digitaler Bildschrim in der Mitte das Wort Tax, also Steuer

OECD/G-20-Steu­er­pro­jekt zur Di­gi­ta­li­sie­rung

Die OECD ver­öf­fent­lich­te am 9. Ok­to­ber erste steu­er­po­li­ti­sche Ant­wor­ten auf die Di­gi­ta­li­sie­rung. Die kon­kre­ten Mass­nah­men er­we­cken den Ein­druck, dass der Ver­weis auf die Di­gi­ta­li­sie­rung in ers­ter Linie Po­lit­mar­ke­ting ist. Tat­säch­lich geht es um eine ge­ne­rel­le Neu­ver­tei­lung des Ge­winn­steu­er­ku­chens zwi­schen In­dus­trie- und Schwel­len­län­dern sowie die Re­gu­lie­rung des in­ter­na­tio­na­len Steu­er­wett­be­werbs.

Der Vor­wurf ist ver­brei­tet: Das in­ter­na­tio­na­le Steu­er­sys­tem be­ru­he auf den ver­al­te­ten Prin­zi­pi­en einer rein phy­si­schen Wirt­schaft. Di­gi­ta­le Ge­schäfts­mo­del­le wür­den steu­er­lich kaum er­fasst. Eine Über­ar­bei­tung der Steu­er­ord­nung sei des­halb drin­gend. Mit die­sem Ar­gu­ment trei­ben G-20 und OECD unter Hoch­druck ein fun­da­men­ta­les Steu­er­pro­jekt voran. Ge­mäss der G-20 muss bis Ende 2020 eine kon­sens­ba­sier­te Lö­sung be­schlos­sen sein. Am 9. Ok­to­ber hat die OECD erst­mals kon­kre­te Vor­schlä­ge ver­öf­fent­licht. Was be­inhal­tet das Paket? Stim­men die Mass­nah­men mit den vor­ge­brach­ten Pro­ble­men über­ein?

Ge­mäss der ers­ten Säule des zwei­tei­li­gen Pro­jekts sol­len Fir­men in den Ab­satz­län­dern neben der vol­len Mehr­wert­steu­er auch noch mehr Ge­winn­steu­ern ab­lie­fern. Län­der, in denen die Fir­men an­säs­sig sind, müss­ten Steu­er­rech­te ab­ge­ben. Es sind – wenig über­ra­schend – be­völ­ke­rungs­star­ke Schwel­len­län­der mit gros­sen Ab­satz­märk­ten, die sol­ches ein­for­dern. Die Schweiz wäre deut­lich ne­ga­tiv be­trof­fen.

Kein öko­no­mi­sches Kon­zept di­gi­ta­ler Wert­schöp­fung

Be­reits eine grobe Ana­ly­se der nun vor­ge­leg­ten Mass­nah­men macht deut­lich: In vie­len Be­rei­chen fehlt der di­rek­te Bezug zur Di­gi­ta­li­sie­rung. So be­zieht sich der Lö­sungs­vor­schlag in kei­ner Weise auf ein neues öko­no­mi­sches Kon­zept di­gi­ta­ler Wert­schöp­fung. Das ge­mäss frü­he­ren Ver­laut­ba­run­gen of­fen­bar wich­ti­ge Thema der Wert­schöp­fung durch die Kon­su­men­ten fin­det etwa kei­ner­lei Nie­der­schlag in den Mass­nah­men. Viel­mehr fin­den sich po­li­tisch aus­zu­han­deln­de Pau­schal­wer­te für die Auf­tei­lung des Steu­er­sub­strats zwi­schen An­säs­sig­keits- und Markt­staa­ten. Vor­ge­schla­gen wer­den ein­heit­li­che me­cha­ni­sche For­meln und Ver­teil­schlüs­sel, völ­lig un­ab­hän­gig von den tat­säch­li­chen di­gi­tal­wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen der ein­zel­nen Firma.

Die Aus­wir­kun­gen tre­ten denn auch kei­nes­falls kon­zen­triert bei Di­gi­tal­fir­men auf. Das Veto der USA wäre si­cher, wür­den die Mass­nah­men aus­schliess­lich auf Goog­le, Apple, Face­book und Ama­zon (GAFA) zie­len. Aber Mass­nah­men auf­grund der Di­gi­ta­li­sie­rung, die sich nicht fo­kus­siert bei Di­gi­tal­fir­men aus­wir­ken, soll­ten auf­hor­chen las­sen. Im Ge­gen­teil wird mass­geb­lich die klas­sisch «phy­si­sche» Kon­sum­gü­ter­in­dus­trie be­trof­fen sein. So etwa die Schwei­zer Uhren-, Le­bens­mit­tel- und Phar­ma­in­dus­trie. Na­tür­lich nut­zen auch diese In­dus­tri­en di­gi­ta­le Ver­triebs­ka­nä­le, stark be­trof­fen ist aber ins­be­son­de­re auch das rein tra­di­tio­nel­le, in­ter­na­tio­na­le Ge­schäft mit Kon­sum­gü­tern auf Basis lo­ka­ler phy­si­scher Ver­triebs­struk­tu­ren.

Schwel­len­län­der er­hal­ten ein (leicht) grös­se­res Stück vom Ge­winn­steu­er­ku­chen

Die mass­geb­li­che Be­trof­fen­heit der tra­di­tio­nel­len Wirt­schaft ist nicht wirk­lich über­ra­schend. So ist die For­de­rung der Schwel­len­län­der nach einem grös­se­ren An­teil an der Ge­winn­steu­er etwa gleich alt wie das ab 1928 im Völ­ker­bund ent­stan­de­ne in­ter­na­tio­na­le Steu­er­recht. In Schwel­len- und Ent­wick­lungs­län­dern ver­brei­te­te Quel­len­steu­ern zeu­gen vom lang­jäh­ri­gen Ver­teil­kampf zwi­schen Markt- und An­säs­sig­keits­staa­ten. Die Di­gi­ta­li­sie­rung dient hier als Auf­hän­ger, um ein altes An­lie­gen ver­stärkt vor­zu­brin­gen.

Im Re­sul­tat der OECD-Vor­schlä­ge wür­den In­dus­trie­staa­ten an Steu­er­sub­strat ver­lie­ren. Der Hin­ter­grund liegt we­ni­ger in der Di­gi­ta­li­sie­rung als in einer po­li­ti­schen Macht­ver­schie­bung. Mit der zu­neh­men­den wirt­schaft­li­chen Be­deu­tung gros­ser Schwel­len­län­der in­ner­halb der G-20 steht der Ver­teil­kampf um den glo­ba­len Ge­winn­steu­er­ku­chen unter neuen Vor­zei­chen. Noch weh­ren sich die alten In­dus­trie­staa­ten und stre­ben eine Neu­ver­tei­lung in mo­dera­tem Um­fang an.

Ein­schrän­kung des Steu­er­wett­be­werbs

Die zwei­te Säule des OECD/G-20-Pro­jekts wid­met sich dem Steu­er­wett­be­werb. Im Vor­gän­ger­pro­jekt BEPS soll­te künst­li­che Steu­er­ver­mei­dung («base ero­si­on and pro­fit shif­ting», BEPS) ver­hin­dert wer­den. Ziel war die Be­steue­rung am Ort der tat­säch­li­chen Wert­schöp­fung. Hoch­steu­er­staa­ten wie Frank­reich und Deutsch­land ge­nügt of­fen­bar das nicht, denn stand­ort­at­trak­ti­ve Staa­ten wie die Schweiz zie­hen wei­ter­hin Wert­schöp­fung und damit Steu­er­sub­strat an. Des­halb folgt nun der nächs­te Schritt: Der als «Race to the bot­tom» ver­un­glimpf­te Steu­er­wett­be­werb soll durch in­ter­na­tio­na­le Min­dest­steu­er­sät­ze un­ter­bun­den wer­den.

Ginge es bei die­ser Mass­nah­me um die Di­gi­ta­li­sie­rung und «base ero­si­on», dann müss­te der Be­griff der «Wert­schöp­fung» neu de­fi­niert wer­den. Dis­ku­tiert würde die Steu­er­be­mes­sungs­grund­la­ge. Der Rück­griff auf die Steu­er­sät­ze zeigt auch hier: Hin­ter­grund der Vor­schlä­ge ist we­ni­ger die Di­gi­ta­li­sie­rung, als viel­mehr die In­ter­es­sen der Hoch­steu­er­staa­ten.

Zwei alte steu­er­po­li­ti­sche Streit­the­men

Wenn G-20 und OECD in Zu­sam­men­hang mit die­sem Pro­jekt auf die Di­gi­ta­li­sie­rung ver­wei­sen, so scheint dies in ers­ter Linie Po­lit­mar­ke­ting. Tat­säch­lich geht es um zwei ur­al­te steu­er­po­li­ti­sche Streit­the­men. Die Ver­tei­lung des Ge­winn­steu­er­ku­chens zwi­schen An­säs­sig­keits- und Ab­satz­län­dern (Säule 1) sowie die Re­gu­lie­rung des in­ter­na­tio­na­len Steu­er­wett­be­werbs (Säule 2). Das nun of­fen­ge­leg­te Ver­hand­lungs­er­geb­nis lässt sich nur so in­ter­pre­tie­ren.