Ein Inspektor untersucht ein Dokument unter einer Lupe

OECD-Steu­er­pro­jekt: Un­ge­lös­te In­ter­es­sen­kon­flik­te

137 Staa­ten haben be­schlos­sen, dass es mit dem von OECD und G-20 vor­an­ge­trie­be­nen Umbau der in­ter­na­tio­na­len Steu­er­ord­nung wei­ter­ge­hen soll. Den­noch haben sie kon­kre­te Ent­schei­de zu heik­len Fra­gen ver­tagt. Der Zeit­plan wird damit knap­per, die zu lö­sen­den Pro­ble­me blei­ben im­mens. Zwi­schen den Staa­ten herr­schen In­ter­es­sen­ge­gen­sät­ze, die immer kla­rer her­vor­tre­ten.

Für den gros­sen Umbau der in­ter­na­tio­na­len Steu­er­ord­nung hat der In­dus­trie­län­der­klub OECD ein neues er­wei­ter­tes Gre­mi­um ge­schaf­fen, das aus 137 Staa­ten be­steht und sich In­clu­si­ve Frame­work (IF) nennt. Seit Ein­füh­rung des au­to­ma­ti­schen In­for­ma­ti­ons­aus­tau­sches be­an­sprucht die OECD die Füh­rer­schaft in in­ter­na­tio­na­len Steu­er­fra­gen. Für ihr Wir­ken lässt sie sich von der in­for­mel­len Staa­ten­ver­ei­ni­gung G-20 man­da­tie­ren. Zur G-20 ge­hö­ren gros­se In­dus­trie- und Schwel­len­län­der wie die USA, Frank­reich, In­di­en und China. Ob­wohl die Schwei­zer Volks­wirt­schaft grös­ser ist als jene ei­ni­ger G-20-Mit­glie­der, ge­hört sie nicht dazu. Im­mer­hin wird die Schweiz teils gast­wei­se zu Fi­nanz­mi­nis­ter­tref­fen ein­ge­la­den. 

Dem Namen nach sol­len die steu­er­li­chen Her­aus­for­de­run­gen der Di­gi­ta­li­sie­rung an­ge­gan­gen wer­den, ef­fek­tiv geht es um die Ver­tei­lung  des Ge­winn­steu­er­ku­chens. Gros­se Kon­zer­ne sol­len in der Säule 1 unter ge­wis­sen Be­din­gun­gen nicht mehr nur dort Ge­win­ne ver­steu­ern, wo sie pro­du­zie­ren oder for­schen oder wo die In­ves­ti­ti­ons­ri­si­ken ge­tra­gen wer­den (das heisst, wo die Wert­schöp­fung er­ar­bei­tet wird), son­dern auch in Län­dern, wo sie Güter und Leis­tun­gen ver­kau­fen. Dazu soll es ge­mäss dem neuen An­satz nicht nötig sein, dass die Firma dort ef­fek­tiv phy­sisch prä­sent ist. Die al­lei­ni­ge Teil­nah­me am Markt kann ge­nü­gen. Die­ser An­satz ist völ­lig neu und weicht grund­le­gend von den bis­her be­ste­hen­den in­ter­na­tio­na­len Steu­er­re­geln ab. Vor allem Schwel­len­län­der wie In­di­en und In­do­ne­si­en mit gros­sen Märk­ten set­zen sich für diese Um­ver­tei­lung ein. In Säule 2 geht es um die Fest­le­gung eines welt­wei­ten Min­dest­steu­er­sat­zes. Wird die­ser von einem Staat un­ter­bo­ten, dürf­ten an­de­re Staa­ten Zu­satz­steu­ern er­he­ben. Säule 2 wird von eu­ro­päi­schen Hoch­steu­er­staa­ten un­ter­stützt, allen voran Deutsch­land und Frank­reich, aber auch den USA, die ein ver­gleich­ba­res Sys­tem 2018 uni­la­te­ral ein­ge­führt haben. 

Im­men­se tech­ni­sche und po­li­ti­sche Hin­der­nis­se

Die tech­ni­schen Fra­gen, die mit bei­den Säu­len ver­bun­den sind, sind aus­ser­or­dent­lich kom­pli­ziert. eco­no­mie­su­is­se hat sich dazu im Rah­men zwei­er Kon­sul­ta­tio­nen im ver­gan­ge­nen Jahr ge­äus­sert (LINK1, LINK2). Wie sich immer stär­ker zeigt, ist aber auch die In­ter­es­sen­la­ge der Staa­ten un­ter­schied­li­cher als an­ge­nom­men. Bei­spiels­wei­se ak­zep­tie­ren die USA die Säule 1 (Ge­win­num­ver­tei­lung) nur als op­tio­na­le Lö­sung für Un­ter­neh­men, was im ver­gan­ge­nen Jahr für Schlag­zei­len sorg­te. Zahl­rei­che an­de­re Staa­ten leh­nen diese so­ge­nann­te «safe har­bour»-For­de­rung voll­stän­dig ab. 

Die Sit­zung des IF Ende Ja­nu­ar in Paris hat noch wei­te­re Ge­gen­sät­ze of­fen­bart. So weh­ren sich Schwel­len­län­der gegen ver­bind­li­che Me­cha­nis­men zur Ver­hin­de­rung von Dop­pel­be­steue­rung, die für das Funk­tio­nie­ren von Säule 1 un­ver­zicht­bar sind. Als neues Ele­ment wür­den «di­gi­ta­le» Fir­men zudem nun doch an­ders be­han­delt. Die Ge­win­ne «di­gi­ta­ler» Fir­men sol­len stär­ker vom Markt­staat be­steu­ert wer­den dür­fen als die Ge­win­ne tra­di­tio­nel­ler Kon­sum­gü­ter­un­ter­neh­men, bei­spiels­wei­se im Fahr­zeug­bau oder der Nah­rungs­mit­tel­in­dus­trie. Ers­te­re sind vor allem in den USA hei­misch. Aus die­sem Grund hatte sich die USA stets gegen eine Son­der­be­hand­lung (sog. «ring-fen­cing») di­gi­ta­ler Fir­men ge­wehrt. Ge­wis­se Sek­to­ren sol­len ganz von der Ge­win­num­ver­tei­lung aus­ge­nom­men wer­den. Nach dem letz­ten Stand soll dazu auch der Fi­nanz­sek­tor ge­hö­ren.

Den Teu­fel an die Wand malen

Das nächs­te Tref­fen des IF fin­det An­fang Juli in Ber­lin statt. Bis dann müs­sen zen­tra­le Ent­schei­dun­gen ge­fällt wer­den, etwa zum Kreis der be­trof­fe­nen Fir­men und zum Aus­mass der Ge­win­num­ver­tei­lung an die Markt­staa­ten. Dafür müs­sen po­li­ti­sche Ge­gen­sät­ze über­brückt wer­den – in ers­ter Linie müs­sen vor allem die USA ein­ge­bun­den wer­den. Ge­lingt dies nicht, dürf­te es schwie­rig wer­den, für das aus­ser­or­dent­lich am­bi­tio­nier­te Pro­jekt die not­wen­di­ge, brei­te Un­ter­stüt­zung zu fin­den. Die OECD sieht für die­sen Fall schlim­me Fol­gen bis hin zu Steu­er- und Han­dels­krie­gen. Ob dies tat­säch­lich die Fol­gen wären oder die OECD viel­mehr zur Stär­kung der Kom­pro­miss­be­reit­schaft den Teu­fel an die Wand malt? Wis­sen kann es nie­mand. Die Wirt­schaft bleibt kri­tisch.