OECD-Mindeststeuer – Steuereinnahmen sichern, Wettbewerbsfähigkeit erhalten
- Einleitung Das Wichtigste in Kürze | Position economiesuisse
- Kapitel 1 Unvermeidbare Steuererhöhung für Grossunternehmen
- Kapitel 2 Neue globale Steuerarchitektur der OECD/G20
- Kapitel 3 Umsetzung der OECD-Mindeststeuer in der Schweiz
- Kapitel 4 Ziel: Erhalt der Standortattraktivität, Sicherung der Steuereinnahmen
- Kapitel 5 Exkurs zu Säule 1: Marktstaatenbesteuerung
Exkurs zu Säule 1: Marktstaatenbesteuerung
Säule 1: Eine Antwort auf den Steuerstreit um die Digitalunternehmen?
Das aktuelle Projekt ist bereits das zweite grosse Vorhaben der OECD im Bereich der Unternehmensbesteuerung. Das Vorgängerprojekt BEPS («Base Erosion and Profit Shifting») war gegen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung gerichtet. Insbesondere US-amerikanische Digitalkonzerne standen in der Kritik, Gewinne künstlich zu verkürzen oder an steuergünstige Standorte zu verschieben. Mit dem BEPS-Projekt sollte sich dies ändern. Das erklärte Ziel des Projekts lautete, die Besteuerung der Firmen am Ort der Wertschöpfung sicherzustellen. Doch im Falle der US-amerikanischen Digitalkonzerne wird die Besteuerung am Ort der Wertschöpfung infrage gestellt. Pascal Saint-Amans, ehemaliger Direktor des OECD Center for Tax Policy sagt dazu: «Früher, vor unseren Bemühungen und der amerikanischen Steuerreform, haben Technologieunternehmen nirgendwo Steuern bezahlt, jetzt bezahlen sie diese in den Vereinigten Staaten. Aber ist das angemessen?»
Zwar sind Softwareentwicklerinnen, Ingenieure, Datenanalysten, Programmiererinnen und Marketingspezialisten im Fall dieser Firmen mehrheitlich in den USA tätig. Vor allem EU-Staaten stellen sich auf den Standpunkt, dass die Besteuerung am Ort der Wertschöpfung dennoch ungerecht ist, weil gerade bei diesen Unternehmen die Gewinnerwirtschaftung weltweit erfolgt. Insbesondere auch EU-Staaten führten in der Folge nationale Digitalsteuern ein (siehe Grafik 3). Weil diese Steuern im Alleingang erhoben werden und international nicht abgestimmt sind, drohen Über- bzw. Doppelbesteuerungen, was zu Konflikten führen kann. Im vorliegenden Fall wird das Verhältnis USA-EU effektiv belastet. Der Zusammenschluss der 20 weltweit grössten Wirtschaftsmächte (G20) gab deshalb im Jahr 2017 der OECD das Mandat, eine globale Konsenslösung zu finden.
Besondere Herausforderungen der Digitalisierung wurden bereits im erwähnten BEPS-Projekt von 2015 diskutiert. Sondersteuern für die digitalisierte Wirtschaft wurden damals für schwierig, wenn nicht unmöglich gehalten, weil die Digitalisierung die gesamte Wirtschaft betrifft und nicht als isoliertes Merkmal eines einzelnen bestimmten Sektors betrachtet werden kann (OECD, 2015, S. 142). Nach mehrjährigen internationalen Verhandlungen einigten sich im Jahr 2021 rund 140 Staaten im OECD/G20 Inclusive Framework darauf, eine «Marktstaatenbesteuerung» für die rund 100 grössten und profitabelsten Unternehmen der Welt einzuführen. Gemäss den Regeln dieser sogenannten Säule 1 sollen Unternehmen, die weltweit einen Umsatz von mehr als 20 Milliarden Euro erwirtschaften und deren Profitmarge grösser als 10 Prozent ist, 25 Prozent des überschiessenden Gewinns in den Marktstaaten versteuern. Um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, müssen die Ansässigkeitsländer den bisher dort besteuerten Gewinn verringern. Die steuerbaren Gewinne der rund 100 grössten Unternehmen werden somit in Teilen von den Produktions- in die Marktstaaten verschoben. Im Gegenzug sollen unilaterale Digitalsteuern verboten und die betroffenen Unternehmen vor Doppel- und Überbesteuerungen geschützt werden.
Für die Schweiz hiesse das, dass sie im Rahmen der Säule 1 das Recht erhielte, einen Teil der Gewinne der US-Digitalkonzerne und anderer sehr grosser ausländischer Konzerne zu besteuern (basierend auf dem Umsatz, den diese Firmen in der Schweiz erzielen). Die USA und andere Staaten bekämen im Gegenzug das Recht, Gewinne der grössten Schweizer Konzerne zu besteuern (basierend auf dem Umsatz, den diese in den jeweiligen Staaten erzielen). Die Schweiz als kleiner Markt könnte nur begrenzt vom neuen Marktbesteuerungsrecht profitieren. Gleichzeitig müsste sie als Hauptsteuersitz einiger der weltweit grössten und profitabelsten Unternehmen mit signifikanten Einbussen rechnen. Erste, rudimentäre Schätzungen gehen für Bund und Kantone von Nettosteuereinbussen im dreistelligen Millionenbereich aus.
Voraussetzung für die Umsetzung von Säule 1 ist ein multilaterales Abkommen, das Mitte 2023 zur Unterschrift vorliegen soll. Das Abkommen soll nur in Kraft treten, wenn es von einer «kritischen Masse» von Staaten effektiv in den Parlamenten ratifiziert wird (OECD, 2022, S. 5). Als zwingend erachtet wird namentlich die Ratifikation durch die USA, wo sich die Hauptsitze einer Mehrzahl der betroffenen weltgrössten Konzerne befindet. Die Ratifizierung durch die USA stellt politisch eine sehr hohe Hürde dar. Sollte die Marktstaatenbesteuerung nicht in Kraft treten, könnte dies die vorderhand sistierten Digitalsteuern in der EU und anderswo wieder aufleben lassen. Ein Aufflammen entsprechender Handelskonflikte wird befürchtet.