnen im Vergleich an Attraktivität. Über die Zeit besteht ein erhebliches Risiko, dass in diesen Kantonen weniger Firmen tätig sind oder Firmen ihre Tätigkeiten abbauen. Von einer solchen Entwicklung wären nicht nur einzelne Kantone, sondern die ganze Schweiz betroffen. Die wirtschaftsstarken Kantone verschaffen dem Bund das Gros seiner Firmensteuereinnahmen (siehe Grafik 9). Die Mindestbesteuerung könnte hier zu Einbussen führen (siehe Grafik 1). Auch die schwächeren Kantone wären betroffen, weil sie von den wirtschaftsstarken Kantonen jährlich erhebliche Transferzahlungen aus dem Nationalen Finanzausgleich (NFA) erhalten.

Der vom Bundesparlament beschlossene Verteilschlüssel der Einnahmen hat zur Folge, dass Kantone mit vielen betroffenen Unternehmen mehr Einnahmen aus der Ergänzungssteuer erhalten. Die Einnahmen können verwendet werden, um den steuerlichen Attraktivitätsverlust auszugleichen. Standortmassnahmen reduzieren das Risiko, dass Unternehmen Aktivitäten abbauen und es zu Verlagerungen und Abwanderungen kommt (siehe Kapitel 4).

Grafik 9: Über 60 Prozent der Gewinnsteuer des Bundes stammen aus nur fünf Kantonen (ZH, VD, ZG, GE, BS). Es ist entsprechend im eminenten Interesse des Bundes, dass diese wirtschaftsstarken Kantone ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten.

3) Umverteilung über den Nationalen Finanzausgleich

Die Einnahmen der Ergänzungssteuer werden für den Nationalen Finanzausgleich (NFA) berücksichtigt. Die Umverteilung von finanzstarken an finanzschwächere Kantone wird dadurch stärker. Praktisch alle wirtschaftsstarken Kantone werden höhere Einzahlungen in den NFA leisten. Auch der Bund wird seine Einzahlungen in den NFA erhöhen müssen. Wirtschaftsschwächere Kantone erhalten mehr Geld (siehe Grafik 10). Dadurch wird eine ausgewogene Verteilung der Einnahmen sichergestellt. Das finanzielle Ausgleichssystem der Schweiz, in dem die wirtschaftlich starken Kantone finanzielle Verantwortung für die schwächeren Kantone tragen und den Bund mit erheblichen Steuermitteln versorgen, mit denen wiederum zum nationalen Ausgleich beigetragen wird, bleibt erhalten.

Grafik 10: Kantonale Mehreinnahmen durch die Ergänzungssteuer werden im NFA berücksichtigt. Das führt zu einer zusätzlichen Umverteilung zwischen den Kantonen. Wirtschaftsstarke Kantone und der Bund leisten höhere Beiträge, schwächere Kantone erhalten zusätzliche Zahlungen.

Dauerhafte Mehreinnahmen nur bei Erhalt der Standortattraktivität

Der Bundesrat schätzt die Mehreinnahmen, die die Schweiz in den ersten Jahren aus der Ergänzungssteuer erzielt, auf jährlich 1,0 bis 2,5 Milliarden Franken. Die Schätzung basiert auf der Annahme, dass sich die Unternehmen nicht an die neue Steuerrealität anpassen – sie also beispielsweise Neuinvestitionen im heutigen Umfang weiterhin in der Schweiz tätigen. Verschlechtern sich jedoch wichtige Rahmenbedingungen wie etwa die Steuersituation, dann passen die Unternehmen ihr Investitionsverhalten an. Eine Studie basierend auf Schweizer Daten ergibt zum Beispiel, dass sich mit einer Steuererhöhung von 1,0 Prozent die steuerbaren Unternehmensgewinne um 0,82 Prozent verringern. Verhaltensanpassungen von Firmen bestehen zum Beispiel darin, dass Neuinvestitionen an Standorten mit günstigeren Lohn- und Immobilienkosten getätigt werden. Mit Verhaltensänderungen von Firmen als Reaktion auf steuerliche Anpassungen ist zu rechnen.

Der erläuternde Bericht des Bundesrats zur Vernehmlassung der Mindestbesteuerung (2022, S. 49) vom Frühling 2022 äussert sich dazu wie folgt: «Sehr viel unwahrscheinlicher sind dagegen gesamtstaatliche Mehreinnahmen, sobald die Verhaltensanpassungen des Auslands und der Unternehmen berücksichtigt werden.» So «(...) sind die Mehreinnahmen aus der schweizerischen Ergänzungssteuer langfristig unter Druck, da die Unternehmen ihre Investitions- und Standortentscheidungen zuungunsten der Schweiz treffen könnten.»

avenir suisse hat Auswirkungen auf die Gewinnsteuereinnahmen der Kantone unter Berücksichtigung verschiedener Verhaltensanpassungen geschätzt. Einzelne Kantone könnten demnach bis zu 13 Prozent ihrer Gewinnsteuern einbüssen (avenir suisse, 2022, S. 19). Von solchen Einbussen wäre die gesamte Schweiz betroffen. Die Bundessteuereinnahmen und die NFA-Zahlungen sänken.

Ein Land, das sich in einer ähnlichen Lage wie die Schweiz befindet, ist Irland. Für die irische Regierung ist unklar, ob aus dem OECD-Steuerprojekt überhaupt Mehreinnahmen für Irland resultieren. Die Regierung sieht darum von der Einführung eines neuen innerstaatlichen Verteilmechanismus ab. In der Schweiz hat sich die politische Diskussion demgegenüber bis jetzt fast ausschliesslich auf die Verteilungsfrage konzentriert. Mit Mehreinnahmen zur Verteilung ist längerfristig nur dann zu rechnen, wenn die von der Mindestbesteuerung betroffenen Firmen in der Schweiz bleiben und im heutigen Umfang weiter von hier aus tätig sind.