# 13 / 2019
13.09.2019

Annahme der Kündigungsinitiative bedeutet das Ende des bilateralen Wegs

Jedes einzelne bilaterale Abkommen bringt der Schweiz Vorteile

Nachdem im vorhergehenden Kapitel der Gesamtwert der Bilateralen I thematisiert wurde, sollen nun hier die einzelnen Abkommen beleuchtet werden.

Personenfreizügigkeit

Der wohl bekannteste und wertvollste Vertrag der Bilateralen I ist das Personenfreizügigkeitsabkommen. Dieses hält fest, dass sich Bürger der Schweiz und der EU gleichberechtigt in den Vertragsstaaten niederlassen, beziehungsweise eine Arbeit aufnehmen können. Voraussetzungen sind, dass sie über einen gültigen Arbeitsvertrag verfügen, selbstständig erwerbend sind oder ausreichende finanzielle Mittel nachweisen können und krankenversichert sind. Die Personenfreizügigkeit hat sich bisher mehrheitlich positiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt (unter anderem Zugang zu gut qualifizierten Fachkräften). Hier ansässige Firmen haben in Umfragen das Abkommen als den für sie mit Abstand wichtigsten Vertrag der Bilateralen I bewertet. 76,5 Prozent der befragten Unternehmen bezeichneten den Vertrag als positiv, nur 6,8 Prozent als negativ.

Es ist schwierig, den genauen Wert der Personenfreizügigkeit zu beziffern. Professor George Sheldon von der Universität Basel hat errechnet, dass zwischen 2003 und 2011 das Pro-Kopf-BIP der Schweiz durch die PFZ-Zuwanderer um 553 Franken angestiegen ist und sich somit im Schnitt um 0,9 Prozent erhöht hat – trotz Finanzkrise. Der Wert des Abkommens wird mit rund 14 Milliarden Franken pro Jahr veranschlagt.

Abbau von technischen Handelshemmnissen

Das Abkommen zum Abbau von technischen Handelshemmnissen (MRA oder Mutual Recognition Agreement) regelt, dass ein Unternehmen nur noch bei einer Stelle in der Schweiz oder in der EU prüfen lassen muss, ob ein Produkt den geltenden Vorschriften entspricht (sogenannte Konformitätsbewertung). Das spart den Betroffenen viel Geld und Zeit. Der durchschnittliche Nutzen der Beseitigung der technischen Handelshemmnisse beträgt fast zwei Milliarden Franken jährlich.

Landwirtschaftsabkommen

Das Landwirtschaftsabkommen vereinfacht den Handel mit gewissen Agrarprodukten, vor allem Käse und andere verarbeitete Milchprodukte. Einerseits bauen die EU und die Schweiz Zölle ab, andererseits anerkennen sie die Gleichwertigkeit der Vorschriften in den Bereichen Veterinärmedizin, Pflanzenschutz und biologische Landwirtschaft. Das Abkommen hat die Käseexporte in die EU angekurbelt: Verglichen mit 2002 konnten Schweizer Produzenten im Jahr 2018 mengenmässig ganze 42 Prozent mehr Käse und Quark in die Mitgliedstaaten verkaufen. Die Einnahmen stiegen gar um über 50 Prozent. Mit 80 Prozent Exportanteil ist die EU der mit Abstand wichtigste Markt für Schweizer Käse. Der Nutzen des Abkommens wird für Schweizer Käser dabei auf 100 Millionen Franken pro Jahr beziffert. Das ist allerdings nicht alles, was das Abkommen leistet: Es senkt auch die Preise für Schweizer Landwirte, weil sie zum Beispiel Saatgut günstiger importieren können. Und es erhöht die Auswahl für Schweizer Konsumenten, weil sie unter anderem mehr Käsesorten im Laden finden.

Landverkehrsabkommen

Durch das Landverkehrsabkommen wird das Ziel der Schweiz, den alpenquerenden Schwerverkehr auf die Bahn zu verlagern, europapolitisch abgesichert: Die EU akzeptierte die Erhöhung der Schwerverkehrsabgabe (LSVA) auf 325 Franken (2008), die Schweiz die stufenweise Erhöhung der Gewichtslimite für Lastwagen auf 40 Tonnen (seit 2005). Experten schätzen den jährlichen Wert des Abkommens auf 500 Millionen Franken.

KMU profitieren besonders von der Teilnahme am EU-Binnenmarkt

Dass Schweizer Maler oder Architekten in Deutschland oder Frankreich Dienstleistungen erbringen können oder ein KMU wie Bühlmann Laboratories seine Instrumente für Laboruntersuchungen nach Österreich verkaufen kann, hängt massgeblich mit den Bilateralen I zusammen. Ohne Personenfreizügigkeit oder das Abkommen zum Abbau von technischen Handelshemmnissen wäre das nicht möglich. Das verdeutlicht, dass insbesondere KMU von der Teilnahme am EU-Binnenmarkt profitieren. Sie produzieren oft in der Schweiz für die EU und nicht für den viel kleineren Heimmarkt. Deshalb sind auch die europäischen Zulassungen für sie wichtig. Grössere Unternehmen können ihre Produktion ins Ausland verlagern, kleinere und mittlere Firmen haben diese Möglichkeit oft nicht. Die durch die Bilateralen I geschaffene Rechts-, Planungs- und Investitionssicherheit ist ein zentraler Standortfaktor für KMU. Das erklärt auch, weshalb in einer Meinungsumfrage 74 Prozent der befragten KMU die bilateralen Verträge als Chance für die Schweiz bezeichnet haben.

Luftverkehrsabkommen

Noch wertvoller ist das Luftverkehrsabkommen, das Fluggesellschaften gegenseitige Zugangsrechte zu den Luftverkehrsmärkten gewährt. Da Schweizer Passagiere von tieferen Preisen profitieren und Schweizer Fluggesellschaften mehr Destinationen zu günstigeren Tarifen anfliegen können, ergibt sich ein Wert von etwa sieben Milliarden Franken. Ausserdem ist die Schweiz dank dieses Vertrags Vollmitglied bei der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) und kann so die Regeln für die Luftfahrt direkt mitgestalten.

Öffentliches Beschaffungswesen

Das Abkommen zum öffentlichen Beschaffungswesen weitet die Ausschreibungspflicht der Welthandelsorganisation aus, insbesondere auf den Schienenverkehr und die Gemeindeebene. Dadurch erhalten Schweizer Firmen einerseits mehr Aufträge in der EU, andererseits können Schweizer Gemeinden ihre Projekte günstiger umsetzen. Insgesamt wird der Nutzen somit auf eine Milliarde Franken pro Jahr geschätzt.

Forschungsabkommen

Das Forschungsabkommen legt den Grundstein für die Teilnahme von Schweizer Forschern und Unternehmen an den milliardenschweren EU-Forschungsrahmenprogrammen. Sie können dadurch nicht nur prestigeträchtige Projekte innerhalb des Programms leiten, sondern ihr Netzwerk zu anderen Forschern ausweiten. Das Abkommen bringt dem Schweizer Forschungs- und innovationsbasierten Wirtschaftsstandort Effizienzgewinne von 20 Prozent und einen Mehrwert von über zwei Milliarden Franken pro Jahr.

Abbildung 3