Glühbirne mit vernetzten Strängen

Digitalisierung: Der Staat muss seine Interaktion mit den Unternehmen grundlegend neu denken

Digitalisierungsvorhaben der Verwaltung sind heute oftmals reines «Facelifting» oder werden zu Investitionsruinen. Das wahre Potenzial der Digitalisierung, die fundamentale Neugestaltung von Prozessen, wird zu wenig erkannt. Dabei wäre die Wirtschaft dringend auf neue Interaktionsformen mit dem Staat angewiesen.

Behördengänge bedeuten Aufwand. Sei es das Einholen eines Betreibungsregisterauszugs oder die Bestellung einer neuen Identitätskarte – am liebsten würden wir alles mit noch weniger Klicks, noch sicherer und kostenlos erledigen können. Die Erwartungen an den Staat sind punkto Digitalisierung immens, das hat nicht zuletzt das Abstimmungsresultat zum E-ID-Gesetz bestätigt.

Die privaten Erfahrungen im Behördenaustausch lassen sich fast eins zu eins auf die Erfahrungen der Unternehmen übertragen. Dabei gibt es aber einen gewichtigen Unterschied. Ihre Interaktionen mit dem Staat sind häufiger, komplexer und oftmals juristisch heikler. Unternehmen tragen so substanzielle administrative Kosten, die vermeidbar wären und die schnell zur Produktivitätsbremse werden können. Besonders KMU sind davon betroffen. Volkswirtschaftlich sind die Digitalisierungsmängel ein schmerzhafter Klotz am Bein.

Zwei Lösungsansätze zur Behebung der Digitalisierungsmängel

Wie ist mit dieser Situation umzugehen? Im Prinzip gibt es zwei Lösungsansätze: Erstens müssen die Regulierungskosten für die Wirtschaft durch den Gesetzgeber im Zaume gehalten werden. Je weniger Bürokratie, desto weniger Produktivitätseinbussen und mehr Raum für Innovation und neue Wertschöpfung. Zweitens müssen die trotzdem anfallenden Regulierungskosten durch die Digitalisierung auf ein Minimum reduziert werden. Je reibungsloser, verlässlicher und intuitiver der Behördenaustausch, desto geringer der administrative Aufwand.

Leider noch viel zu oft fokussieren die Ämter auf das front-end und erliegen der Verlockung einer Plattform oder eines Online-Schalters als Prestigeprojekt. «Echte» Digitalisierung resultiert aber nicht aus der Digitalisierung des Amtsschalters. Es braucht vielmehr eine fundamentale Neukonzeption von Prozessen. Hier besteht Nachholbedarf. Beispiel Handelsregister: Zwar können Änderungen heute zentral über das Portal easygov.swiss veranlasst werden. In den dahinterliegenden Prozessen bleiben die alten Medienbrüche und Schnittstellenprobleme dennoch vorhanden. Gemäss Avenir Suisse besteht hier ein jährliches Einsparpotenzial in zweistelliger Millionenhöhe.

Es braucht offene, standardisierte Schnittstellen und weniger analogen «Bias» in der Regulierung

Bei der Prozessdigitalisierung geht es um mehr Interoperabilität und Standardisierung. Funktional verknüpfte Systeme aller Staatsebenen und Ämter sollten auch technisch und organisatorisch immer nahtlos ineinandergreifen. Davon sind wir heute zu weit entfernt. Darüber hinaus müssen sich die Behörden Gedanken darüber machen, auf welche Weise sie in Zukunft mit der Wirtschaft interagieren wollen. Der Markt hat die Verwaltung beim front-end längst überholt: Digitale Assistenten und intelligente ERP-Systeme haben sich als Scharnier zum Staat etabliert. Es braucht vonseiten des Staates daher keine Portale und Plattformen. Der Wirtschaft wäre viel mehr gedient, wenn der Staat offene, maschinenlesbare Schnittstellen anbieten würde. Dazu muss er jedoch bereit sein, in den Hintergrund zu treten. Ein wichtiges «To Do» gibt es auch weiterhin für den Gesetzgeber: Überholte Schriftlichkeitserfordernisse und andere Vorschriften mit analoger Schlagseite müssen dringend aus unserem Rechtsrahmen verschwinden.

 

Marcel Dobler ist FDP-Nationalrat, Präsident der Infrastrukturkommission von economiesuisse und Vizepräsident von digitalswitzerland.

Dieser Gastbeitrag erschien am 22. März 2021 in der «NZZ» .

 

Zur Stellungnahme über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben