Zuwanderung: Unternehmen sind auf eine wirtschaftsfreundliche, europakompatible Lösung angewiesen
economiesuisse und der Schweizerische Arbeitgeberverband engagieren sich seit Monaten für eine wirtschaftsfreundliche Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Eine breit abgestützte Umfrage bei Unternehmen und Branchenverbänden bestätigt nun, dass eine rasche, unkomplizierte Rekrutierung von Fachkräften im In- und Ausland für die Unternehmen von grösster Bedeutung ist. Deshalb bekräftigen die beiden Spitzenverbände die Notwendigkeit eines Schutzklausel-Systems. Sie wollen sich ausserdem langfristig für eine konstruktive schweizerische Europapolitik einsetzen und lancieren zusammen mit den grossen Branchenverbänden die Kampagne «stark + vernetzt».
Eine Umfrage von economiesuisse, UBS und Credit Suisse bei neun Branchenverbänden und 153 Einzelfirmen bestätigt, dass die Masseneinwanderungsinitiative die wirtschaftlichen Aussichten verdüstert. 85 Prozent der Befragten rechnen mit einem Rückgang der Investitionen und 88 Prozent mit einer tieferen Beschäftigung, wenn die Initiative im Sinne des Bundesrats umgesetzt würde. Man nehme diese Signale sehr ernst und werde sich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass es nicht so weit kommt, betonte economiesuisse-Präsident Heinz Karrer heute in Bern vor den Medien. Zudem habe die Bevölkerung dem in der Ecopop-Initiative vorgeschlagenen Zuwanderungskorsett eine deutliche Absage erteilt. «Vor diesem Hintergrund lehnen wir den starren Umsetzungsvorschlag des Bundesrats ab», so Karrer.
Als Lösungsvorschlag haben die Wirtschaftsverbände ihr Konzept einer Schutzklausel weiter verfeinert. Es wurde intern breit diskutiert und wird von allen Mitgliedern in allen Landesteilen unterstützt. Das Konzept sieht vor, dass die Landesregierung jährlich eine Schwelle für die Nettozuwanderung definiert, bei deren Überschreiten ein Kontingentsystem wirksam wird. Für dieses gilt wiederum eine Obergrenze. Die EU habe in den letzten Monaten deutlich gemacht, dass permanente Kontingente und ein Inländervorrang nicht akzeptiert werden, bilanzierte Karrer: «Schutzklauseln jedoch sind auch innerhalb der EU bekannt und bewährt.» Zwar biete auch dieser Ansatz keine Garantie für einen Verhandlungserfolg, doch sei es der aussichtsreichste Weg, die Bilateralen Abkommen zu retten.
Keine Kontingente für Kurzaufenthalter
Für Valentin Vogt, Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (SAV), ist es zentral, dass der vorhandene Umsetzungsspielraum ausgenutzt wird, um dem gesamtwirtschaftlichen Interesse Rechnung zu tragen. Die Unternehmen müssten so rasch wie möglich ihre Planungssicherheit zurückgewinnen. «Sie müssen sich darauf verlassen können, in Zukunft bei entsprechender Notwendigkeit ohne zusätzliche administrative Mehrbelastung schnell und flexibel auch Personal aus EU-/EFTA-Staaten rekrutieren zu können.» Sollte dies nicht mehr möglich sein, käme dies in einem ohnehin schwierigen Umfeld einer weiteren Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit gleich.
Der SAV und economiesuisse fordern deshalb mit Nachdruck, dass EU-/EFTA-Bürger, die sich bis zu zwölf Monate für eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz aufhalten, sowie Grenzgänger von der Kontingentierung ausgenommen werden. Ein wichtiger Punkt ist gemäss Vogt auch die praxistaugliche Handhabung des Inländervorrangs: Er soll bereits bei der Festlegung der Höchstzahlen und Kontingente berücksichtigt werden. Der Aufwand für Unternehmen und Behörden und auch das Konfliktpotenzial gegenüber dem Freizügigkeitsabkommen würden damit deutlich verringert. Und schliesslich verlangt der SAV als Vertreter der Sozialpartner die vollwertige Mitgliedschaft in der Zuwanderungskommission, um die Bedürfnisse der Unternehmen einbringen zu können.
Inlandpotenzial nutzen, Regeln durchsetzen
Die Wirtschaftsvertreter betonten aber auch, dass man das Kontingentierungssystem im Idealfall gar nie zu aktivieren brauche. Dann nämlich, wenn durch eine bessere Nutzung des inländischen Arbeitskräftepotenzials und eine schärfere Durchsetzung der Regeln zum Sozialhilfeanspruch und zum Familiennachzug die definierte Schwelle gar nicht erreicht werde. Die Wirtschaftsverbände weisen darauf hin, dass auch der Staat als Arbeitgeber hierzu einen Beitrag leisten müsse. Angesichts des Fachkräftemangels seien die meisten Unternehmen schon länger darum bemüht, mit Massnahmen in verschiedenen Bereichen die Arbeitsmarktbeteiligung insbesondere der Frauen, der älteren Bevölkerung und der Jugendlichen zu fördern. Dass dies über weite Strecken gelingt, zeigt die hierzulande vergleichsweise tiefe Arbeitslosigkeit. Vogt gab jedoch zu bedenken: «Trotz aller Bemühungen werden wir auch in Zukunft nicht darum herumkommen, auf ausländische Arbeitskräfte zurückzugreifen.» Viele Branchen besetzen über die Rekrutierung aus der EU Arbeitsplätze mit Fachkräften, die in der Schweiz schwierig bis gar nicht zu finden sind. Diese Tatsache komme auch in den aktuellen Zuwanderungszahlen zum Ausdruck.
Erhalt der Bilateralen steht im Vordergrund
Jean-Marc Demierre, Bauunternehmer und Präsident der Fédération vaudoise des entrepreneurs, warnte davor, zum alten Kontingentierungssystem mit starren Quoten selbst für Kurzaufenthalter zurückkehren. Es bestehe die grosse Gefahr, dass Branchen wie die Bauindustrie zu kurz kämen. Gleichzeitig stehe man in Konkurrenz zu ausländischen Anbietern, die diesen Restriktionen nicht unterworfen wären – «so würden wir doppelt gestraft». Dass für die Wirtschaft noch weit mehr auf dem Spiel steht als der Zugang zu ausreichend Fachkräften, betonte Ivan Slatkine, Unternehmer und Präsident der Fédération des Entreprises Romandes (FER) Genève. Auch er erinnerte an die schwierigen Jahre nach dem EWR-Nein von 1992 und die grossen wirtschaftlichen Probleme, gerade auch in der Romandie. «Glücklicherweise sind wir dieser Krise dank einem zwar nicht immer einfachen, aber pragmatischen Weg entkommen – den Bilateralen.» Diese Strategie habe es der Schweiz erlaubt, aus einer Phase der Stagnation heraus zu einem der europäischen Wachstumsmotoren zu werden. Deshalb sei die Bereitschaft, für den Erhalt der Bilateralen zu kämpfen, in der Westschweiz besonders hoch.
Die Wirtschaftsverbände fordern nicht nur eine wirtschaftsfreundliche und europakompatible Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Sie wollen sich darüber hinaus auch langfristig für eine konstruktive schweizerische Europapolitik engagieren. Aus diesem Grund starten sie unter www.europapolitik.ch eine Kampagne, die ins Bewusstsein rufen will, wie stark die Schweiz seit jeher wirtschaftlich, politisch oder auch kulturell mit ihren europäischen Nachbarn verbunden ist.