# 10 / 2019
23.05.2019

Öffentlicher Regionalverkehr – Chance für marktorientierte Reform nutzen!

Entwicklung des Mobilitätsmarkts

Die Schweizerinnen und Schweizer werden immer mobiler. In den letzten 30 Jahren hat sich die Anzahl der hierzulande jährlich zurückgelegten Personenkilometer mehr als verdoppelt. Dieser langfristige Trend wird sich auch in absehbarer Zukunft ungebrochen fortsetzen. Gegenüber 2015 ist gemäss Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) bis 2040 im Personenverkehr mit einem Mobilitätszuwachs von 25 Prozent zu rechnen.

Grafik 1

Die Ausgangslage ist eindeutig: Der motorisierte Individualverkehr (MIV) ist nach wie vor das Rückgrat des Personenverkehrs in der Schweiz. Von den etwa 134 Milliarden Personenkilometern im Jahr 2017 wurden rund 75 Prozent vom MIV erbracht. Der öffentliche Verkehr steuerte im gleichen Jahr etwa 19 Prozent bei.

Die Bereitstellung und Nutzung von Mobilitätsangeboten war und ist bis heute stark nach Verkehrsträgern segmentiert. Herr und Frau Schweizer legen ihre Wege in der Regel fast gänzlich mit dem Auto oder dem öffentlichen Verkehr zurück. Allenfalls wird zur Bewältigung einer kleinen Teilstrecke auf der ersten oder letzten Meile noch ein Fahrrad genutzt oder man geht zu Fuss. Insgesamt ist die individuelle Mobilitätskette bei den meisten Schweizerinnen und Schweizern aber eine ziemliche «Monokultur». Die verschiedenen Verkehrsträger weisen eine geringe Interoperabilität auf und werden deshalb auch weitgehend voneinander entkoppelt genutzt.

Multimodale Mobilitätsdienstleistungen («Mobility as a Service») könnten dieses Gefüge in den nächsten Jahren grundlegend verändern, sodass eine grosse Nachfrage für flexible, kombinierte Verkehrslösungen entsteht. Der öffentliche Verkehr und insbesondere der Regionalverkehr können in diesen Mobilitätsketten eine wichtige Rolle einnehmen. Beispielsweise kann eine S-Bahn-Fahrt Zürich Stadelhofen-Zürich Flughafen in ein Bündelangebot mit privaten Verkehrsangeboten wie einem Sharing-Auto, E-Trottinett oder einem E-Bike oder gar mit einem Flug verbunden werden. Dieses Bündelangebot ist dann bequem über eine App buchbar. Der Tarif orientiert sich dabei an den individuellen Bedürfnissen der Kunden (Preis, Reisezeit, Komfort usw.). Dieser will letztlich nicht ins Auto, an die Haltestelle oder in den Zug, sondern mit dem attraktivsten Angebot von A nach B.

Wenn der private und der öffentliche Verkehr auf diese Weise in Kombiangeboten zusammengebracht werden, kommt wirtschaftlichen Faktoren wie der Preiskompetenz eine besondere Bedeutung zu. Die staatsnahen Transportunternehmen des öffentlichen Verkehrs stellen mehrheitlich subventionierten Verkehr mit einem meist geringen Kostendeckungsgrad bereit. Der private Verkehr deckt seine Kosten fast vollständig selbst. Die Preisentwicklung für die jeweilige Nutzung ist zudem gegenläufig – die Endkundenpreise im öffentlichen Verkehr nehmen laufend zu, während jene im privaten Verkehr abnehmen. Damit die Bündelung beider Welten auch betriebswirtschaftlich sinnvoll und aus Kundensicht attraktiv wird, müssen im öffentlichen Verkehr die Preiskompetenz und die Eigenwirtschaftlichkeit gesteigert werden. Ansonsten wird das Zusammenführen der verschiedenen Verkehrsträger in multimodale Mobilitätsdienstleistungen sehr schwierig werden.

Grafik 2

Grafik 3

Letztlich ist auch die Technologie für die Mobilität der Zukunft eine entscheidende Einflussgrösse. Der technologische Fortschritt erweitert stetig den Möglichkeitsraum und legt die Schwelle für die Wirtschaftlichkeit neuer Angebote immer tiefer. Das bringt eine bessere und gezieltere Leistung zu geringeren Preisen. Diese Entwicklung wirft sehr grundsätzliche Fragen auf, die sich eine Gesellschaft und eine Volkswirtschaft frühzeitig stellen müssen: Braucht es angesichts der technologischen Entwicklung langfristig überhaupt noch einen subventionierten Verkehr, der durch staatseigene Unternehmen erbracht wird, wenn sich jedes abgelegene Bergtal auch rentabel mit einem Drohnentaxi oder einem selbstfahrenden Bus auf Abruf erschliessen lässt? Dies lässt sich heute selbstverständlich noch nicht mit Sicherheit beantworten. Sicher ist jedoch, dass die Rahmenbedingungen für die Mobilität und insbesondere für den streng regulierten öffentlichen Regionalverkehr je länger je mehr nicht einer statischen Logik folgen dürfen («mehr vom Gleichen»), sondern dass es einer dynamischen Sicht bedarf, damit die Offenheit und Adaptionsfähigkeit für neue Technologien, Kundenbedürfnisse und Angebotsformen besteht.