# 04 / 2018
22.03.2018

Brexit: Auch für die Schweizer Wirtschaft weiterhin ein «moving target»

Anhaltende Unsicherheit für Schweizer Unternehmen

Der Verlauf der Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und Grossbritannien hat auch Auswirkungen auf die Schweiz. Hiesige Unternehmen werden auch künftig entweder direkt oder über ihre starke Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten mit beiden Partnern eng verbunden sein. Gleichzeitig orientiert sich die Schweiz in vielen regulatorischen Bereichen an der Gesetzgebung ihres mit Abstand wichtigsten und nächsten Handelspartners. Dies zeigt sich auch darin, dass rund die Hälfte der Schweizer Importe und Exporte nicht Fertig-, sondern Zwischenprodukte sind. So werden beispielsweise Vormaterialien aus China in Polen verarbeitet und in Kombination mit weiteren Komponenten aus Deutschland zu einem Maschinenteil zusammengebaut. Dieses wird anschliessend in Grossbritannien in eine Anlage integriert, welche schliesslich als fertiges Produkt in die USA exportiert wird.

Grafik 5

Entsprechend wären etwa eine zunehmende regulatorische Divergenz und neue Handelshemmnisse zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich speziell für Schweizer KMU eine Herausforderung und mit zusätzlichen Kosten sowie bürokratischem Aufwand verbunden. Mehrfache Zertifizierungen für Marktzulassung von Produkten, aufwendige Zollformalitäten, Lieferverzögerungen oder gar der Verlust von Aufträgen wären mögliche Folgen. Insofern ist eine vertragliche EU-UK-Lösung aus wirtschaftlicher Sicht umso problematischer, je stärker sie sich vom heutigen Zustand unterscheidet. Hierbei können folgende Szenarien unterschieden werden:

Tabelle 3

Auch die Schweiz braucht eine Übergangsregelung mit Grossbritannien, da das künftige Verhältnis gegenwärtig gar nicht ausgehandelt werden kann. Dies ist wichtig, denn bereits heute sind viele Schweizer Unternehmen mit Rechtsunsicherheiten bei den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich konfrontiert. Beispielsweise sind einerseits Abschlüsse von Verträgen und Partnerschaften mit Laufzeit über den Brexit hinaus mit rechtlichen Unsicherheiten verbunden. Andererseits können Investitionen oder Standortentscheide nicht beliebig hinausgezögert werden.

Entsprechend wird die künftige Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Schweiz und ihrer Unternehmen im Kontext des Brexit von drei wichtigen Fragen bestimmt werden:

  1. Gelingt es der Schweiz, rechtzeitig die für sie günstigen bilateralen Vereinbarungen mit Grossbritannien zu treffen (z.B. Land-/Luftverkehr, Güter- und Dienstleistungshandel, Personenverkehr)?
  2. Gelingt es der EU und dem Vereinigten Königreich ihre künftigen Handelsbeziehungen derart zu gestalten, dass neue Hürden wo immer möglich vermieden werden können?
  3. Gelingt es der Schweiz, Grossbritannien und der EU, die Divergenz bei regulatorischen und zolltechnischen Fragen grenzüberschreitender Wertschöpfungsketten (z.B. gegenseitige Anerkennung von Standards, Ursprungsregeln, Datenschutz) auf ein Mindestmass zu beschränken?

Grafik 6

Damit ist klar: Um mindestens den Erhalt des Status quo in den bilateralen Beziehungen der Schweiz mit Grossbritannien sicherzustellen, liegen nicht alle Hebel im direkten Einflussbereich der Schweiz. Nicht nur eine rasche bilaterale Lösung mit Grossbritannien, sondern auch der Ausgang der Verhandlungen EU-UK ist zentral. Die Einigung auf eine Übergangsregelung bis Ende 2020 zwischen der EU und Grossbritannien ist hierbei ein wichtiges positives Signal. Die Ratifikation kann aber erst kurz vor März 2019 abgeschlossen werden. Bis dahin gibt es daher auch bezüglich der Übergangsregelung Unsicherheiten.

Bundesverwaltung und die Wirtschaft aktiv

Der Bundesrat hat im Nachgang an den Brexit-Entscheid rasch reagiert und konkrete Ziele im Rahmen einer «mind-the-gap»-Strategie formuliert. Diese soll die Rechtsgrundlage der bilateralen Beziehungen zu Grossbritannien, die heute auf den Verträgen mit der EU basiert, rechtzeitig ersetzen. Die Koordination dieser Arbeiten wird in der Bundesverwaltung durch eine Steuerungsgruppe wahrgenommen, die aus Vertretern der betroffenen Departemente besteht und von der Direktion für europäische Angelegenheiten geleitet wird. Im Zentrum der Arbeiten und regelmässigen Gespräche mit der britischen Verwaltung steht der Erhalt des Status quo in den vertraglichen Beziehungen zum Vereinigten Königreich. Der etablierte Dialog soll flexibel genug sein, rechtzeitig auch Lösungen zu erarbeiten, die auf einer Rechtsharmonisierung mit der EU beruhen. Auch sollen dadurch allfällige neue Themen beispielsweise im Finanzbereich aufgenommen werden können.

economiesuisse begleitet die Arbeiten der Bundesverwaltung aktiv und steht im engen Kontakt mit britischen Partnerverbänden und den relevanten Verwaltungsstellen beidseits des Ärmelkanals. Aktives Engagement erfolgt auch im Rahmen des europäischen Wirtschaftsdachverbands businesseurope. Unmittelbar nach dem Volksentscheid vom 23. Juni 2016 wurde seitens economiesuisse eine Arbeitsgruppe eingesetzt und in Zusammenarbeit mit den Branchenverbänden eine umfassende Auslegeordnung mit den Prioritäten aus Sicht der Wirtschaft vorgenommen. Eine weitere Gruppe beschäftigt sich spezifisch mit den Anliegen der Finanzdienstleistungsbranche im Zusammenhang mit dem Brexit.