# 4 / 2017
06.04.2017

Frontalangriff auf Wirtschaftsinteressen

Grosses Schadenspotenzial für die Schweizer Wirtschaft

Völkerrecht hat nicht nur für ethnische Minderheiten, Flüchtlinge oder in Kriegszeiten eine grosse Bedeutung. Auch für die international stark vernetzten Schweizer KMU und die vielen grossen Unternehmen wären grenzüberschreitende geregelte Wirtschaftsbeziehungen ohne internationale Verträge undenkbar. Von einer Destabilisierung der rechtlichen Rahmenordnung durch die SBI ist somit auch die Schweizer Wirtschaft und insbesondere die rund 24’000 Exportunternehmen ganz direkt betroffen.

Ökonomische Analyse zur Bedeutung des Völkerrechts

Die Schweiz als Markt ist mit rund acht Millionen Einwohnern und Konsumenten überschaubar. Trotzdem sind hiesige Unternehmen im internationalen Vergleich häufig aussergewöhnlich erfolgreich, sichern Arbeitsplätze, zahlen Steuern und tragen so zum Wohlstand in der Schweiz bei. All dies hängt stark damit zusammen, dass Tausende Unternehmen auch in ausländischen Märkten Fuss fassen konnten. Sie verkaufen ihre Dienstleistungen und Produkte ins Ausland oder bauen dort Niederlassungen und Fabriken auf. Aber auch als Zulieferer profitieren sie von weitverzweigten internationalen Wertschöpfungsketten, in die sie eingebunden sind. Mit anderen Worten:

  • Die Schweizer Firmen haben 2015 Dienstleistungen und Produkte im Wert von 312 Milliarden Franken exportiert. Das sind knapp 50 Prozent des Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP).
  • Schweizer Firmen haben insgesamt 1,12 Billionen Schweizer Franken im Ausland investiert. Sie sind damit für 4,13 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen auf der Welt verantwortlich – die Schweiz ist somit der neuntgrösste Direktinvestor weltweit.
  • Gleichzeitig haben ausländische Firmen in der Schweiz 833 Millionen Franken investiert und beschäftigen derzeit rund eine halbe Million Erwerbstätige in unserem Land.

Dass die Schweizer Firmen derart rege auf die ausländischen Märkte und die dortigen Kunden zugreifen können, liegt auch daran, dass die Schweiz sich mit den Partnerländern auf gemeinsame Spielregeln einigen konnte – dem internationalen Wirtschaftsrecht. Dabei spielen etwa die gegenseitige Anerkennung von Produktestandards, die Höhe von Einfuhr- oder Ausfuhrzöllen, der Zugang zu Verfahren der Streitschlichtung sowie der Schutz von Investitionen oder geistigem Eigentum eine wichtige Rolle. All dies wird über das Völkerrecht in Form von internationalen Verträgen zwischen zwei oder mehr Staaten verbindlich geregelt. Auf multilateraler Ebene garantiert etwa die Welthandelsorganisation WTO, dass alle Staaten ihre Zugeständnisse im Handel unverzüglich und unbedingt einhalten. Abgesehen davon hat die Schweiz über die Jahre weitere, bilaterale Verträge geschlossen. Dazu zählen 30 Freihandelsabkommen, rund 120 Investitionsschutzabkommen und über 100 Doppelbesteuerungsabkommen. Wenn die Schweiz nun die SBI annimmt, stellt sie die Einhaltung dieser Spielregeln infrage – und damit das Fundament, mit dem die hiesigen Unternehmen sich erfolgreich im Ausland durchsetzen konnten und in der Schweiz Wohlstand sowie Arbeitsplätze geschaffen haben.

Die nachfolgende Grafik zeigt, dass mit zunehmender Anzahl Verträge – sprich rechtlich geregelten Beziehungen – auch die Exporte der Schweiz gestiegen sind. Das belegt nicht unmittelbar, dass die Anzahl Verträge direkt die Exporte steigern. Berechnungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) zeigen jedoch auf, dass die Exporte in jene Länder schneller wachsen, mit denen die Schweiz ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat (jährlich +10,5 Prozent in den ersten vier Jahren nach Inkrafttreten versus 5,7 Prozent bei den Gesamtexporten).

Grafik 1

Kündigung der EMRK schadet auch Schweizer Unternehmen

Die Schweiz trat 1974 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bei. Die SBI hat auch direkte Auswirkungen auf dieses bedeutende Vertragswerk. Gemäss Aussage der Initianten wird eine Kündigung der EMRK bewusst in Kauf genommen. Als Grund dafür führen sie eine kleine Anzahl problematischer Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen die Schweiz auf.

Diese Argumentation ist kurzsichtig. Denn häufig wird vergessen, dass auch Schweizer Unternehmen von den durch die EMRK garantierten Rechten profitieren, bzw. diese in Strassburg einklagen können. In verschiedenen Urteilen hat der EGMR wichtige Elemente der unternehmerischen Tätigkeit unter den Schutz der EMRK gestellt. Dazu zählen etwa das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 und 13 EMRK), die Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK) oder der immer wichtiger werdende Schutz der Privatsphäre (Art. 8 EMRK).

Würde die EMRK gekündigt, wäre deshalb auch der Schweizer Wirtschaft ein wertvolles Instrument zur Garantie ihrer Rechte und zur Klärung internationaler Streitigkeiten entzogen. Gleichzeitig wäre die Schweiz das erste Land, das aus der EMRK austritt, was an die Völkergemeinschaft klar ein negatives Signal senden würde.

Wichtige Wirtschaftsverträge durch SBI betroffen

Gemäss Initiativtext sind völkerrechtliche Verträge, die innerstaatlichem Recht widersprechen, anzupassen oder nötigenfalls zu kündigen. Dies trifft auch auf Wirtschaftsabkommen zu. Zudem sieht die SBI vor, dass völkerrechtliche Verträge, die nicht dem Referendum unterstanden haben, für die rechtsetzenden Schweizer Behörden nicht mehr massgebend sein sollen.

In ihren internationalen Beziehungen stützt sich die Schweizer Wirtschaft auf insgesamt rund 600 Wirtschaftsabkommen. Rund zwei Drittel davon unterstanden nicht dem Referendum. Dazu zählen etwa Freihandels-, Investitionsschutz- oder Doppelbesteuerungsabkommen, Verträge für die Zivilluftfahrt, das öffentliche Beschaffungswesen, den Schutz geistigen Eigentums oder für grenzüberschreitende Versicherungsdienstleistungen. Der Verzicht auf ein Referendum entsprach jeweils stets der geltenden Praxis – etwa mit Verweis auf Standardabkommen. Im Rahmen eines rechtlichen Gutachtens wurden die Auswirkungen der SBI auf verschiedene internationale Wirtschaftsverträge der Schweiz vertieft untersucht.

Tabelle 2

Konkrete Auswirkungen der SBI auf Wirtschaftsverträge

SBI gefährdet die bilateralen Verträge mit der EU

Schliesslich ist die SBI auch in Bezug auf die Europapolitik für die Wirtschaft als gefährlich einzustufen, indem sie die Bemühungen zur Weiterführung des bilateralen Wegs sabotiert. Bereits heute bestehen Spannungsfelder zwischen innerstaatlichem Recht und Bereichen der bilateralen Verträge (z.B. Landverkehrsabkommen, Freizügigkeitsabkommen). Bis anhin gelang es jedoch, auf eine einvernehmliche Lösung dieser Spannungsfelder hinzuwirken, um die bilateralen Verträge und damit den Marktzugang zum wichtigsten Handelspartner der Schweizer Exportwirtschaft zu sichern. Mit dem durch die SBI eingeführten Automatismus und der starren Rechtshierarchie wird dieser konstruktive Ansatz in der Europapolitik verunmöglicht – mit weitreichenden Risiken für die Schweizer Unternehmen.

Pragmatischer Umgang mit Initiativen und Völkerrecht verunmöglicht

Ganz allgemein lässt sich feststellen, dass das pragmatische Vorgehen, mit dem heute bei der Umsetzung von Initiativen auf die Vereinbarkeit von innerstaatlichem Recht und Völkerrecht geachtet wird, mit der SBI wegfallen würde. Dies hätte Konsequenzen für Rechtsgebiete und Politikbereiche, die wohl kaum beabsichtigt und vermutlich auch nicht angestrebt werden.