Arzt hält Atemmastke mit Schweizerkreuz

Unser Staat ist in der Krise hand­lungs­fä­hig – und muss es auch in Zu­kunft sein

Zur Fi­nan­zie­rung der Co­ro­na-Not­mass­nah­men muss sich der Bund zu­sätz­lich ver­schul­den. Dank der so­li­den Haus­halts­la­ge wird die Ver­schul­dung vor­aus­sicht­lich trag­bar blei­ben. Um für wei­te­re Kri­sen fi­nan­zi­ell ge­wapp­net zu sein, ist es den­noch wich­tig, dass die Neu­schul­den über die Zeit amor­ti­siert wer­den.

Eine un­längst er­schie­ne­ne Pu­bli­ka­ti­on des Bun­des schlug keine Wel­len: die jähr­li­che Fi­nanz­sta­tis­tik der Eid­ge­nös­si­schen Fi­nanz­ver­wal­tung. Die Sta­tis­tik ent­hält die Ent­wick­lung der Fi­nan­zen von Bund, Kan­to­nen, Ge­mein­den und So­zi­al­ver­si­che­run­gen. Es ist ein in­for­ma­ti­ves Werk mit vie­len Zah­len, das die­ses Jahr mit «Hohe Über­schüs­se bei den öf­fent­li­chen Haus­hal­ten» über­schrie­ben war. Pu­bli­ziert wurde es am 5. März, eine Woche vor dem ers­ten Co­ro­na-Not­pa­ket des Bun­des­rats.

Einen Monat spä­ter steht die Schweiz in­mit­ten einer schwe­ren Krise, und das Bild hoher Über­schüs­se er­scheint ein fer­nes. Der Bund be­strei­tet zwar seine mil­li­ar­den­schwe­ren Not­pa­ke­te zum Teil noch aus vor­han­de­nen Mit­teln. Be­reits hat er aber be­gon­nen, zu­sätz­li­ches Geld am Ka­pi­tal­markt auf­zu­neh­men. Wie weit kann sich der Bund in der ak­tu­el­len Si­tua­ti­on neu ver­schul­den?  

Mit tie­fer Schul­den­quo­te in die Krise – dank Schul­den­brem­se

Die Ant­wort muss dif­fe­ren­ziert aus­fal­len. Das Ende der Krise ist nicht be­kannt, und ihre fi­nan­zi­el­len Fol­gen wer­den sich über Jahre er­stre­cken. Auch gibt es für das «rich­ti­ge» Mass der Ver­schul­dung keine uni­ver­sell gül­ti­ge Ant­wort. Der Bund ist im­mer­hin, wie die meis­ten an­de­ren Staats­we­sen der Schweiz auch, mit einer so­li­den Haus­halts­po­li­tik in den letz­ten Jah­ren gut ge­fah­ren.

Ende 2019 lag der Stand der öf­fent­li­chen Schul­den der Schweiz (alle Staats­ebe­nen) ge­mäss der er­wähn­ten Fi­nanz­sta­tis­tik nach Maas­tricht-Kri­te­ri­en be­rech­net bei 188 Mil­li­ar­den Fran­ken. Ins Ver­hält­nis zum Brut­to­in­land­pro­dukt ge­setzt, ergab das eine Schul­den­quo­te von 27 Pro­zent (Bund: 12,7 Pro­zent; Kan­to­ne: 7,7 Pro­zent; Ge­mein­den: 6,6 Pro­zent; So­zi­al­ver­si­che­run­gen: 0 Pro­zent); die Pro­gno­se für 2020 lag bei 26 Pro­zent. Eine Ver­schul­dung in die­sem Um­fang ist in­ter­na­tio­nal ge­se­hen tief. Ins­be­son­de­re tief ist sie aber, wenn man be­denkt, dass der staat­li­che Schul­den­stand der Schweiz vor 15 Jah­ren um 80 Pro­zent (!) höher lag (Schul­den­quo­te 2003: rund 48 Pro­zent). Seit­her hat vor allem der Bund seine Ver­schul­dung sub­stan­zi­ell um über 30 Mil­li­ar­den Fran­ken ab­ge­baut. Mög­lich war dies dank der ins­ge­samt guten Wirt­schafts­ent­wick­lung, der his­to­risch ge­se­hen ein­ma­lig hohen Ein­nah­men­si­tua­ti­on und vor allem dank der Schul­den­brem­se, die in den vie­len wirt­schaft­lich guten Jah­ren Haus­halts­über­schüs­se ver­lang­te und die Über­schüs­se in den Schul­den­ab­bau lenk­te.

Schul­den stei­gen, je län­ger die Krise dau­ert

Um wie viel sich der Bund als Folge der Co­ro­na-Krise zu­sätz­lich ver­schul­den muss, ist heute nicht klar. Wich­ti­ge Pa­ra­me­ter wie die In­an­spruch­nah­me der Kurz­ar­beits­ent­schä­di­gung sind noch offen. Auch könn­ten die Un­ter­stüt­zun­gen punk­tu­ell noch aus­ge­wei­tet wer­den. Im Sinne einer rea­lis­ti­schen Schät­zung kann von einem Mit­tel­be­darf von gegen 6 Mil­li­ar­den Fran­ken pro Monat aus­ge­gan­gen wer­den. Je län­ger die Krise dau­ert, je höher wird der Mit­tel­be­darf sein. Mas­siv in die Höhe schnel­len wür­den die staat­li­chen Aus­ga­ben zudem, wenn wei­te­re Teile der Wirt­schafts­pro­duk­ti­on her­un­ter­ge­fah­ren wer­den müss­ten. Davon ist im Mo­ment je­doch nicht aus­zu­ge­hen. Fi­nan­ziert der Bund die der­zeit be­schlos­se­nen Zu­satz­aus­ga­ben voll­stän­dig über Neu­schul­den, steigt die Schul­den­quo­te mo­nat­lich um rund einen Pro­zent­punkt. Das heisst, bei einem drei­mo­na­ti­gen Not­pro­gramm von gegen 20 Mil­li­ar­den Fran­ken läge die Schul­den­quo­te am Ende bei gut 29 Pro­zent. Bei Neu­schul­den von total 30 Mil­li­ar­den Fran­ken wäre die Marke bei über 30 Pro­zent. 


Szenarien Staatsschulden

 

Im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich würde auch eine hö­he­re Schul­den­quo­te noch immer als gut trag­bar gel­ten. Die Er­gän­zungs­re­gel der Schul­den­brem­se ver­langt je­doch, dass auch «aus­ser­or­dent­li­che Schul­den» über die Zeit amor­ti­siert wer­den. Die re­gu­lä­re Frist für die Amor­ti­sa­ti­on be­trägt sechs Jahre, kann aber er­streckt wer­den. Diese Pflicht zur Amor­ti­sa­ti­on ist rich­tig und wich­tig. Denn auch in Kri­sen auf­ge­nom­me­ne Schul­den sind Schul­den, die den Bund und damit uns alle be­las­ten. Selbst wenn sich der Bund heute mehr oder we­ni­ger gra­tis fi­nan­zie­ren kann: Schul­den müs­sen ir­gend­wann re­fi­nan­ziert wer­den, und ob die Zins­kon­di­tio­nen dann so gut sind wie heute, ist zu be­zwei­feln.  

Fi­nan­zi­el­le So­li­di­tät muss auch künf­tig ge­währ­leis­tet sein

Die Fi­nanz­sta­tis­tik des Bun­des vom 5. März hat für die nächs­ten Jahre wei­ter­hin Über­schüs­se und einen fort­ge­setz­ten Schul­den­ab­bau pro­gnos­ti­ziert. Dazu wird es jetzt nicht kom­men. Es stimmt: Der Bund kann und soll Not­fall­un­ter­stüt­zung leis­ten, selbst in er­heb­li­chem Um­fang. Dies auch, wenn er nie­mals alle Ein­kom­mens­aus­fäl­le ent­schä­di­gen kann (wes­halb die Wirt­schaft mög­lichst rasch, so­bald dies mit dem ge­sund­heit­li­chen Schutz der Be­völ­ke­rung ver­ein­bar ist, die Ge­schäfts­tä­tig­keit wie­der auf­neh­men soll­te). Es stimmt aber auch: Er kann dies nur, weil er Schul­den ab­ge­baut hat und des­halb fi­nan­zi­ell grund­so­lid da­steht. Diese So­li­di­tät muss auch in der Zu­kunft ge­währ­leis­tet sein. Nicht, weil Haus­halts­aus­gleich, Über­schüs­se und Schul­den­ab­bau Ge­bo­te stu­rer Ord­nungs­po­li­tik sind. Son­dern weil sie hel­fen – auch und ge­ra­de in Kri­sen.