Steu­ern sind kein All­heil­mit­tel

Steu­ern sind wie As­pi­rin: bie­der, aber schein­bar un­ver­zicht­bar. Ein Dis­kus­si­ons­abend über ein Steu­er­the­ma bringt keine 20 Leute zu­sam­men. Wer will schon als Buch­hal­ter gel­ten oder noch schlim­mer: als Ma­te­ria­list! So­bald es aber ir­gend­wo weh tut, folgt der Griff zur Pille – und die Steu­er­pil­le steht dann ga­ran­tiert vorne im Regal.

Kein Pro­blem die­ser Zeit ist schein­bar zu gross oder zu klein, als dass es dafür nicht eine steu­er­li­che Lö­sung gäbe. Die Armut und Un­ge­rech­tig­keit auf die­ser Welt? Die OECD im Schlepp­tau der G-20 hat diese Pro­ble­me ge­ra­de ge­löst und den schlau­meie­risch steu­er­ver­mei­den­den und -ver­schie­ben­den Fir­men im BEPS-Pro­jekt (Base Ero­si­on and Pro­fit Shif­ting) das Fürch­ten bei­ge­bracht. Wie gross die Pro­ble­me wirk­lich sind, ist bis heute um­strit­ten. Aber das war auch egal. Das Übel wurde ge­or­tet und mit hei­li­gem Eifer be­kämpft und alles wird gut. Dass Steu­ern und die im­men­sen Bü­ro­kra­ti­en, die sie schaf­fen, zu­las­ten von In­ves­ti­tio­nen und Ar­beits­plät­zen gehen, in­ter­es­sier­te beim gros­sen Schul­ter­klop­fen wenig. Das häss­li­che Steu­er­ent­lein ward flugs be­för­dert zum om­ni­po­ten­ten Wel­ten­ret­ter.

Auch in der Schweiz er­freut sich die Steu­er­me­di­zin er­heb­li­cher Be­liebt­heit. Steu­er­li­che Mass­nah­men im Ge­bäu­de­be­reich sol­len das Klima ret­ten hel­fen und den hel­ve­ti­schen En­er­gie-Fuss­ab­druck auf Kin­der­schuh­grös­se brin­gen. Die kan­to­na­len Steu­er­chefs sagen, sie seien nicht die Kli­ma­po­li­zei, aber das scheint den Ge­setz­ge­ber wenig zu küm­mern. Im Ver­kehrs­be­reich muss zur Fi­nan­zie­rung immer neuer Schie­nen der Pend­ler­ab­zug in der Steu­er­er­klä­rung auf 3000 Fran­ken be­schränkt wer­den. Der damit ver­bun­de­ne Ein­griff in die Steu­er­sys­te­ma­tik und die prak­ti­schen Kom­pli­ka­tio­nen, die sich dar­aus er­ge­ben, waren in der po­li­ti­schen De­bat­te kein Thema; bei der Pla­nung der Um­set­zung dann aber sehr wohl (Kopf­schmer­zen be­rei­te­te bei­spiels­wei­se die Be­hand­lung der Ge­schäfts­wa­gen beim Ar­beits­weg).

Auch beim all­ge­gen­wär­ti­gen Thema der Ver­ein­bar­keit von Fa­mi­lie und Beruf liegt der Fokus stark auf den Steu­ern. Steu­ern, so der Vor­wurf, wür­den es für Frau­en un­at­trak­tiv ma­chen, sich be­ruf­lich (stär­ker) zu en­ga­gie­ren. Ob dem ge­ne­rell so ist, ist un­klar. Die Er­werbs­be­tei­li­gung der Frau­en in der Schweiz ist hoch, al­ler­dings fal­len die Pen­sen im Ver­gleich zum Aus­land meist tie­fer aus. Grün­de dafür gibt es wahr­schein­lich so viele wie Be­trof­fe­ne. Den­noch soll vor allem eines Ab­hil­fe schaf­fen: das Her­um­schrau­ben an der Ein­kom­mens­steu­er. Das ver­such­te man be­reits in der Ver­gan­gen­heit mit der Folge, dass alles im­mer­fort kom­pli­zier­ter wurde. Am Grund­pro­blem än­der­te sich frei­lich nichts: In einem pro­gres­si­ven Steu­er­sys­tem führt ein stei­gen­des Ein­kom­men nicht zu mehr, son­dern eben häu­fig zu viel mehr Steu­ern.

Steu­ern kann man wie As­pi­rin für vie­les brau­chen. Rich­tig und mass­voll an­ge­wen­det brin­gen sie dem Staat Geld – ihre no­bels­te und ei­gent­lich ein­zi­ge zu­läs­si­ge Auf­ga­be. An­de­re Zwe­cke wer­den durch Steu­ern meist schlecht be­dient oder dann mit schäd­li­chen Ne­ben­wir­kun­gen. Die rich­ti­ge An­wen­dung einer Pille steht auf jedem Bei­pack­zet­tel. Ein sol­cher soll­te auch für Steu­ern Pflicht sein. Steu­ern, würde man lesen, sind kein All­heil­mit­tel – und bei un­zu­läng­li­cher Dia­gno­se oder fal­scher Me­di­ka­ti­on ein­schliess­lich zu hoher Dosis auch kein Heil­mit­tel.

Die Er­war­tung, dass eine Me­di­zin al­lein Wun­der wirkt, ge­hört ins Reich der Quack­sal­ber und Schlan­gen­fän­ger. Im auf­ge­klär­ten, auf seine Wis­sens­ba­sie­rung so stol­zen Wes­ten soll­te das be­kannt sein. Über das Aus­mass an real exis­tie­ren­dem Wun­der­glau­ben kann man sich nur wun­dern.

Die­ser Ar­ti­kel wurde in PRI­VA­TE 2015 (06) ver­öf­fent­licht.