Europäische und Schweizer Flagge auf einem Tisch

Sie­ben gros­se My­then zum in­sti­tu­tio­nel­len Ab­kom­men und was wirk­lich da­hin­ter­steckt

Das in­sti­tu­tio­nel­le Ab­kom­men mit der EU liegt als Ent­wurf seit ge­rau­mer Zeit vor und die Phan­tom­dis­kus­si­on soll­te ei­gent­lich längst zu Ende sein. Aber noch immer hal­ten sich My­then, Be­haup­tun­gen und Halb­wahr­hei­ten in der öf­fent­li­chen De­bat­te. Höchs­te Zeit, zu einer fak­ten­ba­sier­ten Mei­nungs­bil­dung zu­rück­zu­keh­ren. Wir haben sie­ben My­then zum in­sti­tu­tio­nel­len Ab­kom­men auf­ge­spürt und mit den Un­wahr­hei­ten auf­ge­räumt.

My­thos 1: Mit dem InstA wird der Schweiz EU-Recht auf­ge­zwun­gen.

Fakt: Im In­sti­tu­tio­nel­len Ab­kom­men (InstA) ver­ein­ba­ren die Schweiz und die EU auf Basis eines völ­ker­recht­li­chen Ab­kom­mens und ohne Zwang, wel­ches EU-Recht die Schweiz über­neh­men wird und wel­ches nicht. Be­reits in den Bi­la­te­ra­len Ab­kom­men I und II über­nahm die Schweiz in den von die­sen Ab­kom­men be­trof­fe­nen Be­rei­chen das da­mals gel­ten­de EU-Recht. Die Schweiz kann zu jedem Zeit­punkt die Über­nah­me von EU-Recht ver­wei­gern, muss dann aber auch be­reit sein, die Kon­se­quen­zen (ver­hält­nis­mäs­si­ge Ge­gen­mass­nah­men der EU) zu tra­gen. Im Ge­gen­zug er­hält die Schweiz einen pri­vi­le­gier­ten Zu­gang zum eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt und hier an­säs­si­ge Un­ter­neh­men und Bür­ger wer­den wei­ter­hin gleich be­han­delt wie die­je­ni­gen aus dem EU-Raum. Aus­ser­dem kann die Schweiz in Zu­kunft an den Vor­be­rei­tungs­ar­bei­ten von EU-Recht, das sie be­trifft, teil­neh­men und bei der Um­set­zung in den EU-Gre­mi­en mit­ar­bei­ten.

My­thos 2: Das InstA führt zu mehr Rechts­un­si­cher­heit

Fakt: Das Ge­gen­teil ist der Fall. In kon­kret vier Punk­ten schafft das in­sti­tu­tio­nel­le Ab­kom­men Rechts­si­cher­heit. Ers­tens be­stim­men klare Re­geln, dass nur Recht im An­wen­dungs­be­reich der fünf Markt­zu­gangs­ab­kom­men der Bi­la­te­ra­len I (Per­so­nen­frei­zü­gig­keit, Tech­ni­sche Han­dels­hemm­nis­se, Land­wirt­schafts­pro­duk­te, Land- und Luft­ver­kehr) von der Schweiz nach­voll­zo­gen wird. Zwei­tens wird die Schweiz neu an den Vor­be­rei­tungs­ar­bei­ten für künf­ti­ges EU-Recht, wel­ches sie be­trifft, ein­be­zo­gen und kann diese in ihrem Sinne be­ein­flus­sen. Drit­tens kön­nen um­strit­te­ne Rechts­fra­gen durch das un­ab­hän­gi­ge Schieds­ge­richt ge­klärt wer­den. Und vier­tens kön­nen un­ver­hält­nis­mäs­si­ge Ge­gen­mass­nah­men der EU in Zu­kunft durch das un­ab­hän­gi­ge Schieds­ge­richt ge­prüft und so ver­hin­dert wer­den.

My­thos 3: EU-Recht wird in Brüs­se­ler Dun­kel­kam­mern ge­schrie­ben und ist für die Schweiz nicht vor­her­seh­bar

Fakt: EU-Recht ent­steht in einem trans­pa­ren­ten Recht­set­zungs­pro­zess. In einer Ver­nehm­las­sung wer­den die Be­dürf­nis­se von Bür­gern und Wirt­schaft ana­ly­siert. Auf den Er­geb­nis­sen der Um­fra­ge ba­siert die EU-Kom­mis­si­on ihren Rechts­vor­schlag. Die Ge­set­zes­ar­bei­ten von EU-Par­la­ment und EU-Rat sind trans­pa­rent und dau­ern in der Regel zwei Jahre. Da­nach haben die Mit­glied­staa­ten zwei Jahre Zeit, die EU-Re­geln in na­tio­na­les Recht um­zu­set­zen. Die Än­de­run­gen sind also vor­her­seh­bar, von «Dun­kel­kam­mern» kann keine Rede sein. Dank dem in­sti­tu­tio­nel­len Ab­kom­men hat die Schweiz ein Recht, sich bei den Vor­be­rei­tungs­ar­bei­ten zu Rechts­ak­ten, die Teil der bi­la­te­ra­len Ab­kom­men wer­den, zu be­tei­li­gen (Mit­spra­che- aber kein Mit­ent­schei­dungs­recht). Wir wis­sen also schon sehr früh, wel­che Rechts­ent­wick­lun­gen auf uns zu­kom­men und EU-Recht wird für uns noch vor­her­seh­ba­rer.

My­thos 4: Mit dem InstA ist der bi­la­te­ra­le Weg tot

Fakt: Das Ge­gen­teil ist der Fall. Das in­sti­tu­tio­nel­le Ab­kom­men er­mög­licht zum einen die Wei­ter­füh­rung und zum an­de­ren den Aus­bau des bi­la­te­ra­len Wegs. Seit In­kraft­tre­ten der Bi­la­te­ra­len I und II hat sich das EU-Recht wei­ter­ent­wi­ckelt und an mo­der­ne Ge­ge­ben­hei­ten an­ge­passt. Das hat zur Folge, dass die Rechts­grund­la­gen in der Schweiz und der EU nicht mehr die­sel­ben sind. Dies er­schwert eine er­folg­rei­che Han­dels­be­zie­hung. Wol­len Schwei­zer Bür­ger und Un­ter­neh­men wei­ter­hin von einem bar­rie­re­frei­en Zu­gang zum eu­ro­päi­schen Bin­nen­markt pro­fi­tie­ren und die Er­run­gen­schaf­ten des bi­la­te­ra­len Weges er­hal­ten, ist eine Mo­der­ni­sie­rung des Schwei­zer Recht­rah­mens un­um­gäng­lich. Eine Grund­la­ge für diese Wei­ter­ent­wick­lung bie­tet das in­sti­tu­tio­nel­le Ab­kom­men. Ba­sie­rend dar­auf kön­nen die Schweiz und die EU aus­ser­dem er­folg­reich wei­te­re Markt­zu­gangs­ab­kom­men ab­schlies­sen.

My­thos 5: Mit dem InstA hat die EU ein neues Droh­mit­tel für wei­te­re Sank­tio­nen in der Hand. Die Schweiz wird zu einer «Schein­de­mo­kra­tie»

Fakt: Das in­sti­tu­tio­nel­le Ab­kom­men re­spek­tiert den di­rekt­de­mo­kra­ti­schen Pro­zess der Schweiz voll­um­fäng­lich. Nach wie vor kann gegen die Um­set­zung von EU-Recht in der Schweiz je­der­zeit das Re­fe­ren­dum er­grif­fen wer­den. Die Schwei­zer Stimm­bür­ger kön­nen – wie das bei jeder Volks­ab­stim­mung der Fall ist – all­fäl­li­ge Kon­se­quen­zen ab­wä­gen und ihre Ent­schei­dung frei fäl­len, wie das bei­spiels­wei­se auch bei der Ab­stim­mung über einen EWR-Bei­tritt der Fall war.

My­thos 6: Das InstA schafft ein ein­sei­ti­ges Ab­hän­gig­keits­ver­hält­nis zwi­schen der Schweiz und der EU

Fakt: Mit oder ohne in­sti­tu­tio­nel­lem Ab­kom­men spielt die EU schon al­lein auf­grund ihrer Grös­se so­wohl wirt­schaft­lich als auch po­li­tisch in einer an­de­ren Liga. Für ein ver­hält­nis­mäs­sig klei­nes Land wie die Schweiz liegt die gröss­te Macht darin, gute Han­dels­ab­kom­men mit mäch­ti­ge­ren Staa­ten ab­zu­schlies­sen. Aus die­sem Grund ent­spricht das in­sti­tu­tio­nel­le Ab­kom­men grund­sätz­lich den In­ter­es­sen der Schweiz. Falls die Schweiz EU-Recht nicht über­neh­men will, kann die EU dank dem in­sti­tu­tio­nel­len Ab­kom­men nicht mehr will­kür­lich Mass­nah­men er­grei­fen, wel­che die Schweiz wirt­schaft­lich be­son­ders tref­fen (z.B. die Nicht­an­er­ken­nung der Bör­sen­äqui­va­lenz). Die Mass­nah­men müs­sen auf den Markt­zu­gangs­be­reich be­schränkt und ver­hält­nis­mäs­sig sein. Das in­sti­tu­tio­nel­le Ab­kom­men schafft somit Recht an­stel­le von Macht. Die Po­si­ti­on der Schweiz ge­gen­über der EU wird mit dem in­sti­tu­tio­nel­len Ab­kom­men ge­stärkt und die Be­zie­hung wird sym­me­tri­scher als heute.

My­thos 7: Der Zu­gang zum EU-Bin­nen­markt ist auch mit einem um­fas­sen­den Frei­han­dels­ab­kom­men mög­lich

Fakt: Im Ge­gen­satz zu den bi­la­te­ra­len Ab­kom­men wer­den bei einem Frei­han­dels­ab­kom­men keine glei­chen Rechts­grund­la­gen ver­ein­bart. Des­halb führt ein Frei­han­dels­ab­kom­men nur zu Er­leich­te­run­gen beim Markt­zu­gang, nicht aber zu einer voll­stän­di­gen und sek­tor­spe­zi­fi­schen In­te­gra­ti­on in den EU-Bin­nen­markt. Heute haben Schwei­zer Bür­ger und Un­ter­neh­men dank der bi­la­te­ra­len Ab­kom­men in den ver­ein­bar­ten Be­rei­chen einen un­ein­ge­schränk­ten Zu­gang zum EU-Bin­nen­markt und wer­den ge­gen­über EU-Mit­be­wer­bern gleich­be­han­delt. Bei einem um­fas­sen­den Frei­han­dels­ab­kom­men sind ein voll­stän­di­ger Zu­gang und Gleich­be­hand­lung nicht mög­lich. Eine sol­che Lö­sung an­stel­le der be­ste­hen­den bi­la­te­ra­len Ab­kom­men würde für die Schwei­zer Bür­ger und Un­ter­neh­men des­halb einen mas­si­ven Ver­lust des Zu­gangs zum Bin­nen­markt der EU be­deu­ten.