# 4 / 2017
06.04.2017

Frontalangriff auf Wirtschaftsinteressen

Einleitung

Unnötiger und gefährlicher Angriff auf das Völkerrecht

Als offene Volkswirtschaft profitiert die Schweiz stark vom Völkerrecht. Nicht Machtpolitik, sondern das Recht ist für sie das wirksamste Instrument. Seit jeher hat sich die Schweiz als Kleinstaat deshalb für die Einhaltung des internationalen Rechts eingesetzt. Dank einer Vielzahl von verbindlichen internationalen Abkommen kann sie ihre Interessen erfolgreich wahren und Verpflichtungen ihrer Vertragspartner einfordern. Die von der SVP im März 2015 lancierte Selbstbestimmungsinitiative (SBI) greift nun aber exakt dieses Völkerrecht an, obwohl in keiner Weise Handlungsdruck besteht. Denn bereits heute kann in unserer direkten Demokratie die Kündigung eines bestimmten Abkommens via Volksinitiative verlangt werden. Dieser Weg ist fokussierter und transparenter als die Initiative. Sie ist deshalb unnötig und schadet  den Interessen der Schweiz und ihrer Wirtschaft. Zudem greift sie die Europäische Menschenrechtskonvention direkt an.

Die SBI möchte eine starre Regelung des Verhältnisses von nationalem Recht zu internationalem Recht einführen. Konkret soll neu gelten:

  • Die Bestimmungen der Bundesverfassung sollen internationalem Recht stets vorgehen – mit Ausnahme des zwingenden Völkerrechts (unter anderem Verbot von Folter, Völkermord, Sklavenhandel oder allgemeines Gewaltverbot).
  • Wenn die Verfassung bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz widerspricht, so müssten die entsprechenden Abkommen zwingend angepasst und nötigenfalls gekündigt werden.
  • Zudem sollen bestehende und neue völkerrechtliche Verträge, die nicht dem Referendum unterstanden, für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden nicht mehr massgebend sein.

Am 12. August 2016 wurde die Initiative mit 116’428 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. In einer überparteilichen Medienmitteilung haben Parteien von links bis rechts die Initiative scharf kritisiert. Sie sei «intolerable für die Menschenrechte und unvereinbar für den Standort». economiesuisse lehnt die Initiative ebenfalls klar ab. Auch eine Gruppe von Rechtsprofessoren hat bereits eine Vielzahl von Widersprüchen und möglichen negativen Konsequenzen bei Annahme der Initiative aufgezeigt. Der Bundesrat hat am 9. November 2016 beschlossen, die Initiative ohne Gegenentwurf abzulehnen. Eine entsprechende Botschaft soll bis am 12. August 2017 ans Parlament gehen. Das Volk wird damit frühestens im Frühjahr 2018 an der Urne über die Initiative zu befinden haben.

Die Selbstbestimmungsinitiative im Wortlaut

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:

Art. 5 Abs. 1 und 4

1. Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. Die Bundesverfassung ist die oberste Rechtsquelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

4. Bund und Kantone beachten das Völkerrecht. Die Bundesverfassung steht über dem Völkerrecht und geht ihm vor, unter Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Art. 56a Völkerrechtliche Verpflichtungen

1. Bund und Kantone gehen keine völkerrechtlichen Verpflichtungen ein, die der Bundesverfassung widersprechen.

2. Im Fall eines Widerspruchs sorgen sie für eine Anpassung der völkerrechtlichen Verpflichtungen an die Vorgaben der Bundesverfassung, nötigenfalls durch Kündigung der betreffenden völkerrechtlichen Verträge.

3. Vorbehalten bleiben die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Art. 190 Massgebendes Recht

Bundesgesetze und völkerrechtliche Verträge, deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat, sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend.

Art.197 Ziff. 12 

12. Übergangsbestimmung zu Art. 5 Abs. 1 und 4 (Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns), Art. 56a (Völkerrechtliche Verpflichtungen) und Art. 190 (Massgebendes Recht)

Mit ihrer Annahme durch Volk und Stände werden die Art. 5 Abs. 1 und 4, 56a und 190 auf alle bestehenden und künftigen Bestimmungen der Bundesverfassung und auf alle bestehenden und künftigen völkerrechtlichen Verpflichtungen des Bundes und der Kantone anwendbar.

Eigenhändig ins internationale Abseits

Mit ihrem Angriff auf die etablierte Rechtshierarchie reagieren die Initianten auf die aus ihrer Sicht ungenügende Umsetzung von Initiativen unter Berücksichtigung von internationalem Recht (so schreibt es die Bundesverfassung vor). Diese Praxis wurde etwa bei der Ausschaffungsinitiative kritisiert. Allerdings ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die daraufhin ebenfalls von der SVP lancierte Durchsetzungsinitiative an der Urne klar scheiterte. Zudem werden einzelne Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kritisiert.

Die Selbstbestimmungsinitiative wird als Mittel beworben gegen eine vermeintliche Zunahme der Anbindung an internationale Organisationen und ausländische Gerichte (insbesondere EU, EGMR). Damit irren sie, denn die Schweiz geht internationale Verpflichtungen nur ein, wenn sie mit unserer Bundesverfassung im Einklang stehen und den Landesinteressen dienen. Dagegen würden Widersprüche und Unklarheiten der Selbstbestimmungsinitiative die Rechtssicherheit und Zuverlässigkeit der Schweiz schädigen. Sie würde sich damit international isolieren und kann dadurch ihre Interessen auch nicht mehr schlagkräftig verteidigen. Das Versprechen von mehr Selbstbestimmung durch die Initiative ist somit irreführend.