# 13 / 2021
02.12.2021

Güterversorgung in der Krise: Analyse und Lehren für die Schweiz

Lehren aus der Krise: Vorschläge von economiesuisse

Systemische Resilienz der Schweiz in Krisensituationen stärken

Die vorangehenden Beispiele zeigen: Eine Entkopplung der Schweizer Wirtschaft ist kein probates Mittel zur nachhaltigen Stärkung der Versorgungssicherheit. Ebenso kurzsichtig wäre eine staatlich unterstützte Ausweitung der inländischen Produktion für bestimmte Güter.

Gleichzeitig gilt es, bei der Nachbearbeitung der Corona-Pandemie nicht ausschliesslich auf die Versorgungssicherheit zu fokussieren. Denn die nächste Krise globalen Ausmasses muss keineswegs epidemiologischer Natur sein. Auch die Energieversorgung, Cyberattacken, militärische Konflikte oder Naturkatastrophen bergen ein erhebliches Risikopotenzial. In diesem Sinne sollte die aktuelle Pandemiesituation dazu genutzt werden, die systemische Resilienz der Schweiz und der internationalen Gemeinschaft langfristig zu stärken. Dazu sind aus Sicht der Wirtschaft verschiedene Massnahmen erforderlich – sowohl auf unilateraler wie auch bi- und multilaterale Ebene.

Unilaterale Massnahmen

  • Kein Protektionismus im Kontext der Versorgungssicherheit: Handelsbeschränkende Massnahmen sollen nur eng befristet, verhältnismässig und als letztes Mittel eingesetzt werden. Neue Handelsbeschränkungen oder staatliche Subventionen zur Förderung der Schweizer Produktion sind zu vermeiden.
  • Versorgungssicherheit mit ausreichend gesetzlichen Pflichtlagern sichern: Gesetzlich erforderliche Pflichtlagerbestände sollen überprüft und wo sinnvoll ausgebaut werden (z.B. Wiederaufbau eines Ethanol-Pflichtlagers). Auch grössere Endverbraucher kritischer Güter (z.B. Spitäler) sollten ihre Lagerstrategie eigenverantwortlich überprüfen.
  • «Just-in-case» anstelle von «Just-in-time»: Bei der Wahl seiner Zulieferer steht für ein Unternehmen die Kostenminimierung im Vordergrund. Die Pandemie hat jedoch die Risiken dieser Strategie aufgezeigt. Für eine höhere Belastbarkeit sollen daher eine vorausschauende Lagerplanung und eine Diversifizierung der Lieferanten in strategische Entscheide wieder vermehrt miteinbezogen werden.
  • Nutzung von Freihandelsabkommen verbessern: Insbesondere KMU können aufgrund beschränkter Ressourcen teilweise nicht von Freihandelsabkommen profitieren. Hier braucht es Unterstützung über entsprechende Informationsangebote und Plattformen.
  • Digitalen Handel vorantreiben: Unternehmen sollen vermehrt in das digitale Lieferkettenmanagement und die Transparenz der Lieferkette investieren. Gleichzeitig soll der Staat die Risikomanagementstrategien des Privatsektors unterstützen, indem er das richtige Regelungsumfeld schafft (z.B. Digitalisierung der Zollprozesse).
  • Prinzipien der Kreislaufwirtschaft sinnvoll umsetzen: Durch eine Verlängerung der Lebens- und Nutzungsdauer von Gütern kann die Schweiz die Risiken globaler Lieferketten langfristig bessern abfedern. Auch im Bereich der Abfallverwertung besteht hierzulande noch grosses Potenzial – insbesondere für private Initiativen.

Bilaterale Massnahmen

  • Absicherung der Versorgung in Krisenzeiten durch zwischenstaatliche Verträge: Es ist nicht zuletzt aufgrund von Warenverkehrsbeschränkungen einzelner Staaten zu Versorgungsengpässen bei wichtigen Gütern gekommen. Mit bilateralen Vereinbarungen kann die Betroffenheit der Schweiz minimiert werden (z.B. Zusicherung auf Verzicht von Exportrestriktionen im Krisenfall).
  • Grenzüberschreitende Harmonisierung von Konformitätsbestimmungen: Nicht die Fragmentierung, sondern die grenzüberschreitende Harmonisierung von Produktregulierungen stärkt die Versorgungssicherheit in Krisenzeiten. Dazu gehören beispielsweise Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (mutual recognition agreements, MRA).

Multilaterale/plurilaterale Massnahmen

  • Weiterentwicklung des Marktzugangs: Verbesserung bestehender Abkommen mit jenen Ländern, wo die höchsten Handelsgewinne zu erwarten sind. Trotz des dichten Netzes an Freihandelsabkommen besteht für die Schweiz diesbezüglich viel Potenzial (z.B. mit USA, MERCOSUR oder Indien).
  • Stärkung der WTO und Weiterentwicklung der multilateralen Handelsregeln: Für die Schweiz als kleine Volkswirtschaft sind über die Welthandelsorganisation (WTO) erreichte Handelsliberalisierungen klar die «first-best solution». So soll sie beispielsweise das WTO-Handelserleichterungsabkommens unterstützen, um den Handel mit essenziellen Gütern zu beschleunigen.
  • Intensivierung der Zusammenarbeit im Bereich Forschung und Entwicklung: Die Schweiz muss ihre führende Stellung erhalten und ihren Austausch zu den stärksten Forschungsplätzen weltweit intensivieren. Denn: Innovation trägt auch zur Resilienz für künftige Krisen bei, wie das Beispiel der mRNA-Technologie zeigt: Diese wird seit Jahren als mögliche Behandlung gegen Krebs erforscht. Durch ihre erfolgreiche Anwendung bei Impfstoffen ist nun ein Innovationsschub im Bereich der Krebsbehandlung vorstellbar.
  • Beschleunigung von Zertifizierungs- und Marktzulassungsprozessen: Möglichst effiziente Prozesse bei der Konformitätsbestätigung erhöhen die internationale Verfügbarkeit von kritischen Gütern (z.B. parallel durchgeführte klinische Studien bei der Zulassung von Impfstoffen).
  • Regionale Kumulation im Güterhandel anstreben: Die Schaffung einer «Kumulierungsregion» zwischen mehreren gemeinsamen Handelspartnern würde es der Schweiz ermöglichen, Vorleistungen aus dieser Kumulierungsregion bei der Herstellung eines Produktes berücksichtigen zu können. Damit würde der Handel erleichtert und die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt.
  • Internationale Koordination von Produktionskapazitäten: Es soll eine stärkere Koordination von Produktion in Krisenzeiten auf kontinentaler Ebene vorangetrieben werden (z.B. bei medizinischen Wirkstoffen).
  • Transparenz von Angebot und Nachfrage kritischer Güter: Es braucht einen zeitnahen und umfassenden Informationsaustausch zwischen Wirtschaft und Politik, national und international. Denn: Unsicherheit befeuert protektionistische Politik. So könnte z.B. ein Kommunikationskanal zwischen Impfstoffherstellern und anderen Interessengruppen das Bewusstsein für Engpässe schärfen.