# 10 / 2016
08.10.2016

Unternehmensverantwortung: Lösungen statt Gerichtsprozesse

Auch KMU sind betroffen

Die Initiative erweckt mit ihrem Namen den Eindruck, sie richte sich ausschliesslich gegen Konzerne. Dies ist aus drei Gründen falsch.

  1. Alle Unternehmen, auch kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) werden von der Initiative erfasst. Der Initiativtext besagt zwar, dass der Gesetzgeber bei der Regelung der Sorgfaltsprüfungspflicht Rücksicht auf die Bedürfnisse kleinerer und mittlerer Unternehmen nimmt. Doch auch die KMU werden klar von der Haftung erfasst. So kann ein Schweizer KMU einen wichtigen Zulieferer im Ausland haben, der von ihm abhängig ist: Die Bestimmungen der Initiative wären dann direkt auf das KMU anwendbar.
     
  2. Die vorgesehene Erleichterung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese in der Praxis toter Buchstabe sein wird. Die Sorgfaltspflichten sind derart weit gefasst, dass gerade kleine Unternehmen es sich aus Risikoüberlegungen nicht leisten könnten, einen weniger strengen Haftungsstandard als Grossunternehmen anzuwenden.
     
  3. Am weitreichendsten sind die indirekten Folgen für KMU, die auch Zulieferer internationaler Unternehmen sind. Ein multinationales Unternehmen wird Auflagen, die es selbst einhalten muss, auf Zulieferer – im Ausland und in der Schweiz – weitergeben müssen. Dies deshalb, da die Initiative eine weitgehende Sorgfaltspflicht vorsieht, die sich nicht nur auf das Unternehmen, sondern auf alle Geschäftspartner in der Wertschöpfungskette erstreckt. Mit sogenannten «Back-to-back»-Verträgen wird ein Grossunternehmen sein Haftungsrisiko absichern. Damit wird die gesetzliche Kausalhaftung vertraglich an einen Lieferanten weitergegeben. Für die KMU bedeutet die Initiative neben einem höheren Risiko auch einen erheblich grösseren administrativen Aufwand. Zahlreiche zusätzliche Konformitätsnachweise und aller Voraussicht nach eine stärkere Kontrolle der neuen Sorgfaltspflichten durch die Auftraggeber wären die Folge.

Forderungsabtretung über "Back-to-back-Verträge"

Die Unternehmensverantwortungs-Initiative trifft Konzerne und KMU. Denn jedes Unternehmen wird Auflagen, die es selber einhalten muss, auf Zulieferer - im Ausland und in der Schweiz - weitergeben, um das eigene Haftungsrisiko zu beschränken. 

Beispiel 1: Das Unternehmen K bezieht bei Lieferant 1 (L1) im Inland Ware. Lieferant 1 wiederum hat einen Zulieferer (L2) im Ausland. K hat keinen direkten Einfluss auf die Beschaffungsvorgänge von L1. Ein Geschädigter könnte aufgrund der Initiative nun direkt gegen K in der Schweiz klagen. K wird, um sich für einen solchen Fall abzusichern, die Haftung an L1 vertraglich «back-to-back» weitergeben. L1 wird das Gleiche im Verhältnis mit L2 machen, mit dem Effekt, dass dieser rechtlich die Gesamthaftung von K trägt. Diese bemisst sich nach Schweizer Standards (Gerichtskosten, Anwaltskosten, Entschädigungen). Es ist fraglich, ob L2 eine solche Haftung überhaupt tragen kann.

Beispiel 2: L2 ist ein kleiner, selbstständiger Familienproduzent vor Ort, der ausschliesslich an L1 liefert. Die Familie von L2 arbeitet hart und verlangt von den Mitarbeitenden ebenfalls Mitwirkung unter gefährlichen Arbeitsbedingungen. L1 hat L2 mehrmals gemahnt, diese Arbeitsbedingungen zu verbessern, kann aber ausser der Drohung, die Ware von L2 nicht mehr zu beziehen, nichts machen. K wird der Bezug von Ware aufgrund des damit verbundenen Haftungsrisikos zu riskant und kauft kurzerhand L1 und L2 auf und integriert die beiden Lieferanten in den Konzern (Horizontale Integration). Die Familie kriegt eine Entschädigung und das Unternehmen L2 wird Teil eines grossen Konzerns. Damit wird dem Geist der Initiative entsprechend die Kontrolle durch die Lieferantenkette hindurch ausgebaut, dies jedoch zum Preis, dass kleine Familienunternehmen aufhören zu existieren.